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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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wiß zugestanden wäre, den Toast auszubringen. Ist dieses nicht cha¬
rakteristisch für unsere Austande? -- Die Nachricht von der Krank¬
heit Lenau's hat hier in dem Wohnorte des Dichters eine noch
trübere Sensation gemacht, als anderswo, obgleich bei seiner eigen¬
thümlichen 'Lebensweise ihm Mancher dieses Schicksal längst vrophc-
zeihte. Lenau liebte vor Allem die Einsamkeit, in welcher er seinen
schwermüthigen Traumen sich überlassen konnte. Nur zwei Gesell¬
schafter waren ihm nöthig: seine Pfeife und seine Geige. Bewegung
sich machen kannte er nur vom Hörensagen. Meist blieb er bis Mit¬
tag zu Bette, lesend, träumend, rauchend. Er ging nie spazieren, aß
sehr wenig, trank aber dafür unaufhörlich Kaffee. Seine einzige Lei-
besbcwcgung war das Billard, das er leidenschaftlich spielte, und je¬
den Nachmittag konnte man den berühmten Dichter mit dem Qucu
in der Hand in Nenner's Kaffeehaus sehen. Der kräftige und voll¬
blütige Vierziger hatte eine Abneigung gegen das Heirathen und lebte
in dem frivolen Wien in dem keuschester Eölibat. Religiöse Ideen
eigenthümlicher Art, denen er in den letzteren Jahren besonders nach¬
hing, stimmten ihn noch ernster, als früher. Uebrigens war er die
pcrsomficirte Nachsicht gegen Andere und der thcilnehmcndste Freund
jugendlicher Talente. Möchten wir doch nicht lange sagen müssen, er
war, möge er bald das schöne Licht seines Geistes wiederfinden, um
wieder zu sein, was er gewesen. -- Im Laufe dieser Woche reiste der
Nationalökonom, Dr. List, hier durch. Er begab sich nach Ungarn,
um dort im Interesse einer Anzahl schwäbischer Auswanderer, die in
Ungarn sich ansiedeln wollen, zu verhandeln. Man gedenkt, ihm bei
seiner Rückkunft hier ein Fest zu geben. --- Auf dem Burgtheater
machte ein Lustspiel von Berger: Die Körbe, ein verdientes Fiasko.


-- Rainer. --
II.
Aus G r' ä h.

Eisenbahn-Eröffnung. -- Landwirthschasts-Gesellschafts-Jubiläum und andere
Vereinssitzungen. -- Neueste Werke über Steiermark. -- Slavismus und
Beamtenwesen. ^- Journolliteratur.
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Die Probefahrten und feierliche Eröffnung der Eisenbahn
von Wien (eigentlich von Mürzzuschlag) nach Gratz und das von
den Landständen gegebene Zweckessen dazu am 21. October wäre glück¬
lich überstanden. Das Nähere erzählen unsere Zeitungen davon. --'
Das Fest des fünfundzwanzigjährigen Bestehens unse¬
rer Landwirthschafts-Gesellschaft ward am 16. October herz¬
lich und würdevoll begangen und wurde nicht nur vollzählig von allen
Abgeordneten des Landes und vielen auswärtigen Deputationen de¬
ucht, sonder" Gratz selbst bot einen festlich belebten Anblick und die


wiß zugestanden wäre, den Toast auszubringen. Ist dieses nicht cha¬
rakteristisch für unsere Austande? — Die Nachricht von der Krank¬
heit Lenau's hat hier in dem Wohnorte des Dichters eine noch
trübere Sensation gemacht, als anderswo, obgleich bei seiner eigen¬
thümlichen 'Lebensweise ihm Mancher dieses Schicksal längst vrophc-
zeihte. Lenau liebte vor Allem die Einsamkeit, in welcher er seinen
schwermüthigen Traumen sich überlassen konnte. Nur zwei Gesell¬
schafter waren ihm nöthig: seine Pfeife und seine Geige. Bewegung
sich machen kannte er nur vom Hörensagen. Meist blieb er bis Mit¬
tag zu Bette, lesend, träumend, rauchend. Er ging nie spazieren, aß
sehr wenig, trank aber dafür unaufhörlich Kaffee. Seine einzige Lei-
besbcwcgung war das Billard, das er leidenschaftlich spielte, und je¬
den Nachmittag konnte man den berühmten Dichter mit dem Qucu
in der Hand in Nenner's Kaffeehaus sehen. Der kräftige und voll¬
blütige Vierziger hatte eine Abneigung gegen das Heirathen und lebte
in dem frivolen Wien in dem keuschester Eölibat. Religiöse Ideen
eigenthümlicher Art, denen er in den letzteren Jahren besonders nach¬
hing, stimmten ihn noch ernster, als früher. Uebrigens war er die
pcrsomficirte Nachsicht gegen Andere und der thcilnehmcndste Freund
jugendlicher Talente. Möchten wir doch nicht lange sagen müssen, er
war, möge er bald das schöne Licht seines Geistes wiederfinden, um
wieder zu sein, was er gewesen. — Im Laufe dieser Woche reiste der
Nationalökonom, Dr. List, hier durch. Er begab sich nach Ungarn,
um dort im Interesse einer Anzahl schwäbischer Auswanderer, die in
Ungarn sich ansiedeln wollen, zu verhandeln. Man gedenkt, ihm bei
seiner Rückkunft hier ein Fest zu geben. -— Auf dem Burgtheater
machte ein Lustspiel von Berger: Die Körbe, ein verdientes Fiasko.


— Rainer. —
II.
Aus G r' ä h.

Eisenbahn-Eröffnung. — Landwirthschasts-Gesellschafts-Jubiläum und andere
Vereinssitzungen. — Neueste Werke über Steiermark. — Slavismus und
Beamtenwesen. ^- Journolliteratur.
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Die Probefahrten und feierliche Eröffnung der Eisenbahn
von Wien (eigentlich von Mürzzuschlag) nach Gratz und das von
den Landständen gegebene Zweckessen dazu am 21. October wäre glück¬
lich überstanden. Das Nähere erzählen unsere Zeitungen davon. —'
Das Fest des fünfundzwanzigjährigen Bestehens unse¬
rer Landwirthschafts-Gesellschaft ward am 16. October herz¬
lich und würdevoll begangen und wurde nicht nur vollzählig von allen
Abgeordneten des Landes und vielen auswärtigen Deputationen de¬
ucht, sonder» Gratz selbst bot einen festlich belebten Anblick und die


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[0330] wiß zugestanden wäre, den Toast auszubringen. Ist dieses nicht cha¬ rakteristisch für unsere Austande? — Die Nachricht von der Krank¬ heit Lenau's hat hier in dem Wohnorte des Dichters eine noch trübere Sensation gemacht, als anderswo, obgleich bei seiner eigen¬ thümlichen 'Lebensweise ihm Mancher dieses Schicksal längst vrophc- zeihte. Lenau liebte vor Allem die Einsamkeit, in welcher er seinen schwermüthigen Traumen sich überlassen konnte. Nur zwei Gesell¬ schafter waren ihm nöthig: seine Pfeife und seine Geige. Bewegung sich machen kannte er nur vom Hörensagen. Meist blieb er bis Mit¬ tag zu Bette, lesend, träumend, rauchend. Er ging nie spazieren, aß sehr wenig, trank aber dafür unaufhörlich Kaffee. Seine einzige Lei- besbcwcgung war das Billard, das er leidenschaftlich spielte, und je¬ den Nachmittag konnte man den berühmten Dichter mit dem Qucu in der Hand in Nenner's Kaffeehaus sehen. Der kräftige und voll¬ blütige Vierziger hatte eine Abneigung gegen das Heirathen und lebte in dem frivolen Wien in dem keuschester Eölibat. Religiöse Ideen eigenthümlicher Art, denen er in den letzteren Jahren besonders nach¬ hing, stimmten ihn noch ernster, als früher. Uebrigens war er die pcrsomficirte Nachsicht gegen Andere und der thcilnehmcndste Freund jugendlicher Talente. Möchten wir doch nicht lange sagen müssen, er war, möge er bald das schöne Licht seines Geistes wiederfinden, um wieder zu sein, was er gewesen. — Im Laufe dieser Woche reiste der Nationalökonom, Dr. List, hier durch. Er begab sich nach Ungarn, um dort im Interesse einer Anzahl schwäbischer Auswanderer, die in Ungarn sich ansiedeln wollen, zu verhandeln. Man gedenkt, ihm bei seiner Rückkunft hier ein Fest zu geben. -— Auf dem Burgtheater machte ein Lustspiel von Berger: Die Körbe, ein verdientes Fiasko. — Rainer. — II. Aus G r' ä h. Eisenbahn-Eröffnung. — Landwirthschasts-Gesellschafts-Jubiläum und andere Vereinssitzungen. — Neueste Werke über Steiermark. — Slavismus und Beamtenwesen. ^- Journolliteratur. ''''' .>"../ Die Probefahrten und feierliche Eröffnung der Eisenbahn von Wien (eigentlich von Mürzzuschlag) nach Gratz und das von den Landständen gegebene Zweckessen dazu am 21. October wäre glück¬ lich überstanden. Das Nähere erzählen unsere Zeitungen davon. —' Das Fest des fünfundzwanzigjährigen Bestehens unse¬ rer Landwirthschafts-Gesellschaft ward am 16. October herz¬ lich und würdevoll begangen und wurde nicht nur vollzählig von allen Abgeordneten des Landes und vielen auswärtigen Deputationen de¬ ucht, sonder» Gratz selbst bot einen festlich belebten Anblick und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/330>, abgerufen am 02.05.2024.