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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Vierter Tag.

Die neue Probe belehrt mich, daß mein Zuthun hier ganz un¬
mächtig. Ich bescheide mich also schweigend vor der Unmöglichkeit
und ich habe gefehlt, bei der entscheidenden Gelegenheit nicht auf
der Zurücknahme meines Stücks zu beharren. Jener Hauptacteur,
welcher mein Stück zu tragen hat, bleibt auf all den Punkten,
welche gleich zu Anfange so heftige Scenen herbeiführten; er weiß
Alles besser. Es ist nicht abzusehen, wie bei", Mangel an Kern,
Stetigkeit und Nachdruck im Träger des Stücks, wie im Geleit all
dieser kleinen zugesetzten Spielereien, welche den Eindruck des Cha¬
rakters nur noch benachtheiligen, das Nothwendige hervortreten soll. Denn
mit diesem Charakter steht und fällt das Stück. Alles lehnt sich an
ihn; ist er morsch, dann Ade, günstiger Gesammteindruck! Und für
die kleineren Rollen, welche das gute Herz und die bessere Zukunft
darstellen sollen, auf welche der Zuschauer mit moralischer Genug¬
thuung blicken soll, auch für diese bin ich hier schwächer ausgerüstet
als in Leipzig, was kann das Resultat sein?I scheute ich nicht
das Aufsehen, und nameiulich den Schein von zu großer Anmaßung,
so nähme ich das Stück heute noch zurück. Ich habe Unrecht, die¬
sen Schein nicht auf mich zu nehmen: man muß sein Eigenthum für
kostbar halten, wenn man es einmal auf offenen Markt bringt.

Von der Probe bin ich zu Ludwig Tieck gegangen, der dies
"Rococo" so hoch hält, um ihm auch zu seiner Genugthuung den
glänzenden Erfolg der Leipziger Aufführung zu erzählen und meine
hiesige Noth zu schildern. Er sieht wohler aus, als vor zwei
Jahren, und verspottete mich über meinen ewigen Eifer für das
Theater, welches doch verloren sei mit seinen Schauspielern, die nicht
mehr sprechen könnten und Nichts mehr lernen wollten und mit un¬
serm Publicum, das nicht mehr hören möge. Ich hielt ihm entge¬
gen, daß wir dies schwer zu spielende Stück, welches genau gehört
sein müsse, doch in Leipzig so zur Geltung gebracht, um binnen sechs
Tagen an dem kleinen Orte drei Vorstellungen mit vollen Häusern
möglich zu machen. Mag sein! erwiederte er; in Sachsen ist auch
die Aufmerksamkeit noch solider; hier gelingt's Ihnen nicht, und Sie
hätten sich auch wenigstens Marr, Ihren Regisseur und Marquis,
mitbringen müssen. -- Ich opponire immer diesem Pessimismus und


Vierter Tag.

Die neue Probe belehrt mich, daß mein Zuthun hier ganz un¬
mächtig. Ich bescheide mich also schweigend vor der Unmöglichkeit
und ich habe gefehlt, bei der entscheidenden Gelegenheit nicht auf
der Zurücknahme meines Stücks zu beharren. Jener Hauptacteur,
welcher mein Stück zu tragen hat, bleibt auf all den Punkten,
welche gleich zu Anfange so heftige Scenen herbeiführten; er weiß
Alles besser. Es ist nicht abzusehen, wie bei», Mangel an Kern,
Stetigkeit und Nachdruck im Träger des Stücks, wie im Geleit all
dieser kleinen zugesetzten Spielereien, welche den Eindruck des Cha¬
rakters nur noch benachtheiligen, das Nothwendige hervortreten soll. Denn
mit diesem Charakter steht und fällt das Stück. Alles lehnt sich an
ihn; ist er morsch, dann Ade, günstiger Gesammteindruck! Und für
die kleineren Rollen, welche das gute Herz und die bessere Zukunft
darstellen sollen, auf welche der Zuschauer mit moralischer Genug¬
thuung blicken soll, auch für diese bin ich hier schwächer ausgerüstet
als in Leipzig, was kann das Resultat sein?I scheute ich nicht
das Aufsehen, und nameiulich den Schein von zu großer Anmaßung,
so nähme ich das Stück heute noch zurück. Ich habe Unrecht, die¬
sen Schein nicht auf mich zu nehmen: man muß sein Eigenthum für
kostbar halten, wenn man es einmal auf offenen Markt bringt.

Von der Probe bin ich zu Ludwig Tieck gegangen, der dies
„Rococo" so hoch hält, um ihm auch zu seiner Genugthuung den
glänzenden Erfolg der Leipziger Aufführung zu erzählen und meine
hiesige Noth zu schildern. Er sieht wohler aus, als vor zwei
Jahren, und verspottete mich über meinen ewigen Eifer für das
Theater, welches doch verloren sei mit seinen Schauspielern, die nicht
mehr sprechen könnten und Nichts mehr lernen wollten und mit un¬
serm Publicum, das nicht mehr hören möge. Ich hielt ihm entge¬
gen, daß wir dies schwer zu spielende Stück, welches genau gehört
sein müsse, doch in Leipzig so zur Geltung gebracht, um binnen sechs
Tagen an dem kleinen Orte drei Vorstellungen mit vollen Häusern
möglich zu machen. Mag sein! erwiederte er; in Sachsen ist auch
die Aufmerksamkeit noch solider; hier gelingt's Ihnen nicht, und Sie
hätten sich auch wenigstens Marr, Ihren Regisseur und Marquis,
mitbringen müssen. — Ich opponire immer diesem Pessimismus und


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[0120] Vierter Tag. Die neue Probe belehrt mich, daß mein Zuthun hier ganz un¬ mächtig. Ich bescheide mich also schweigend vor der Unmöglichkeit und ich habe gefehlt, bei der entscheidenden Gelegenheit nicht auf der Zurücknahme meines Stücks zu beharren. Jener Hauptacteur, welcher mein Stück zu tragen hat, bleibt auf all den Punkten, welche gleich zu Anfange so heftige Scenen herbeiführten; er weiß Alles besser. Es ist nicht abzusehen, wie bei», Mangel an Kern, Stetigkeit und Nachdruck im Träger des Stücks, wie im Geleit all dieser kleinen zugesetzten Spielereien, welche den Eindruck des Cha¬ rakters nur noch benachtheiligen, das Nothwendige hervortreten soll. Denn mit diesem Charakter steht und fällt das Stück. Alles lehnt sich an ihn; ist er morsch, dann Ade, günstiger Gesammteindruck! Und für die kleineren Rollen, welche das gute Herz und die bessere Zukunft darstellen sollen, auf welche der Zuschauer mit moralischer Genug¬ thuung blicken soll, auch für diese bin ich hier schwächer ausgerüstet als in Leipzig, was kann das Resultat sein?I scheute ich nicht das Aufsehen, und nameiulich den Schein von zu großer Anmaßung, so nähme ich das Stück heute noch zurück. Ich habe Unrecht, die¬ sen Schein nicht auf mich zu nehmen: man muß sein Eigenthum für kostbar halten, wenn man es einmal auf offenen Markt bringt. Von der Probe bin ich zu Ludwig Tieck gegangen, der dies „Rococo" so hoch hält, um ihm auch zu seiner Genugthuung den glänzenden Erfolg der Leipziger Aufführung zu erzählen und meine hiesige Noth zu schildern. Er sieht wohler aus, als vor zwei Jahren, und verspottete mich über meinen ewigen Eifer für das Theater, welches doch verloren sei mit seinen Schauspielern, die nicht mehr sprechen könnten und Nichts mehr lernen wollten und mit un¬ serm Publicum, das nicht mehr hören möge. Ich hielt ihm entge¬ gen, daß wir dies schwer zu spielende Stück, welches genau gehört sein müsse, doch in Leipzig so zur Geltung gebracht, um binnen sechs Tagen an dem kleinen Orte drei Vorstellungen mit vollen Häusern möglich zu machen. Mag sein! erwiederte er; in Sachsen ist auch die Aufmerksamkeit noch solider; hier gelingt's Ihnen nicht, und Sie hätten sich auch wenigstens Marr, Ihren Regisseur und Marquis, mitbringen müssen. — Ich opponire immer diesem Pessimismus und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/120>, abgerufen am 27.04.2024.