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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Zur Geschichte deutschen Gerichtswesens.
(Mittheilungen aus den Protokollen eines oberschwcibischm Klosters.)
Von Sigmund Schott.



Zweite Abtheilung.

Die Gesittung der Unterthanen war im Allgemeinen sehr vernach¬
lässigt, wie dieß schon die vielen stets wiederkehrenden Strafen wegen
Schmähreden und blutiger Raufhändel beweisen. Die Wirthshäu¬
ser liefern den meisten Stoff zu Protokolleinträgen dieser Art. Prü-
gclscenen zwischen Mann und Frau, zwischen Geschwistern, ja selbst
zwischen Aeltern und Kindern sind nicht selten. Dieß mochte, Unter¬
stützung auch in dem Herkommen finden, daß die Bauern bei zuneh¬
mendem Alter ihre Güter einem Kinde abtraten, aber bis zu ihrem
Tode Wohnsitz und Tisch im Hause behielten. Da mußten sich denn
friedliche Interessen der Ernährer und der Ernährten, der Schwieger¬
mütter und Söhncrinnen, des durch die Erstgeburt in den Besitz des
F>ofes gekommenen Kindes und seiner ihm als Knechte und Mägde
dienenden Geschwister nothwendig durchkreuzen. 1727 z. B. muß ein
Bauer, der seinem Bruder im Zank ein Auge ausgeschlagen, diesem
zur Vergütung einen halben Morgen Land abtreten. Die Heirath
wird ganz als Zubehör zur bürgerlichen Niederlassung behandelt;
man handelt ganz aufrichtig um die Mitgift: findet ein Theil seine-
Gelderwartungen nicht befriedigt, so tritt er mit Angabe dieses Grun¬
des zurück. Ausnahmen von dieser abscheulichen Prosa wird eS
hoffentlich wohl gegeben haben. Wie roh es zugehen konnte, belegt
so das Protokoll vom 23. September 1759. Eine Wittwe, deren
Mann einen Theil seiner Verlassenschaft zu herkömmlichen Rückfalle
für seine Verwandte bestimmt hatte, ward verklagt: "daß sie zur öf¬
fentlichen Aergernuß der ganzen Gemaindt so halten die Trauer ab¬
gelegt und sich, als wollte sie zu einer Hochzeit!) gehen, angekleidet


Zur Geschichte deutschen Gerichtswesens.
(Mittheilungen aus den Protokollen eines oberschwcibischm Klosters.)
Von Sigmund Schott.



Zweite Abtheilung.

Die Gesittung der Unterthanen war im Allgemeinen sehr vernach¬
lässigt, wie dieß schon die vielen stets wiederkehrenden Strafen wegen
Schmähreden und blutiger Raufhändel beweisen. Die Wirthshäu¬
ser liefern den meisten Stoff zu Protokolleinträgen dieser Art. Prü-
gclscenen zwischen Mann und Frau, zwischen Geschwistern, ja selbst
zwischen Aeltern und Kindern sind nicht selten. Dieß mochte, Unter¬
stützung auch in dem Herkommen finden, daß die Bauern bei zuneh¬
mendem Alter ihre Güter einem Kinde abtraten, aber bis zu ihrem
Tode Wohnsitz und Tisch im Hause behielten. Da mußten sich denn
friedliche Interessen der Ernährer und der Ernährten, der Schwieger¬
mütter und Söhncrinnen, des durch die Erstgeburt in den Besitz des
F>ofes gekommenen Kindes und seiner ihm als Knechte und Mägde
dienenden Geschwister nothwendig durchkreuzen. 1727 z. B. muß ein
Bauer, der seinem Bruder im Zank ein Auge ausgeschlagen, diesem
zur Vergütung einen halben Morgen Land abtreten. Die Heirath
wird ganz als Zubehör zur bürgerlichen Niederlassung behandelt;
man handelt ganz aufrichtig um die Mitgift: findet ein Theil seine-
Gelderwartungen nicht befriedigt, so tritt er mit Angabe dieses Grun¬
des zurück. Ausnahmen von dieser abscheulichen Prosa wird eS
hoffentlich wohl gegeben haben. Wie roh es zugehen konnte, belegt
so das Protokoll vom 23. September 1759. Eine Wittwe, deren
Mann einen Theil seiner Verlassenschaft zu herkömmlichen Rückfalle
für seine Verwandte bestimmt hatte, ward verklagt: „daß sie zur öf¬
fentlichen Aergernuß der ganzen Gemaindt so halten die Trauer ab¬
gelegt und sich, als wollte sie zu einer Hochzeit!) gehen, angekleidet


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[0169] Zur Geschichte deutschen Gerichtswesens. (Mittheilungen aus den Protokollen eines oberschwcibischm Klosters.) Von Sigmund Schott. Zweite Abtheilung. Die Gesittung der Unterthanen war im Allgemeinen sehr vernach¬ lässigt, wie dieß schon die vielen stets wiederkehrenden Strafen wegen Schmähreden und blutiger Raufhändel beweisen. Die Wirthshäu¬ ser liefern den meisten Stoff zu Protokolleinträgen dieser Art. Prü- gclscenen zwischen Mann und Frau, zwischen Geschwistern, ja selbst zwischen Aeltern und Kindern sind nicht selten. Dieß mochte, Unter¬ stützung auch in dem Herkommen finden, daß die Bauern bei zuneh¬ mendem Alter ihre Güter einem Kinde abtraten, aber bis zu ihrem Tode Wohnsitz und Tisch im Hause behielten. Da mußten sich denn friedliche Interessen der Ernährer und der Ernährten, der Schwieger¬ mütter und Söhncrinnen, des durch die Erstgeburt in den Besitz des F>ofes gekommenen Kindes und seiner ihm als Knechte und Mägde dienenden Geschwister nothwendig durchkreuzen. 1727 z. B. muß ein Bauer, der seinem Bruder im Zank ein Auge ausgeschlagen, diesem zur Vergütung einen halben Morgen Land abtreten. Die Heirath wird ganz als Zubehör zur bürgerlichen Niederlassung behandelt; man handelt ganz aufrichtig um die Mitgift: findet ein Theil seine- Gelderwartungen nicht befriedigt, so tritt er mit Angabe dieses Grun¬ des zurück. Ausnahmen von dieser abscheulichen Prosa wird eS hoffentlich wohl gegeben haben. Wie roh es zugehen konnte, belegt so das Protokoll vom 23. September 1759. Eine Wittwe, deren Mann einen Theil seiner Verlassenschaft zu herkömmlichen Rückfalle für seine Verwandte bestimmt hatte, ward verklagt: „daß sie zur öf¬ fentlichen Aergernuß der ganzen Gemaindt so halten die Trauer ab¬ gelegt und sich, als wollte sie zu einer Hochzeit!) gehen, angekleidet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/169>, abgerufen am 27.04.2024.