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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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Latinität schilderte der Redner die Entwickclungsphascn der Heilwissen¬
schaft an der Wiener Hochschule, an welcher ohnehin die Medicin und
die Naturwissenschaften blos auf eine angemessene Weise vertreten sind,
und besonders gelang ihm die geistvolle Parallele zwischen Stoll und
Frank, der sich vorzüglich um die philosophische Seite der Arzneiwis¬
senschaft verdient gemacht Die drei Sterne in der Geschichte der hie¬
sigen medicinischen Facultät sind Van Swieten (gestorben 1772), Stoll
(gestorben 1787) und Frank (gestorben ,1815). Gegenwärtig über¬
wiegt die Chirurgie, welche von dem kühnen Operateur, Professor
Waldmann, repräsentirt wird.

Die in Ihrem Blatte enthaltene Nachricht von dem Tode des
Dr. Remboldt, der seines Amtes als Professor der Philosophie entho¬
ben ward, verdient eine Ergänzung. Als Vater von zehn Kindern
studirte der durch seine Entsetzung brodlos gewordene vierzigjährige
Mann zu Pesth die Medicin, ward praktischer Arzt und ernährte in
diesem neuen Beruft seine Familie bis zu seinem Hintritt.


-- Von der Freiung. --
N.
Aus B r e s l a u.

Weihnachten und c^nstitutionclle Bescherung. -- Das hawlaute Geheimniß.
-- Verzogene Mundwinkel. -- Ronge als Modeschild. -- Religiöse
Polemik.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, welch seliges Er¬
warten mein sechsjähriges Herz erfüllte, wenn es hieß: die Weihnachten
sind vor der Thüre. Der ganze Raum der Kinderstube war bereits
für die Geschenke bestimmt, die ich von Vettern, Basen und Tanten
zu erwarten hatte. Hier das Standquartier der bleiernen Soldaten,
dort der Marstall für die Steckenpferde; auf diesem Gesims sollten
die Aepfel und Nüsse paradiren; in jener Ecke das bunte Theater
seinen Platz erhalten. Das war ein neugieriges Lauschen und Lügen,
wenn die Mutter vom Weihnachtsmarkte heim kam und die einge¬
kauften Sachen in die Kammer verschloß Da wurden Conjecturcn
gemacht, hunderterlei Möglichkeiten aufgestellt, so weit der kleine Ver¬
stand nur reichen wollte. Wir großen politischen Kinder befinden uns
jetzt in einer ähnlichen Lage. Seit langer Zeit war das "Bescheren"
abgekommen in der preußischen Familie. Erst im vorigen Jahre be¬
kamen wir wieder ein Christgeschenk, den Schwamnorden, und wir
freuten uns darüber, wie die Kinder über Nürnberger Spielzeug, wur¬
den aber auch, wie die Kinder, seiner bald überdrüssig und warfen ihn
in die Ecke. Jetzt kommen die Weihnachten wieder und wir gucken
neugierig nach dem geheimnißvollen Kabinet, was eS wohl enthalte.
Die Augsburger Base Hat'S verrathen, es ist eine Constitut-on,


Latinität schilderte der Redner die Entwickclungsphascn der Heilwissen¬
schaft an der Wiener Hochschule, an welcher ohnehin die Medicin und
die Naturwissenschaften blos auf eine angemessene Weise vertreten sind,
und besonders gelang ihm die geistvolle Parallele zwischen Stoll und
Frank, der sich vorzüglich um die philosophische Seite der Arzneiwis¬
senschaft verdient gemacht Die drei Sterne in der Geschichte der hie¬
sigen medicinischen Facultät sind Van Swieten (gestorben 1772), Stoll
(gestorben 1787) und Frank (gestorben ,1815). Gegenwärtig über¬
wiegt die Chirurgie, welche von dem kühnen Operateur, Professor
Waldmann, repräsentirt wird.

Die in Ihrem Blatte enthaltene Nachricht von dem Tode des
Dr. Remboldt, der seines Amtes als Professor der Philosophie entho¬
ben ward, verdient eine Ergänzung. Als Vater von zehn Kindern
studirte der durch seine Entsetzung brodlos gewordene vierzigjährige
Mann zu Pesth die Medicin, ward praktischer Arzt und ernährte in
diesem neuen Beruft seine Familie bis zu seinem Hintritt.


— Von der Freiung. —
N.
Aus B r e s l a u.

Weihnachten und c^nstitutionclle Bescherung. — Das hawlaute Geheimniß.
— Verzogene Mundwinkel. — Ronge als Modeschild. — Religiöse
Polemik.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, welch seliges Er¬
warten mein sechsjähriges Herz erfüllte, wenn es hieß: die Weihnachten
sind vor der Thüre. Der ganze Raum der Kinderstube war bereits
für die Geschenke bestimmt, die ich von Vettern, Basen und Tanten
zu erwarten hatte. Hier das Standquartier der bleiernen Soldaten,
dort der Marstall für die Steckenpferde; auf diesem Gesims sollten
die Aepfel und Nüsse paradiren; in jener Ecke das bunte Theater
seinen Platz erhalten. Das war ein neugieriges Lauschen und Lügen,
wenn die Mutter vom Weihnachtsmarkte heim kam und die einge¬
kauften Sachen in die Kammer verschloß Da wurden Conjecturcn
gemacht, hunderterlei Möglichkeiten aufgestellt, so weit der kleine Ver¬
stand nur reichen wollte. Wir großen politischen Kinder befinden uns
jetzt in einer ähnlichen Lage. Seit langer Zeit war das „Bescheren"
abgekommen in der preußischen Familie. Erst im vorigen Jahre be¬
kamen wir wieder ein Christgeschenk, den Schwamnorden, und wir
freuten uns darüber, wie die Kinder über Nürnberger Spielzeug, wur¬
den aber auch, wie die Kinder, seiner bald überdrüssig und warfen ihn
in die Ecke. Jetzt kommen die Weihnachten wieder und wir gucken
neugierig nach dem geheimnißvollen Kabinet, was eS wohl enthalte.
Die Augsburger Base Hat'S verrathen, es ist eine Constitut-on,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/610>, abgerufen am 02.05.2024.