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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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beruft mich darauf, die Vorstellung von besserer Vergangenheit sei
eine Illusion deö Alters. Sonst hätte er ja selbst sein großes Ta-
lent für's Dramatische dahin ausgebildet, daß er Stücke, wirkliche
Theaterstücke geschrieben. -- "Ich Hab's gethan! Es wird nicht viel
fehlen zum Hundert, die ich entworfen." -- Und warum denn nicht
ausgeführt? -- "Weil es mit der Schauspielkunst reißend schnell
bergab ging!" -- Schon in den neunziger Jahren? -- "Schon in
den neunziger Jahren! Wand verdarb Alles."

Meine Entgegnung richtete sich nun dahin, daß er wohl die
Handlung zu gering achte und besonders durch Vorlesen übermäßi¬
gen Nachdruck auf bloße Rede zu legen gewöhnt worden sei. --
"Nein, nein!" unterbrach er mich, "Sie werden dies nicht mehr sa¬
gen, wenn ich Ihnen sogar Tasso und Iphigenie preisgebe, als
Theaterstücke preisgebe!" --

Ich erschrack, denn dies ging über meine dreisten Anforderungen
hinaus; er war aber in Zug gekommen und bewies mir mit großer
Lebhaftigkeit, warum dies keine Stücke seien für's Theater. Dennoch
fand er eS bedenklich, daß ich im Struensee die Handlung der Schau¬
spieler wie in ein Schachbrett eingeengt habe. Ich vertheidigte es
mit sein.'N eignen Waffen und benützte übrigens die Gelegenheit, dem
Zeitungsgerüchte nachzufragen, welches ihm ein politisch abfälliges
Urtheil gegen Aufführung Pugatschef's und Struensee's zuschiebe. Es
wäre ja erschrecklich, wenn gar Literaten neben Literaten in der Frage
über Productionen die augenblicklich herrschende Politik zum Ma߬
stabe machen wollten! -- Er lächelte und machte eine ablehnende
Bewegung mit der Hand.

Die Sache verhält sich auch nicht so. Er hat die Stücke dem
Könige vorgelesen, und die Rücksicht des Hoftheaters für andere
Höfe, diese unserm modernen Drama tödtliche Etikette, steht auf einem
andern Blatte, einem Blatte übrigens, auf welches nicht mit unver-
löschlicher Tinte geschrieben werde.




Fünfter Tag.

Welch ein niederschlagender Anblick, diese urmächtigen Sünder!
Und wie viel häufen sich deren an in einer großen Stadt, welche


Crcnjbote", l"4S. II. 15

beruft mich darauf, die Vorstellung von besserer Vergangenheit sei
eine Illusion deö Alters. Sonst hätte er ja selbst sein großes Ta-
lent für's Dramatische dahin ausgebildet, daß er Stücke, wirkliche
Theaterstücke geschrieben. — „Ich Hab's gethan! Es wird nicht viel
fehlen zum Hundert, die ich entworfen." — Und warum denn nicht
ausgeführt? — „Weil es mit der Schauspielkunst reißend schnell
bergab ging!" — Schon in den neunziger Jahren? — „Schon in
den neunziger Jahren! Wand verdarb Alles."

Meine Entgegnung richtete sich nun dahin, daß er wohl die
Handlung zu gering achte und besonders durch Vorlesen übermäßi¬
gen Nachdruck auf bloße Rede zu legen gewöhnt worden sei. —
„Nein, nein!" unterbrach er mich, „Sie werden dies nicht mehr sa¬
gen, wenn ich Ihnen sogar Tasso und Iphigenie preisgebe, als
Theaterstücke preisgebe!" —

Ich erschrack, denn dies ging über meine dreisten Anforderungen
hinaus; er war aber in Zug gekommen und bewies mir mit großer
Lebhaftigkeit, warum dies keine Stücke seien für's Theater. Dennoch
fand er eS bedenklich, daß ich im Struensee die Handlung der Schau¬
spieler wie in ein Schachbrett eingeengt habe. Ich vertheidigte es
mit sein.'N eignen Waffen und benützte übrigens die Gelegenheit, dem
Zeitungsgerüchte nachzufragen, welches ihm ein politisch abfälliges
Urtheil gegen Aufführung Pugatschef's und Struensee's zuschiebe. Es
wäre ja erschrecklich, wenn gar Literaten neben Literaten in der Frage
über Productionen die augenblicklich herrschende Politik zum Ma߬
stabe machen wollten! — Er lächelte und machte eine ablehnende
Bewegung mit der Hand.

Die Sache verhält sich auch nicht so. Er hat die Stücke dem
Könige vorgelesen, und die Rücksicht des Hoftheaters für andere
Höfe, diese unserm modernen Drama tödtliche Etikette, steht auf einem
andern Blatte, einem Blatte übrigens, auf welches nicht mit unver-
löschlicher Tinte geschrieben werde.




Fünfter Tag.

Welch ein niederschlagender Anblick, diese urmächtigen Sünder!
Und wie viel häufen sich deren an in einer großen Stadt, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/121>, abgerufen am 27.04.2024.