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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Verletzung irgend einer Rücksicht auf die historischen Erinnerungen der
deutschen Höfe zur Pflicht gemacht, und so können wir es immer als
Concession betrachten, wenn etwa auf einem sächsischen Hoftheater
Friedrich Wilhelm I. in Gutzkow's "Zopf und Schwert", oder wenn
auf dem Berliner Hoftheater Maria Theresia in "Thomas Thyrnau"
über die Bühne schreitet.

Eine dritte und die eigentlichste Weihnachtsbescherung bilden end¬
lich die akademischen Weihnachtsausstellungen, die wir in diesem Jahre
zum erstenmal hier sehen, oder die vielmehr zu den frommen Myste¬
rien zu rechnen sind, die unsere Vorfahren vor 40V Jahren um
diese und die Osterzeit aufzuführen pflegten. Allabendlich wird zwei¬
mal im größer" Saale der Akademie der Künste eine Reihefolge trans¬
parenter Gemälde gezeigt, welche die Empfängnis) Maria, die Geburt
des Heilands, die Anbetung der heiligen drei Könige u. s. w. dar¬
stellen und wozu die Sänger der Domkirche passende Gesänge und
Ehoräle vortragen. Für die Schüler und namentlich die Schülerinnen
Hengstenberg's, Goßner's, v. Gerlach's :c., die niemals Theater oder
Koncerte zu besuchen pflegen, ist dies natürlich ein ungemein anzie¬
hendes Schauspiel und da die Einnahmen zur Unterstützung bedürfti¬
ger Maler bestimmt sind, fo können wir uns nur darüber freuen, wenn
solche fromme Gemüther sich den Genuß mehr als einmal zu verschaf¬
fen suchen. Die Weltlicheren freilich gehen lieber zu Gropius, oder
zu Fuchs, oder in Kroll's und Faust's Wintergarten, wo überall der
Weihnachten in einem heiteren Gewände auftritt und in der That ein
eigenthümliches Berliner Leben um diese Jahreszeit sich zeigt. Auch
einen Karneval, und zwar einen echten Narrenkarneval, hat uns Kroll
für den nächsten Monat in Aussicht gestellt -- wenn nämlich die
Magdeburger Zeitung Nichts dagegen hat, die schon gegen die bloße
Ankündigung einen fulminanten Artikel erließ, indem sie in einem
Kölnischen Karneval in Berlin nichts Geringeres, als eine Gefährdung
des deutschen Protestantismus erblickt. Nun sage man noch, daß es
unter unsern Zeitungsschreibern keine scharfsinnigen Politiker gebe!
Diese Leute werden uns gewiß auch am besten sagen können, was es
eigentlich mit dem Fastnachts-Ochsen, der dem Karneval bekanntlich
immer ein Ende macht, für eine Bewandtniß habe.


Justus.
2.

Französische Fabeln von einer preußischen Konstitution. -- Ein Inserat für
Karl X. in der Bossischen Zeitung. -- Jesuiten und Jesuitenriecherel. -- Die
Stadtverordneten für gewisse öffentliche Häuser. -- Böckh und Eichhorn.

Wir sind zwar schon gewöhnt, in französischen und englischen
Blättern, wenn sie sich einmal mit Deutschland beschäftigen, die alier-
fabelhaftesten Dinge über uns zu finden, aber in der Regel lassen slay


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Verletzung irgend einer Rücksicht auf die historischen Erinnerungen der
deutschen Höfe zur Pflicht gemacht, und so können wir es immer als
Concession betrachten, wenn etwa auf einem sächsischen Hoftheater
Friedrich Wilhelm I. in Gutzkow's „Zopf und Schwert", oder wenn
auf dem Berliner Hoftheater Maria Theresia in „Thomas Thyrnau"
über die Bühne schreitet.

Eine dritte und die eigentlichste Weihnachtsbescherung bilden end¬
lich die akademischen Weihnachtsausstellungen, die wir in diesem Jahre
zum erstenmal hier sehen, oder die vielmehr zu den frommen Myste¬
rien zu rechnen sind, die unsere Vorfahren vor 40V Jahren um
diese und die Osterzeit aufzuführen pflegten. Allabendlich wird zwei¬
mal im größer» Saale der Akademie der Künste eine Reihefolge trans¬
parenter Gemälde gezeigt, welche die Empfängnis) Maria, die Geburt
des Heilands, die Anbetung der heiligen drei Könige u. s. w. dar¬
stellen und wozu die Sänger der Domkirche passende Gesänge und
Ehoräle vortragen. Für die Schüler und namentlich die Schülerinnen
Hengstenberg's, Goßner's, v. Gerlach's :c., die niemals Theater oder
Koncerte zu besuchen pflegen, ist dies natürlich ein ungemein anzie¬
hendes Schauspiel und da die Einnahmen zur Unterstützung bedürfti¬
ger Maler bestimmt sind, fo können wir uns nur darüber freuen, wenn
solche fromme Gemüther sich den Genuß mehr als einmal zu verschaf¬
fen suchen. Die Weltlicheren freilich gehen lieber zu Gropius, oder
zu Fuchs, oder in Kroll's und Faust's Wintergarten, wo überall der
Weihnachten in einem heiteren Gewände auftritt und in der That ein
eigenthümliches Berliner Leben um diese Jahreszeit sich zeigt. Auch
einen Karneval, und zwar einen echten Narrenkarneval, hat uns Kroll
für den nächsten Monat in Aussicht gestellt — wenn nämlich die
Magdeburger Zeitung Nichts dagegen hat, die schon gegen die bloße
Ankündigung einen fulminanten Artikel erließ, indem sie in einem
Kölnischen Karneval in Berlin nichts Geringeres, als eine Gefährdung
des deutschen Protestantismus erblickt. Nun sage man noch, daß es
unter unsern Zeitungsschreibern keine scharfsinnigen Politiker gebe!
Diese Leute werden uns gewiß auch am besten sagen können, was es
eigentlich mit dem Fastnachts-Ochsen, der dem Karneval bekanntlich
immer ein Ende macht, für eine Bewandtniß habe.


Justus.
2.

Französische Fabeln von einer preußischen Konstitution. — Ein Inserat für
Karl X. in der Bossischen Zeitung. — Jesuiten und Jesuitenriecherel. — Die
Stadtverordneten für gewisse öffentliche Häuser. — Böckh und Eichhorn.

Wir sind zwar schon gewöhnt, in französischen und englischen
Blättern, wenn sie sich einmal mit Deutschland beschäftigen, die alier-
fabelhaftesten Dinge über uns zu finden, aber in der Regel lassen slay


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[0091] Verletzung irgend einer Rücksicht auf die historischen Erinnerungen der deutschen Höfe zur Pflicht gemacht, und so können wir es immer als Concession betrachten, wenn etwa auf einem sächsischen Hoftheater Friedrich Wilhelm I. in Gutzkow's „Zopf und Schwert", oder wenn auf dem Berliner Hoftheater Maria Theresia in „Thomas Thyrnau" über die Bühne schreitet. Eine dritte und die eigentlichste Weihnachtsbescherung bilden end¬ lich die akademischen Weihnachtsausstellungen, die wir in diesem Jahre zum erstenmal hier sehen, oder die vielmehr zu den frommen Myste¬ rien zu rechnen sind, die unsere Vorfahren vor 40V Jahren um diese und die Osterzeit aufzuführen pflegten. Allabendlich wird zwei¬ mal im größer» Saale der Akademie der Künste eine Reihefolge trans¬ parenter Gemälde gezeigt, welche die Empfängnis) Maria, die Geburt des Heilands, die Anbetung der heiligen drei Könige u. s. w. dar¬ stellen und wozu die Sänger der Domkirche passende Gesänge und Ehoräle vortragen. Für die Schüler und namentlich die Schülerinnen Hengstenberg's, Goßner's, v. Gerlach's :c., die niemals Theater oder Koncerte zu besuchen pflegen, ist dies natürlich ein ungemein anzie¬ hendes Schauspiel und da die Einnahmen zur Unterstützung bedürfti¬ ger Maler bestimmt sind, fo können wir uns nur darüber freuen, wenn solche fromme Gemüther sich den Genuß mehr als einmal zu verschaf¬ fen suchen. Die Weltlicheren freilich gehen lieber zu Gropius, oder zu Fuchs, oder in Kroll's und Faust's Wintergarten, wo überall der Weihnachten in einem heiteren Gewände auftritt und in der That ein eigenthümliches Berliner Leben um diese Jahreszeit sich zeigt. Auch einen Karneval, und zwar einen echten Narrenkarneval, hat uns Kroll für den nächsten Monat in Aussicht gestellt — wenn nämlich die Magdeburger Zeitung Nichts dagegen hat, die schon gegen die bloße Ankündigung einen fulminanten Artikel erließ, indem sie in einem Kölnischen Karneval in Berlin nichts Geringeres, als eine Gefährdung des deutschen Protestantismus erblickt. Nun sage man noch, daß es unter unsern Zeitungsschreibern keine scharfsinnigen Politiker gebe! Diese Leute werden uns gewiß auch am besten sagen können, was es eigentlich mit dem Fastnachts-Ochsen, der dem Karneval bekanntlich immer ein Ende macht, für eine Bewandtniß habe. Justus. 2. Französische Fabeln von einer preußischen Konstitution. — Ein Inserat für Karl X. in der Bossischen Zeitung. — Jesuiten und Jesuitenriecherel. — Die Stadtverordneten für gewisse öffentliche Häuser. — Böckh und Eichhorn. Wir sind zwar schon gewöhnt, in französischen und englischen Blättern, wenn sie sich einmal mit Deutschland beschäftigen, die alier- fabelhaftesten Dinge über uns zu finden, aber in der Regel lassen slay Grcnztvte» Is45>. I. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/91>, abgerufen am 05.05.2024.