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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Wanderungen durch München.
Von einer Süddeutschen.



Zweite und letzte Abtheilung.

Ich habe Dir von den Lebenden Manches erzählt, warum nicht
auch etwas von den Todten, in denen man jene mit manchen Zügen
erst ganz kennen lernt. Vom Sendlingerthor an begegnet man schon
Leuten, die mit traurigen Mienen vom Gottesacker zurückkommen oder
mit Blumen und Kränzen hingehen. Wie einem im Weltleben heiße
Sehnsucht faßt nach der einsamen Natur, so in dieser Leichcnstadt
nach einem einsamen Grabe. In Gesellschaft zu modern, ein grä߬
licher Gedanke, denn der Tod ist ein heiliges Geheimniß im Busen
der Natur. Auf solchen großen Sterbegefilden wird er zum Markte.
Dieses Meer von Gräbern, diese erstarrten Wogen! Dazu der Aus¬
bund von Philisterei, die Monumente in Schränken, in Futteralen,
die nur an Galla-, d. h. an Allerseelentagen, geöffnet werden; der
Büsten gar nicht zu gedenken, die gleichsam strangulirt sind von einem
Halbwelten Blumengewinde. Etwas Zopfmäßigcs liegt darin, daß
auf jedem Denkmale: "Familie so und so" steht, auch der Name des
Sculptors groß in der Ecke. Besonders oft kommt eine Witwe vor,
welche ich Anfangs für die Leidtragende hielt, die aber immer wie¬
derkehrte und also endlich doch nicht Mutter, Gattin, Waise und
Schwester der ganzen Welt, sondern nur Inhaberin einer Fabrik sein
konnte. Ich möchte doch keine von den Enstenzen, die reich und
fett vom Jammer werden. Jedes Denkmal hat so eine Art von
Hausnummer. Das Gothische herrscht vor und verdrängte völlig die
schwebenden Genien. Kaum daß noch hier und da ein Grabmal
auftaucht, in Grün versunken, grau und bemoost, von Büschen übe"


Gr-nzbotci,, I""s. it. 28
Wanderungen durch München.
Von einer Süddeutschen.



Zweite und letzte Abtheilung.

Ich habe Dir von den Lebenden Manches erzählt, warum nicht
auch etwas von den Todten, in denen man jene mit manchen Zügen
erst ganz kennen lernt. Vom Sendlingerthor an begegnet man schon
Leuten, die mit traurigen Mienen vom Gottesacker zurückkommen oder
mit Blumen und Kränzen hingehen. Wie einem im Weltleben heiße
Sehnsucht faßt nach der einsamen Natur, so in dieser Leichcnstadt
nach einem einsamen Grabe. In Gesellschaft zu modern, ein grä߬
licher Gedanke, denn der Tod ist ein heiliges Geheimniß im Busen
der Natur. Auf solchen großen Sterbegefilden wird er zum Markte.
Dieses Meer von Gräbern, diese erstarrten Wogen! Dazu der Aus¬
bund von Philisterei, die Monumente in Schränken, in Futteralen,
die nur an Galla-, d. h. an Allerseelentagen, geöffnet werden; der
Büsten gar nicht zu gedenken, die gleichsam strangulirt sind von einem
Halbwelten Blumengewinde. Etwas Zopfmäßigcs liegt darin, daß
auf jedem Denkmale: „Familie so und so" steht, auch der Name des
Sculptors groß in der Ecke. Besonders oft kommt eine Witwe vor,
welche ich Anfangs für die Leidtragende hielt, die aber immer wie¬
derkehrte und also endlich doch nicht Mutter, Gattin, Waise und
Schwester der ganzen Welt, sondern nur Inhaberin einer Fabrik sein
konnte. Ich möchte doch keine von den Enstenzen, die reich und
fett vom Jammer werden. Jedes Denkmal hat so eine Art von
Hausnummer. Das Gothische herrscht vor und verdrängte völlig die
schwebenden Genien. Kaum daß noch hier und da ein Grabmal
auftaucht, in Grün versunken, grau und bemoost, von Büschen übe»


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[0217] Wanderungen durch München. Von einer Süddeutschen. Zweite und letzte Abtheilung. Ich habe Dir von den Lebenden Manches erzählt, warum nicht auch etwas von den Todten, in denen man jene mit manchen Zügen erst ganz kennen lernt. Vom Sendlingerthor an begegnet man schon Leuten, die mit traurigen Mienen vom Gottesacker zurückkommen oder mit Blumen und Kränzen hingehen. Wie einem im Weltleben heiße Sehnsucht faßt nach der einsamen Natur, so in dieser Leichcnstadt nach einem einsamen Grabe. In Gesellschaft zu modern, ein grä߬ licher Gedanke, denn der Tod ist ein heiliges Geheimniß im Busen der Natur. Auf solchen großen Sterbegefilden wird er zum Markte. Dieses Meer von Gräbern, diese erstarrten Wogen! Dazu der Aus¬ bund von Philisterei, die Monumente in Schränken, in Futteralen, die nur an Galla-, d. h. an Allerseelentagen, geöffnet werden; der Büsten gar nicht zu gedenken, die gleichsam strangulirt sind von einem Halbwelten Blumengewinde. Etwas Zopfmäßigcs liegt darin, daß auf jedem Denkmale: „Familie so und so" steht, auch der Name des Sculptors groß in der Ecke. Besonders oft kommt eine Witwe vor, welche ich Anfangs für die Leidtragende hielt, die aber immer wie¬ derkehrte und also endlich doch nicht Mutter, Gattin, Waise und Schwester der ganzen Welt, sondern nur Inhaberin einer Fabrik sein konnte. Ich möchte doch keine von den Enstenzen, die reich und fett vom Jammer werden. Jedes Denkmal hat so eine Art von Hausnummer. Das Gothische herrscht vor und verdrängte völlig die schwebenden Genien. Kaum daß noch hier und da ein Grabmal auftaucht, in Grün versunken, grau und bemoost, von Büschen übe» Gr-nzbotci,, I»«s. it. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/217>, abgerufen am 27.04.2024.