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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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aber mit der Bandschleife am Frack dirigiren zu sehen, erschien
ihnen denn vollends als ein Ausbruch besonderer Eitelkeit, und die
Spannung zwischen den Mitgliedern des Orchesters und Herrn Nikolai
wurde endlich so groß, daß jeder Gehorsam aufhörte und das Ein¬
schreiten der Direction nöthig wurde. In Folge dieser Vorfälle löste
sich auch das Verhältniß Nikolais zu dem Institut der Philharmoni¬
schen Concerte auf, welches von ihm gegründet worden, und das
Orchester stellte ein berühmtes Mitglied, den Professor Hellmesbcrger,
der mit seinen reichbegabten Söhnen im verflossenen Jahre eine deut¬
sche Kunstreise gemacht, an die Spitze. Die Philharmonischen Con¬
certe haben dadurch eine wesentlich republicanische Verfassung erhalten.


IV.
Aus Breslau.

nachträgliches über Schlöffet's Verhaftung. -- Schriftstellerversammlung. --
Inconsequenz des Landtags. -- Dr. Schweitzer und die Theatergeschäste.

Fast möchte man an politische Ahnungen glauben. Herr Schlöf¬
fet erbittet ein Gesetz für größere Sicherung der persönlichen Freiheit,
und nach einigen Wochen muß an ihm selbst der Beweis geliefert
werden, wie nothwendig ein solches ist. Sie werden aus den öffent¬
lichen Blattern zum Theil erfahren haben, wie man mit diesem höchst
ehrenwerthen und geachteten Manne Ball gespielt. Wahrend er an
offener Wirthstafel zu Breslau fortgeholt wird, durchstöbert die Poli¬
zei sein Familienhaus von dem untersten Kellerraum bis zur obersten
Dachkammer, sogar mit Hintenansetzung der allen Menschen beiwoh¬
nenden Höflichkeit gegen Damen. Bald darauf glaubt man sich geirrt
zu haben und gibt Herrn Schlösset frei, aber diese Freiheit ist wieder
ein Irrthum, und er wird abermals festgenommen und zwar unter
Umständen, die wir bis jetzt für unmöglich gehalten haben. Unsere
Stadtverordneten gehen mit der Absicht um, die Majestät des Königs
hiervon zu avertiren. -- Und die Gründe eines solchen Verfahrens wider
Herrn Schlöffel? Es eristirt im Hirschverger Thale eine Hochverrä¬
therische Verschwörung, deren Haupt Herr Schlöffel sein soll -- sagen
die Gouvernementalen. Die erste Behauptung beruht ebenso wie die
letzte auf Voraussetzung. In Schlesien und gerade in dem Theile,
wo die Armuth noch nicht so gar groß, eine communistische Con-
spiration und das Haupt dieser Conspiration ein Mann, den wir bis
jetzt als eifrigen Gegner des Communismus gekannt haben -- nein,
diese Annahmen weisen wieder zu deutlich auf jenen allbekannten po¬
lizeilichen Apriorismus hin. Das ist ein trauriges Stück deutscher
Geschichte und doch scheint es, als wenn das Punktum noch nicht
gesetzt wäre. Das Traurigste dabei ist jedoch, daß bei solchen Gele¬
genheiten alle Gesetze, als wären sie blos gegeben, um von Juri-


aber mit der Bandschleife am Frack dirigiren zu sehen, erschien
ihnen denn vollends als ein Ausbruch besonderer Eitelkeit, und die
Spannung zwischen den Mitgliedern des Orchesters und Herrn Nikolai
wurde endlich so groß, daß jeder Gehorsam aufhörte und das Ein¬
schreiten der Direction nöthig wurde. In Folge dieser Vorfälle löste
sich auch das Verhältniß Nikolais zu dem Institut der Philharmoni¬
schen Concerte auf, welches von ihm gegründet worden, und das
Orchester stellte ein berühmtes Mitglied, den Professor Hellmesbcrger,
der mit seinen reichbegabten Söhnen im verflossenen Jahre eine deut¬
sche Kunstreise gemacht, an die Spitze. Die Philharmonischen Con¬
certe haben dadurch eine wesentlich republicanische Verfassung erhalten.


IV.
Aus Breslau.

nachträgliches über Schlöffet's Verhaftung. — Schriftstellerversammlung. —
Inconsequenz des Landtags. — Dr. Schweitzer und die Theatergeschäste.

Fast möchte man an politische Ahnungen glauben. Herr Schlöf¬
fet erbittet ein Gesetz für größere Sicherung der persönlichen Freiheit,
und nach einigen Wochen muß an ihm selbst der Beweis geliefert
werden, wie nothwendig ein solches ist. Sie werden aus den öffent¬
lichen Blattern zum Theil erfahren haben, wie man mit diesem höchst
ehrenwerthen und geachteten Manne Ball gespielt. Wahrend er an
offener Wirthstafel zu Breslau fortgeholt wird, durchstöbert die Poli¬
zei sein Familienhaus von dem untersten Kellerraum bis zur obersten
Dachkammer, sogar mit Hintenansetzung der allen Menschen beiwoh¬
nenden Höflichkeit gegen Damen. Bald darauf glaubt man sich geirrt
zu haben und gibt Herrn Schlösset frei, aber diese Freiheit ist wieder
ein Irrthum, und er wird abermals festgenommen und zwar unter
Umständen, die wir bis jetzt für unmöglich gehalten haben. Unsere
Stadtverordneten gehen mit der Absicht um, die Majestät des Königs
hiervon zu avertiren. — Und die Gründe eines solchen Verfahrens wider
Herrn Schlöffel? Es eristirt im Hirschverger Thale eine Hochverrä¬
therische Verschwörung, deren Haupt Herr Schlöffel sein soll — sagen
die Gouvernementalen. Die erste Behauptung beruht ebenso wie die
letzte auf Voraussetzung. In Schlesien und gerade in dem Theile,
wo die Armuth noch nicht so gar groß, eine communistische Con-
spiration und das Haupt dieser Conspiration ein Mann, den wir bis
jetzt als eifrigen Gegner des Communismus gekannt haben — nein,
diese Annahmen weisen wieder zu deutlich auf jenen allbekannten po¬
lizeilichen Apriorismus hin. Das ist ein trauriges Stück deutscher
Geschichte und doch scheint es, als wenn das Punktum noch nicht
gesetzt wäre. Das Traurigste dabei ist jedoch, daß bei solchen Gele¬
genheiten alle Gesetze, als wären sie blos gegeben, um von Juri-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/194>, abgerufen am 27.04.2024.