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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Aus Pest h.

Der Palatin; sein Vorgänger und sein Nachfolger. -- Die Ulttamagyaren
und die deutsche Colonisation. -- List und Pulszky. -- Reisende Ungarn und
ih>e Entdeckungen. -- Gegen die Böhmen. -- Finanzscandale. -- Theater und
Dichter. -- Wiener und Pesther Censur. -- Volkszahl. -- Literatur.

Es wird hier gegenwärtig eine zu Ehren des Palatins zu ver¬
anstaltende Feier vorbereitet, welcher an seinem Namenstage am 19.
März sein fünfzigjähriges Jubiläum als oberster Statthalter des
Königreichs Ungarn beging; da indeß dieser Tag in die heilige Char-
woche siel, so wurde die Feierlichkeit verschoben und wird erst in zwei
Wochen stattfinden können. Am 19. März des Jahres 1795, mitten
in dem Schlachtlärm des französischen Ncvolutionskrieges, wählten die
Stände des Reiches den damals noch jugendlichen Prinzen zum Pci-
latinus und es war keine geringe Aufgabe, die Vertreter der Nation
unter den schwierigsten Aeirverhältnissen den von dem Drang der
Nothwendigkeit erheischten Opfern an Geld und Blut geneigt zu
machen. Auch hatte Erzherzog Joseph im Anfang mit den Erinner¬
ungen an seineu Vorgänger zu kämpfen, den Erzherzog Alexander, der
von allen Klassen der Nation angebetet ward, und dessen tragisches
Ende die Phantasie des Volkes mit einem mystischen Schein um¬
kränzte. Der Palatinus Alexander war kurz nach der Enthüllung der
bekannten Verschwörung einiger Bischöfe und Magnaten, die später
in Pesth öffentlich hingerichtet wurden, nach Wien gereist und endete
zu Luxemburg beim Loszünden eines von ihm veranstalteten Feuer¬
werks auf die traurigste Weise. In der Folge waren es die Finanz-
krisen, die Sprachkämpfe und Religionsstreitigkciten, die den wackern
Staatsmann unaufhörlich in Anspruch nahmen und deren Lösung
hauptsächlich seiner weisen Vermittelung zu danken ist. Mit Aus¬
nahme der äußersten Linken, welche ihren separatistischen Zweck allein
im Auge hält, ehren alle Parteien in dem greisen Erzherzog den ge¬
mäßigten und würdevollen Repräsentanten der Negierung und die
Mehrzahl wäre allerdings geneigt, bei einem etwaigen Rücktritt dieses
ehrlich errungene Vertrauen auf seinen Sohn, den zu Prag fungi-
renden Erzherzog Stephan, zu übertragen, dessen treffliche Handhabung
der magyarischen Sprache ihn bei der großen Masse der Patrioten
nicht wenig empfiehlt.

Die Nachricht von den Colonisationsplanen, die von der Regie"
rung in Bezug auf Ungarn gehegt und verfolgt werden, finden hier
bei der herrschenden Partei keineswegs den gehofften Anklang. Die
Ultramagyaren erblicken in dem Bestreben, fremde Menschenkraft in
das in vielen Gegenden noch ziemlich öde Land zu leiten, blos einen
versteckten Angriff auf ihre Nationalisirungscntwürfe, mit denen es sich


Greiijbotm I84S. II. 17
Hi.
Aus Pest h.

Der Palatin; sein Vorgänger und sein Nachfolger. — Die Ulttamagyaren
und die deutsche Colonisation. — List und Pulszky. — Reisende Ungarn und
ih>e Entdeckungen. — Gegen die Böhmen. — Finanzscandale. — Theater und
Dichter. — Wiener und Pesther Censur. — Volkszahl. — Literatur.

Es wird hier gegenwärtig eine zu Ehren des Palatins zu ver¬
anstaltende Feier vorbereitet, welcher an seinem Namenstage am 19.
März sein fünfzigjähriges Jubiläum als oberster Statthalter des
Königreichs Ungarn beging; da indeß dieser Tag in die heilige Char-
woche siel, so wurde die Feierlichkeit verschoben und wird erst in zwei
Wochen stattfinden können. Am 19. März des Jahres 1795, mitten
in dem Schlachtlärm des französischen Ncvolutionskrieges, wählten die
Stände des Reiches den damals noch jugendlichen Prinzen zum Pci-
latinus und es war keine geringe Aufgabe, die Vertreter der Nation
unter den schwierigsten Aeirverhältnissen den von dem Drang der
Nothwendigkeit erheischten Opfern an Geld und Blut geneigt zu
machen. Auch hatte Erzherzog Joseph im Anfang mit den Erinner¬
ungen an seineu Vorgänger zu kämpfen, den Erzherzog Alexander, der
von allen Klassen der Nation angebetet ward, und dessen tragisches
Ende die Phantasie des Volkes mit einem mystischen Schein um¬
kränzte. Der Palatinus Alexander war kurz nach der Enthüllung der
bekannten Verschwörung einiger Bischöfe und Magnaten, die später
in Pesth öffentlich hingerichtet wurden, nach Wien gereist und endete
zu Luxemburg beim Loszünden eines von ihm veranstalteten Feuer¬
werks auf die traurigste Weise. In der Folge waren es die Finanz-
krisen, die Sprachkämpfe und Religionsstreitigkciten, die den wackern
Staatsmann unaufhörlich in Anspruch nahmen und deren Lösung
hauptsächlich seiner weisen Vermittelung zu danken ist. Mit Aus¬
nahme der äußersten Linken, welche ihren separatistischen Zweck allein
im Auge hält, ehren alle Parteien in dem greisen Erzherzog den ge¬
mäßigten und würdevollen Repräsentanten der Negierung und die
Mehrzahl wäre allerdings geneigt, bei einem etwaigen Rücktritt dieses
ehrlich errungene Vertrauen auf seinen Sohn, den zu Prag fungi-
renden Erzherzog Stephan, zu übertragen, dessen treffliche Handhabung
der magyarischen Sprache ihn bei der großen Masse der Patrioten
nicht wenig empfiehlt.

Die Nachricht von den Colonisationsplanen, die von der Regie»
rung in Bezug auf Ungarn gehegt und verfolgt werden, finden hier
bei der herrschenden Partei keineswegs den gehofften Anklang. Die
Ultramagyaren erblicken in dem Bestreben, fremde Menschenkraft in
das in vielen Gegenden noch ziemlich öde Land zu leiten, blos einen
versteckten Angriff auf ihre Nationalisirungscntwürfe, mit denen es sich


Greiijbotm I84S. II. 17
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[0137] Hi. Aus Pest h. Der Palatin; sein Vorgänger und sein Nachfolger. — Die Ulttamagyaren und die deutsche Colonisation. — List und Pulszky. — Reisende Ungarn und ih>e Entdeckungen. — Gegen die Böhmen. — Finanzscandale. — Theater und Dichter. — Wiener und Pesther Censur. — Volkszahl. — Literatur. Es wird hier gegenwärtig eine zu Ehren des Palatins zu ver¬ anstaltende Feier vorbereitet, welcher an seinem Namenstage am 19. März sein fünfzigjähriges Jubiläum als oberster Statthalter des Königreichs Ungarn beging; da indeß dieser Tag in die heilige Char- woche siel, so wurde die Feierlichkeit verschoben und wird erst in zwei Wochen stattfinden können. Am 19. März des Jahres 1795, mitten in dem Schlachtlärm des französischen Ncvolutionskrieges, wählten die Stände des Reiches den damals noch jugendlichen Prinzen zum Pci- latinus und es war keine geringe Aufgabe, die Vertreter der Nation unter den schwierigsten Aeirverhältnissen den von dem Drang der Nothwendigkeit erheischten Opfern an Geld und Blut geneigt zu machen. Auch hatte Erzherzog Joseph im Anfang mit den Erinner¬ ungen an seineu Vorgänger zu kämpfen, den Erzherzog Alexander, der von allen Klassen der Nation angebetet ward, und dessen tragisches Ende die Phantasie des Volkes mit einem mystischen Schein um¬ kränzte. Der Palatinus Alexander war kurz nach der Enthüllung der bekannten Verschwörung einiger Bischöfe und Magnaten, die später in Pesth öffentlich hingerichtet wurden, nach Wien gereist und endete zu Luxemburg beim Loszünden eines von ihm veranstalteten Feuer¬ werks auf die traurigste Weise. In der Folge waren es die Finanz- krisen, die Sprachkämpfe und Religionsstreitigkciten, die den wackern Staatsmann unaufhörlich in Anspruch nahmen und deren Lösung hauptsächlich seiner weisen Vermittelung zu danken ist. Mit Aus¬ nahme der äußersten Linken, welche ihren separatistischen Zweck allein im Auge hält, ehren alle Parteien in dem greisen Erzherzog den ge¬ mäßigten und würdevollen Repräsentanten der Negierung und die Mehrzahl wäre allerdings geneigt, bei einem etwaigen Rücktritt dieses ehrlich errungene Vertrauen auf seinen Sohn, den zu Prag fungi- renden Erzherzog Stephan, zu übertragen, dessen treffliche Handhabung der magyarischen Sprache ihn bei der großen Masse der Patrioten nicht wenig empfiehlt. Die Nachricht von den Colonisationsplanen, die von der Regie» rung in Bezug auf Ungarn gehegt und verfolgt werden, finden hier bei der herrschenden Partei keineswegs den gehofften Anklang. Die Ultramagyaren erblicken in dem Bestreben, fremde Menschenkraft in das in vielen Gegenden noch ziemlich öde Land zu leiten, blos einen versteckten Angriff auf ihre Nationalisirungscntwürfe, mit denen es sich Greiijbotm I84S. II. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/137>, abgerufen am 27.04.2024.