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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Opernhauses eingeladen. Das hatte sie zugesagt. Die Schweden
fürchteten nun, sie gänzlich an das Ausland zu verlieren, und man
garantirte ihr ein starkes Capital, wenn sie bleiben wolle. Gewis¬
senhaft schlug sie es aus, weil sie für Berlin zugesagt, versprach
aber, mit dem Frühjahre heimzukehren. Dies Versprechen hält sie
jetzt, indem sie über Hamburg nach Stockholm reift. Zum novem>
der erwartet man sie wieder in Berlin.




Zweiter Tag"

Nun wendete mir das Theater seine Kehrseite zu. Ich erfuhr,
daß mein vortrefflicher Herr Weiß, ein echter Schauspieler der älte¬
ren Berliner Schule, und zwar der guten Schule, noch schwach sei
von einer schweren Krankheit und mein Stück nicht in Scene setzen
könne. O, wie leid that mir dies! Nicht bloß, weil er dies Stück
stets geliebt und geschätzt, sondern weil ich ihn selbst liebe. Er ist
so einfach, so brav, so gesund und verständig in Wort und Spiel
und Geberde. Er gehört zu der bürgerlichen Gattung deutscher Schau¬
spieler, welche nichts Hohles sprechen können und sich streng unter¬
scheiden von der declamirenden Gattung, die in Berlin so oft und
so lange ihr klingelndes Wesen getrieben und den Geschmack so sehr
aufgehalten hat. Und doch ist diese bürgerliche Gattung weit ent¬
fernt von alle dem, was man als PhilisterhaftigeS bezeichnen mag
in der Kunst mit dem Wort "bürgerlich." Diese Gattung bewahrt
sich vor solchem Extrem durch große Frische.. Wie liebenswürdig
war zum Beispiele Weiß neben Seydelmann! Einem gewöhnlichen
Schauspieler wäre dieser unbequem gewesen, weil er manche Rolle
und so viel Nuhm in Anspruch nahm. Weiß aber bewunderte und
liebte Seydelmann ohne irgend einen beeinträchtigenden Nebenge¬
danken.

Zugleich erfuhr ich aber auch, daß mein Stück mit drei Proben
abgespeist werden solle, obwohl eine ganze Woche vor uns lag. Der
einzig noch übrige Regisseur müsse die Oper versehn, und drei, höch¬
stens vier Proben seien ja genug. Diese Scheu vor Proben ist der
Krebsschaden unsers Theaters. Halbgar werden die Stücke aufge-


Opernhauses eingeladen. Das hatte sie zugesagt. Die Schweden
fürchteten nun, sie gänzlich an das Ausland zu verlieren, und man
garantirte ihr ein starkes Capital, wenn sie bleiben wolle. Gewis¬
senhaft schlug sie es aus, weil sie für Berlin zugesagt, versprach
aber, mit dem Frühjahre heimzukehren. Dies Versprechen hält sie
jetzt, indem sie über Hamburg nach Stockholm reift. Zum novem>
der erwartet man sie wieder in Berlin.




Zweiter Tag»

Nun wendete mir das Theater seine Kehrseite zu. Ich erfuhr,
daß mein vortrefflicher Herr Weiß, ein echter Schauspieler der älte¬
ren Berliner Schule, und zwar der guten Schule, noch schwach sei
von einer schweren Krankheit und mein Stück nicht in Scene setzen
könne. O, wie leid that mir dies! Nicht bloß, weil er dies Stück
stets geliebt und geschätzt, sondern weil ich ihn selbst liebe. Er ist
so einfach, so brav, so gesund und verständig in Wort und Spiel
und Geberde. Er gehört zu der bürgerlichen Gattung deutscher Schau¬
spieler, welche nichts Hohles sprechen können und sich streng unter¬
scheiden von der declamirenden Gattung, die in Berlin so oft und
so lange ihr klingelndes Wesen getrieben und den Geschmack so sehr
aufgehalten hat. Und doch ist diese bürgerliche Gattung weit ent¬
fernt von alle dem, was man als PhilisterhaftigeS bezeichnen mag
in der Kunst mit dem Wort „bürgerlich." Diese Gattung bewahrt
sich vor solchem Extrem durch große Frische.. Wie liebenswürdig
war zum Beispiele Weiß neben Seydelmann! Einem gewöhnlichen
Schauspieler wäre dieser unbequem gewesen, weil er manche Rolle
und so viel Nuhm in Anspruch nahm. Weiß aber bewunderte und
liebte Seydelmann ohne irgend einen beeinträchtigenden Nebenge¬
danken.

Zugleich erfuhr ich aber auch, daß mein Stück mit drei Proben
abgespeist werden solle, obwohl eine ganze Woche vor uns lag. Der
einzig noch übrige Regisseur müsse die Oper versehn, und drei, höch¬
stens vier Proben seien ja genug. Diese Scheu vor Proben ist der
Krebsschaden unsers Theaters. Halbgar werden die Stücke aufge-


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[0116] Opernhauses eingeladen. Das hatte sie zugesagt. Die Schweden fürchteten nun, sie gänzlich an das Ausland zu verlieren, und man garantirte ihr ein starkes Capital, wenn sie bleiben wolle. Gewis¬ senhaft schlug sie es aus, weil sie für Berlin zugesagt, versprach aber, mit dem Frühjahre heimzukehren. Dies Versprechen hält sie jetzt, indem sie über Hamburg nach Stockholm reift. Zum novem> der erwartet man sie wieder in Berlin. Zweiter Tag» Nun wendete mir das Theater seine Kehrseite zu. Ich erfuhr, daß mein vortrefflicher Herr Weiß, ein echter Schauspieler der älte¬ ren Berliner Schule, und zwar der guten Schule, noch schwach sei von einer schweren Krankheit und mein Stück nicht in Scene setzen könne. O, wie leid that mir dies! Nicht bloß, weil er dies Stück stets geliebt und geschätzt, sondern weil ich ihn selbst liebe. Er ist so einfach, so brav, so gesund und verständig in Wort und Spiel und Geberde. Er gehört zu der bürgerlichen Gattung deutscher Schau¬ spieler, welche nichts Hohles sprechen können und sich streng unter¬ scheiden von der declamirenden Gattung, die in Berlin so oft und so lange ihr klingelndes Wesen getrieben und den Geschmack so sehr aufgehalten hat. Und doch ist diese bürgerliche Gattung weit ent¬ fernt von alle dem, was man als PhilisterhaftigeS bezeichnen mag in der Kunst mit dem Wort „bürgerlich." Diese Gattung bewahrt sich vor solchem Extrem durch große Frische.. Wie liebenswürdig war zum Beispiele Weiß neben Seydelmann! Einem gewöhnlichen Schauspieler wäre dieser unbequem gewesen, weil er manche Rolle und so viel Nuhm in Anspruch nahm. Weiß aber bewunderte und liebte Seydelmann ohne irgend einen beeinträchtigenden Nebenge¬ danken. Zugleich erfuhr ich aber auch, daß mein Stück mit drei Proben abgespeist werden solle, obwohl eine ganze Woche vor uns lag. Der einzig noch übrige Regisseur müsse die Oper versehn, und drei, höch¬ stens vier Proben seien ja genug. Diese Scheu vor Proben ist der Krebsschaden unsers Theaters. Halbgar werden die Stücke aufge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/116>, abgerufen am 27.04.2024.