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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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das vielbesprochene "Urbild des Tartüffe" zu erwarten. Die Thcater-
censur hatte dasselbe von fünf Acten bis auf zwei zusammengestrichen,
wegen vermutheter Anspielungen auf hiesige Zustände. Es soll darauf
dem Könige, der sich schon einmal bei dem Lustspiele "Er muß aufs
Land" großmüthig zeigte, vorgelegt worden sein und dieser die un-
verstümmelte Ausführung angeordnet haben. Gleichfalls einstudirt wird
die "Waise von Lucca", von Wiener. Tieck's Blaubart ist ohne Inte¬
resse vorübergegangen und wird sich gewiß nicht, trotz der vortrefflichen
Rollenbesetzung und des meisterhaften Jusammenfpiels, auf dem Reper-
toir erhalten. -- Der Conflict, in den Frau v. Hagn mit Fräulein Stich
gerathen ist, da ihr anbefohlen, der Letzteren dann und wann ihre
Rollen abzutreten, ist noch keineswegs ausgeglichen und es wäre sehr
zu beklagen, wenn es wirklich zu der Entfernung einer der genialsten
deutschen Künstlerinnen von unserer Bühne führen sollte. Jenny Lind
kehrt nächstens über Hamburg, wo sie gastiren wird, in ihre nordische
Heimath zurück, ist aber für den künftigen Winter ein bestimmtes
Engagementsverhältniß zu hiesiger Bühne eingegangen. Den Sommer
wird Sophie Löwe aus dem Süden erwartet. Sie sehen, Hr. v.
Küftncr versucht Alles, um den Berlinern Abwechslung zu verschaffen.
-- Der Hofrath Rousseau hat ein Concert zu literarischen Zwecken
angekündigt. Wie man aber sagt, wären die literarischen Zwecke
des Hofraths Rousseau keine anderen als seine eignen, und in der That,
er darf als ein literarisches Rococostück betrachtet werden.


.§.
III.
Aus W i e n.

Carneval bei Hof und im Volk. -- slavischer Ball. -- Die Gefahren des
Elysiums und der Liedertafel. -- Donizetti's Don Sebastian. -- Sänger und
Sängerinnen.

Der Carneval ist zu Ende, die letzten Klänge des privilegirten
Frohsinns sind verhallt und die düstere, reuevolle Fastenzeit gähnt uns
wie ein unvermeidliches Schicksal entgegen. Der diesjährige Carneval
war belebter, als alle früheren seit einer Reihe von Jabren, wie man
denn überhaupt die Bemerkung machen kann, daß sich in jüngster Zeit
die öffentlichen Lustbarkeiten neu und dem Geiste der Zeit angemessen
gestalten wollen, nachdem die ehemalige Wienerlust des alten Genres
hier ausgestorben ist. Bei Hof fand eine Reihe von Hof- und Kam-
mcrbällen, so wie auch jener beliebte Kinderball statt, der den anwesenden
Fremden von Distinction stets einen eigenthümlichen Anblick gewährt.
In diesem Jahre schloß sich dem Kinderball auch noch ein Adoleszenz-
ball an, zu welchem die adelige Jugend beiderlei Geschlechts eingeladen
wurde und der in der That ein glänzendes Schauspiel darbot, indem


das vielbesprochene „Urbild des Tartüffe" zu erwarten. Die Thcater-
censur hatte dasselbe von fünf Acten bis auf zwei zusammengestrichen,
wegen vermutheter Anspielungen auf hiesige Zustände. Es soll darauf
dem Könige, der sich schon einmal bei dem Lustspiele „Er muß aufs
Land" großmüthig zeigte, vorgelegt worden sein und dieser die un-
verstümmelte Ausführung angeordnet haben. Gleichfalls einstudirt wird
die „Waise von Lucca", von Wiener. Tieck's Blaubart ist ohne Inte¬
resse vorübergegangen und wird sich gewiß nicht, trotz der vortrefflichen
Rollenbesetzung und des meisterhaften Jusammenfpiels, auf dem Reper-
toir erhalten. — Der Conflict, in den Frau v. Hagn mit Fräulein Stich
gerathen ist, da ihr anbefohlen, der Letzteren dann und wann ihre
Rollen abzutreten, ist noch keineswegs ausgeglichen und es wäre sehr
zu beklagen, wenn es wirklich zu der Entfernung einer der genialsten
deutschen Künstlerinnen von unserer Bühne führen sollte. Jenny Lind
kehrt nächstens über Hamburg, wo sie gastiren wird, in ihre nordische
Heimath zurück, ist aber für den künftigen Winter ein bestimmtes
Engagementsverhältniß zu hiesiger Bühne eingegangen. Den Sommer
wird Sophie Löwe aus dem Süden erwartet. Sie sehen, Hr. v.
Küftncr versucht Alles, um den Berlinern Abwechslung zu verschaffen.
— Der Hofrath Rousseau hat ein Concert zu literarischen Zwecken
angekündigt. Wie man aber sagt, wären die literarischen Zwecke
des Hofraths Rousseau keine anderen als seine eignen, und in der That,
er darf als ein literarisches Rococostück betrachtet werden.


.§.
III.
Aus W i e n.

Carneval bei Hof und im Volk. — slavischer Ball. — Die Gefahren des
Elysiums und der Liedertafel. — Donizetti's Don Sebastian. — Sänger und
Sängerinnen.

Der Carneval ist zu Ende, die letzten Klänge des privilegirten
Frohsinns sind verhallt und die düstere, reuevolle Fastenzeit gähnt uns
wie ein unvermeidliches Schicksal entgegen. Der diesjährige Carneval
war belebter, als alle früheren seit einer Reihe von Jabren, wie man
denn überhaupt die Bemerkung machen kann, daß sich in jüngster Zeit
die öffentlichen Lustbarkeiten neu und dem Geiste der Zeit angemessen
gestalten wollen, nachdem die ehemalige Wienerlust des alten Genres
hier ausgestorben ist. Bei Hof fand eine Reihe von Hof- und Kam-
mcrbällen, so wie auch jener beliebte Kinderball statt, der den anwesenden
Fremden von Distinction stets einen eigenthümlichen Anblick gewährt.
In diesem Jahre schloß sich dem Kinderball auch noch ein Adoleszenz-
ball an, zu welchem die adelige Jugend beiderlei Geschlechts eingeladen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/439>, abgerufen am 06.05.2024.