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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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"l nel 1?ascari von Benedi, einem talentlosen Nachahmer Donizettis,
der selbst nur wieder ein schlechter Schüler Bellinis ist. Die Auf¬
nahme entsprach dem Werthe, überhaupt fängt unser Publicum zumal
das Deutsche an, vernünftig zu werden, nämlich strenge. Die ver¬
blaßte Stimme der Primadonna Gabusst erhielt keine Gnade und der
tonlose Tenor Calzolari ging wie ein Statist ab und zu; man macht
jetzt Wetten darauf, ob man ihn hören könne oder nicht, und bisher
hat die Partei, welche von ihm einen Kehlenlaut zu erhaschen hoffte,
noch immer verloren. Blos der Baritonist Bassini erhielt Beifall,
weil er ihn verdiente.

Im Hofburgthcater stagnirt Alles; es ist die Windstille vor einem
Sturme. Alle Matrosen sind der Meinung, so könne es nicht lan¬
ger bleiben, und der Himmel bedeckt sich nach allen Richtungen mit
schwarzen Wetterwolken. Das Schiff wird seinen Hafen finden, aber
ob auch unter demselben Capitän, das muß die nächste Zukunft zeigen.


2.")

Militärische Reformen. -- Kein Stock mehr. -- Die Ersatzmänner. -- Der
muthmaßliche Thronerbe- -- Aventheuer eines Damenconcertes. ^- Der ent¬
zauberte Bosco. -- Zauberinnen in Windeln.

Seit einigen Tagen sind wir Augenzeugen eines seltsamen Schau¬
spiels, indem nämlich in den frühen Morgenstunden auf dem Exerzier¬
platz der Garnison am Glacis Offiziere aller Grade mit Unteroffizie¬
ren und Gemeinen gemeinschaftlich in der Handhabung des neucrlasse-
nen Exerzierreglements eingeübt werden, das viele Mangel des bis jetzt
geltenden und im Jahre 18l)1 eingeführten Reglements beseitigen und
die Erfahrungen aller Heere Europa's auf eine nützliche Weise in
Betrachtung ziehen soll. Auch ist sehr lebhaft die Sprache von wei¬
teren Reformen in Betreff des Kriegswesens, wonach die Absicht be¬
stände, die Landwehrpflicht herabzusetzen, die gegenwärtig noch sechs
Jahre beträgt, den Gebrauch des Stockes ganz aufzuheben, Waffen-
rock und Helm einzuführen und die Stellvertretung in einer dem fran¬
zösischen System verwandten Art zu reguliren. Mit der Erstellung von
Ersatzmännern wird noch ein arger Unfug getrieben, bei dem sich
blos Einzelne unrechtmäßig bereichern, und das gemeine Beste überall
verbürgt erscheint. Die Quelle dieses Uebels liegt in der unbeschränk¬
ten persönlichen Freiheit, mit welcher diese Verhältnisse ohne Aussicht
der Militärbehörden und ohne Zwischenkunft unbetheiligter, vertrauens-



*) Wiederholt bitten wir unsere Correspondenten, die Absendung ihrer
Briefe so einrichten zu wollen, daß sie Montags in Leipzig anlangen.-- Ein
späteres Eintreffen nöthigt uns, sie entweder eine Woche liegen zu lassen, oder
um die>ein zu entgehen die Bogenzahl unserer Hefte zu überschreiten. Letzte¬
res haben wir diese Woche, so wie in der vorigen, thun müssen zum fünften
M ,D. Red. ale in einem Quartal. --
Grciizbotc" I"45. II.24

»l nel 1?ascari von Benedi, einem talentlosen Nachahmer Donizettis,
der selbst nur wieder ein schlechter Schüler Bellinis ist. Die Auf¬
nahme entsprach dem Werthe, überhaupt fängt unser Publicum zumal
das Deutsche an, vernünftig zu werden, nämlich strenge. Die ver¬
blaßte Stimme der Primadonna Gabusst erhielt keine Gnade und der
tonlose Tenor Calzolari ging wie ein Statist ab und zu; man macht
jetzt Wetten darauf, ob man ihn hören könne oder nicht, und bisher
hat die Partei, welche von ihm einen Kehlenlaut zu erhaschen hoffte,
noch immer verloren. Blos der Baritonist Bassini erhielt Beifall,
weil er ihn verdiente.

Im Hofburgthcater stagnirt Alles; es ist die Windstille vor einem
Sturme. Alle Matrosen sind der Meinung, so könne es nicht lan¬
ger bleiben, und der Himmel bedeckt sich nach allen Richtungen mit
schwarzen Wetterwolken. Das Schiff wird seinen Hafen finden, aber
ob auch unter demselben Capitän, das muß die nächste Zukunft zeigen.


2.»)

Militärische Reformen. — Kein Stock mehr. — Die Ersatzmänner. — Der
muthmaßliche Thronerbe- — Aventheuer eines Damenconcertes. ^- Der ent¬
zauberte Bosco. — Zauberinnen in Windeln.

Seit einigen Tagen sind wir Augenzeugen eines seltsamen Schau¬
spiels, indem nämlich in den frühen Morgenstunden auf dem Exerzier¬
platz der Garnison am Glacis Offiziere aller Grade mit Unteroffizie¬
ren und Gemeinen gemeinschaftlich in der Handhabung des neucrlasse-
nen Exerzierreglements eingeübt werden, das viele Mangel des bis jetzt
geltenden und im Jahre 18l)1 eingeführten Reglements beseitigen und
die Erfahrungen aller Heere Europa's auf eine nützliche Weise in
Betrachtung ziehen soll. Auch ist sehr lebhaft die Sprache von wei¬
teren Reformen in Betreff des Kriegswesens, wonach die Absicht be¬
stände, die Landwehrpflicht herabzusetzen, die gegenwärtig noch sechs
Jahre beträgt, den Gebrauch des Stockes ganz aufzuheben, Waffen-
rock und Helm einzuführen und die Stellvertretung in einer dem fran¬
zösischen System verwandten Art zu reguliren. Mit der Erstellung von
Ersatzmännern wird noch ein arger Unfug getrieben, bei dem sich
blos Einzelne unrechtmäßig bereichern, und das gemeine Beste überall
verbürgt erscheint. Die Quelle dieses Uebels liegt in der unbeschränk¬
ten persönlichen Freiheit, mit welcher diese Verhältnisse ohne Aussicht
der Militärbehörden und ohne Zwischenkunft unbetheiligter, vertrauens-



*) Wiederholt bitten wir unsere Correspondenten, die Absendung ihrer
Briefe so einrichten zu wollen, daß sie Montags in Leipzig anlangen.— Ein
späteres Eintreffen nöthigt uns, sie entweder eine Woche liegen zu lassen, oder
um die>ein zu entgehen die Bogenzahl unserer Hefte zu überschreiten. Letzte¬
res haben wir diese Woche, so wie in der vorigen, thun müssen zum fünften
M ,D. Red. ale in einem Quartal. —
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[0189] »l nel 1?ascari von Benedi, einem talentlosen Nachahmer Donizettis, der selbst nur wieder ein schlechter Schüler Bellinis ist. Die Auf¬ nahme entsprach dem Werthe, überhaupt fängt unser Publicum zumal das Deutsche an, vernünftig zu werden, nämlich strenge. Die ver¬ blaßte Stimme der Primadonna Gabusst erhielt keine Gnade und der tonlose Tenor Calzolari ging wie ein Statist ab und zu; man macht jetzt Wetten darauf, ob man ihn hören könne oder nicht, und bisher hat die Partei, welche von ihm einen Kehlenlaut zu erhaschen hoffte, noch immer verloren. Blos der Baritonist Bassini erhielt Beifall, weil er ihn verdiente. Im Hofburgthcater stagnirt Alles; es ist die Windstille vor einem Sturme. Alle Matrosen sind der Meinung, so könne es nicht lan¬ ger bleiben, und der Himmel bedeckt sich nach allen Richtungen mit schwarzen Wetterwolken. Das Schiff wird seinen Hafen finden, aber ob auch unter demselben Capitän, das muß die nächste Zukunft zeigen. 2.») Militärische Reformen. — Kein Stock mehr. — Die Ersatzmänner. — Der muthmaßliche Thronerbe- — Aventheuer eines Damenconcertes. ^- Der ent¬ zauberte Bosco. — Zauberinnen in Windeln. Seit einigen Tagen sind wir Augenzeugen eines seltsamen Schau¬ spiels, indem nämlich in den frühen Morgenstunden auf dem Exerzier¬ platz der Garnison am Glacis Offiziere aller Grade mit Unteroffizie¬ ren und Gemeinen gemeinschaftlich in der Handhabung des neucrlasse- nen Exerzierreglements eingeübt werden, das viele Mangel des bis jetzt geltenden und im Jahre 18l)1 eingeführten Reglements beseitigen und die Erfahrungen aller Heere Europa's auf eine nützliche Weise in Betrachtung ziehen soll. Auch ist sehr lebhaft die Sprache von wei¬ teren Reformen in Betreff des Kriegswesens, wonach die Absicht be¬ stände, die Landwehrpflicht herabzusetzen, die gegenwärtig noch sechs Jahre beträgt, den Gebrauch des Stockes ganz aufzuheben, Waffen- rock und Helm einzuführen und die Stellvertretung in einer dem fran¬ zösischen System verwandten Art zu reguliren. Mit der Erstellung von Ersatzmännern wird noch ein arger Unfug getrieben, bei dem sich blos Einzelne unrechtmäßig bereichern, und das gemeine Beste überall verbürgt erscheint. Die Quelle dieses Uebels liegt in der unbeschränk¬ ten persönlichen Freiheit, mit welcher diese Verhältnisse ohne Aussicht der Militärbehörden und ohne Zwischenkunft unbetheiligter, vertrauens- *) Wiederholt bitten wir unsere Correspondenten, die Absendung ihrer Briefe so einrichten zu wollen, daß sie Montags in Leipzig anlangen.— Ein späteres Eintreffen nöthigt uns, sie entweder eine Woche liegen zu lassen, oder um die>ein zu entgehen die Bogenzahl unserer Hefte zu überschreiten. Letzte¬ res haben wir diese Woche, so wie in der vorigen, thun müssen zum fünften M ,D. Red. ale in einem Quartal. — Grciizbotc» I»45. II.24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/189>, abgerufen am 27.04.2024.