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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Leop. Schweitzer, so scheint es uns, faßt das Ding beim rechten Ende
an: er weiß die Interessen der Kunst mit dem Materialismus der
Kasse in Einklang zu bringen. Während Herr v. Holtei nur seinen
Ideen und Capricen Gehör gab, unbekümmert darum, ob das Publi-
cum seine Anordnungen goutirte oder nicht, dirigirt Herr Schweitzer
mehr aus dem Publicum heraus. Da er seit so und so langer Zeit
als Breslauer Schriftsteller sein Publicum zu studiren verpflichtet war,
so wird es ihm leicht, dieses "vielköpfige Ungeheuer" von der rechten
Seite zu fassen. Von den Theaternovitäten erwähne ich nur Bauern¬
felds "Ein deutscher Krieger," der hier sehr gefallen hat, trotz seines
ganz aus dem Jetzt Wiens hervorgegangenen exclustven Deutschthums.
"Der Graf von Jrun," nach dem Französischen von W. Friedrich,
verspricht nach dem Erfolge der ersten Aufführung ein Cassenstück zu
werden, besonders auch wohl deswegen, weil Herr Hegel die Titelrolle
x. in ausgezeichneter Auffassung gibt.


V.
Aus Prag.

Das Land nach der Überschwemmung. -- Böhmen und Hamburg. -- Der
Prinz-Statthalter..-- Die Drängenden und die Ruhigen. -- Politische
Pädagogik.

Bevor diese Zeilen unter die Hände Ihrer Setzer kommen, haben
wahrscheinlich die deutschen Zeitungen das große Unglück, das unser
Land getroffen, in seiner Lange und Breite, schwerlich aber in seiner
Tiefe, beschrieben. Unsere hiesigen Zeitungen, die Prager, die Bohemia,
Ost und West nebst seiner Beilage haben mit lobenswerthem Eifer
alle bekannt gewordenen Einzelnheiten der schrecklichen Überschwemmung
geschildert. Die Presse ist diesmal der Regierung ein willkommenes
Werkzeug geworden, die öffentliche Theilnahme zu stacheln. Und wahr¬
lich, nie hat diese ein Land durch fürchterlichere Noth verdient, als
Böhmen im jetzigen Augenblicke. Unsere ungeregelte Moldau, unsere
trotz aller sogenannten Schisssfrciheit so unfreie Elbe haben durch ein
halbes Jahrhundert unserem Lande nicht so vielen Wohlstand gebracht,
als sie in einer halben Woche zerstörten. Ja, hätten sie nur Wohl¬
stand untergraben! Aber sie thaten Schlimmeres als dies, sie über¬
schwemmten die Armuth, das bischen Armuth der Aermsten. Die
Wuth des Gewässers hat ganz das System unserer Besteuerung an¬
genommen, von den dürftigsten Klassen hat es die meisten Steuern
gefordert. Wer jetzt durch Böhmen reisen würde -- er glaubte sich ver¬
setzt in die Zeit, wo die Taboritten durch das Land gezogen, oder in die
Nachzeit des dreißigjährigen Krieges. Eingestürzte Häuser, verschwun¬
dene Dörfer, irrende Familien, Händeringcn und Verzweiflung, als
hatten plündernde Horden mit Schwert und Brand allenthalben ge-


Leop. Schweitzer, so scheint es uns, faßt das Ding beim rechten Ende
an: er weiß die Interessen der Kunst mit dem Materialismus der
Kasse in Einklang zu bringen. Während Herr v. Holtei nur seinen
Ideen und Capricen Gehör gab, unbekümmert darum, ob das Publi-
cum seine Anordnungen goutirte oder nicht, dirigirt Herr Schweitzer
mehr aus dem Publicum heraus. Da er seit so und so langer Zeit
als Breslauer Schriftsteller sein Publicum zu studiren verpflichtet war,
so wird es ihm leicht, dieses „vielköpfige Ungeheuer" von der rechten
Seite zu fassen. Von den Theaternovitäten erwähne ich nur Bauern¬
felds „Ein deutscher Krieger," der hier sehr gefallen hat, trotz seines
ganz aus dem Jetzt Wiens hervorgegangenen exclustven Deutschthums.
„Der Graf von Jrun," nach dem Französischen von W. Friedrich,
verspricht nach dem Erfolge der ersten Aufführung ein Cassenstück zu
werden, besonders auch wohl deswegen, weil Herr Hegel die Titelrolle
x. in ausgezeichneter Auffassung gibt.


V.
Aus Prag.

Das Land nach der Überschwemmung. — Böhmen und Hamburg. — Der
Prinz-Statthalter..— Die Drängenden und die Ruhigen. — Politische
Pädagogik.

Bevor diese Zeilen unter die Hände Ihrer Setzer kommen, haben
wahrscheinlich die deutschen Zeitungen das große Unglück, das unser
Land getroffen, in seiner Lange und Breite, schwerlich aber in seiner
Tiefe, beschrieben. Unsere hiesigen Zeitungen, die Prager, die Bohemia,
Ost und West nebst seiner Beilage haben mit lobenswerthem Eifer
alle bekannt gewordenen Einzelnheiten der schrecklichen Überschwemmung
geschildert. Die Presse ist diesmal der Regierung ein willkommenes
Werkzeug geworden, die öffentliche Theilnahme zu stacheln. Und wahr¬
lich, nie hat diese ein Land durch fürchterlichere Noth verdient, als
Böhmen im jetzigen Augenblicke. Unsere ungeregelte Moldau, unsere
trotz aller sogenannten Schisssfrciheit so unfreie Elbe haben durch ein
halbes Jahrhundert unserem Lande nicht so vielen Wohlstand gebracht,
als sie in einer halben Woche zerstörten. Ja, hätten sie nur Wohl¬
stand untergraben! Aber sie thaten Schlimmeres als dies, sie über¬
schwemmten die Armuth, das bischen Armuth der Aermsten. Die
Wuth des Gewässers hat ganz das System unserer Besteuerung an¬
genommen, von den dürftigsten Klassen hat es die meisten Steuern
gefordert. Wer jetzt durch Böhmen reisen würde — er glaubte sich ver¬
setzt in die Zeit, wo die Taboritten durch das Land gezogen, oder in die
Nachzeit des dreißigjährigen Krieges. Eingestürzte Häuser, verschwun¬
dene Dörfer, irrende Familien, Händeringcn und Verzweiflung, als
hatten plündernde Horden mit Schwert und Brand allenthalben ge-


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[0196] Leop. Schweitzer, so scheint es uns, faßt das Ding beim rechten Ende an: er weiß die Interessen der Kunst mit dem Materialismus der Kasse in Einklang zu bringen. Während Herr v. Holtei nur seinen Ideen und Capricen Gehör gab, unbekümmert darum, ob das Publi- cum seine Anordnungen goutirte oder nicht, dirigirt Herr Schweitzer mehr aus dem Publicum heraus. Da er seit so und so langer Zeit als Breslauer Schriftsteller sein Publicum zu studiren verpflichtet war, so wird es ihm leicht, dieses „vielköpfige Ungeheuer" von der rechten Seite zu fassen. Von den Theaternovitäten erwähne ich nur Bauern¬ felds „Ein deutscher Krieger," der hier sehr gefallen hat, trotz seines ganz aus dem Jetzt Wiens hervorgegangenen exclustven Deutschthums. „Der Graf von Jrun," nach dem Französischen von W. Friedrich, verspricht nach dem Erfolge der ersten Aufführung ein Cassenstück zu werden, besonders auch wohl deswegen, weil Herr Hegel die Titelrolle x. in ausgezeichneter Auffassung gibt. V. Aus Prag. Das Land nach der Überschwemmung. — Böhmen und Hamburg. — Der Prinz-Statthalter..— Die Drängenden und die Ruhigen. — Politische Pädagogik. Bevor diese Zeilen unter die Hände Ihrer Setzer kommen, haben wahrscheinlich die deutschen Zeitungen das große Unglück, das unser Land getroffen, in seiner Lange und Breite, schwerlich aber in seiner Tiefe, beschrieben. Unsere hiesigen Zeitungen, die Prager, die Bohemia, Ost und West nebst seiner Beilage haben mit lobenswerthem Eifer alle bekannt gewordenen Einzelnheiten der schrecklichen Überschwemmung geschildert. Die Presse ist diesmal der Regierung ein willkommenes Werkzeug geworden, die öffentliche Theilnahme zu stacheln. Und wahr¬ lich, nie hat diese ein Land durch fürchterlichere Noth verdient, als Böhmen im jetzigen Augenblicke. Unsere ungeregelte Moldau, unsere trotz aller sogenannten Schisssfrciheit so unfreie Elbe haben durch ein halbes Jahrhundert unserem Lande nicht so vielen Wohlstand gebracht, als sie in einer halben Woche zerstörten. Ja, hätten sie nur Wohl¬ stand untergraben! Aber sie thaten Schlimmeres als dies, sie über¬ schwemmten die Armuth, das bischen Armuth der Aermsten. Die Wuth des Gewässers hat ganz das System unserer Besteuerung an¬ genommen, von den dürftigsten Klassen hat es die meisten Steuern gefordert. Wer jetzt durch Böhmen reisen würde — er glaubte sich ver¬ setzt in die Zeit, wo die Taboritten durch das Land gezogen, oder in die Nachzeit des dreißigjährigen Krieges. Eingestürzte Häuser, verschwun¬ dene Dörfer, irrende Familien, Händeringcn und Verzweiflung, als hatten plündernde Horden mit Schwert und Brand allenthalben ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/196>, abgerufen am 27.04.2024.