Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin Brief aus Nizza.



Liebe--

Diese Zeilen sind endlich wieder der erste Versuch schriftlicher
Anstrengung. Wie wohl thut es, wenn nach und nach mit der
Rückkehr der Gesundheit auch die Seelenkräfte erstarken! Noch im¬
mer indeß schwebt, wie das Schwert des Demokles, die Gefahr über
meinem Haupte, durch die geringste Erkältung Körper und Geist
auf'S Neue zerstört zu sehen. Soll ich leben, nicht vegetiren, muß
ich den Gebrauch meiner fünf Sinne wünschen, und Gott sei geprie¬
sen, es ist Hoffnung da, mir diese zu erhalten. Was man unter
solchen Umständen in fremdem Lande leidet, darüber will ich schwei¬
gen. Nur Hände, deren Dienste sich mit Geld erkaufen ließen, konn¬
ten für meine Pflege thätig sein, so lange meine Nähe Gefahr brin¬
gend war. So blieb ich denn zwei lange Monde muttcrselig allein,
und während bei Euch die fröhlichen Lichter an Weihnachtsbäumen
brannten, blieb mir nicht einmal für die Freude Anderer etwas zu
thun übrig, als meiner Wärterin zu erlauben, mich auf einige
Stunden zu verlassen. Fügungen des Schicksals -- wer kann sich
denselben entziehen? Meine Pläne, Wünsche, Hoffnungen waren
auf Sand gebaut, wie daS wohl manchmal so geht, und das schöne
Italien mit seinen Orangcnhainen, dem ich wie einem gelobten Lande
zueilte, ist mir ein elender Kerker geworden. Doch ist es schön hier.



Dieser Brief, von einer jungen deutschen Dame, die gegenwärtig in
Nizza lebt, war keineswegs für die Oeffentlichkeit bestimmt. Die Details in
demselben tragen daher ganz den Stempel einer Familienmittheilung. Die
Tante der Bricfstellerin, eine unserer geachtersten Schriftstellerinnen, hatte die
Freundlichkeit, dieses Schreiben uns zur Benutzung für die Grenzboten mitzu¬
theilen, und wir haben, um ihm nichts von seinem Charakter zu entziehen,
wenig daran geändert und nur einige dem Privatleben zugehöd Stellen
rene
D. Red. ausgelassen.
Gtcnzl'öde" Isis. II. 32
Gin Brief aus Nizza.



Liebe--

Diese Zeilen sind endlich wieder der erste Versuch schriftlicher
Anstrengung. Wie wohl thut es, wenn nach und nach mit der
Rückkehr der Gesundheit auch die Seelenkräfte erstarken! Noch im¬
mer indeß schwebt, wie das Schwert des Demokles, die Gefahr über
meinem Haupte, durch die geringste Erkältung Körper und Geist
auf'S Neue zerstört zu sehen. Soll ich leben, nicht vegetiren, muß
ich den Gebrauch meiner fünf Sinne wünschen, und Gott sei geprie¬
sen, es ist Hoffnung da, mir diese zu erhalten. Was man unter
solchen Umständen in fremdem Lande leidet, darüber will ich schwei¬
gen. Nur Hände, deren Dienste sich mit Geld erkaufen ließen, konn¬
ten für meine Pflege thätig sein, so lange meine Nähe Gefahr brin¬
gend war. So blieb ich denn zwei lange Monde muttcrselig allein,
und während bei Euch die fröhlichen Lichter an Weihnachtsbäumen
brannten, blieb mir nicht einmal für die Freude Anderer etwas zu
thun übrig, als meiner Wärterin zu erlauben, mich auf einige
Stunden zu verlassen. Fügungen des Schicksals — wer kann sich
denselben entziehen? Meine Pläne, Wünsche, Hoffnungen waren
auf Sand gebaut, wie daS wohl manchmal so geht, und das schöne
Italien mit seinen Orangcnhainen, dem ich wie einem gelobten Lande
zueilte, ist mir ein elender Kerker geworden. Doch ist es schön hier.



Dieser Brief, von einer jungen deutschen Dame, die gegenwärtig in
Nizza lebt, war keineswegs für die Oeffentlichkeit bestimmt. Die Details in
demselben tragen daher ganz den Stempel einer Familienmittheilung. Die
Tante der Bricfstellerin, eine unserer geachtersten Schriftstellerinnen, hatte die
Freundlichkeit, dieses Schreiben uns zur Benutzung für die Grenzboten mitzu¬
theilen, und wir haben, um ihm nichts von seinem Charakter zu entziehen,
wenig daran geändert und nur einige dem Privatleben zugehöd Stellen
rene
D. Red. ausgelassen.
Gtcnzl'öde» Isis. II. 32
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0249" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270308"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Gin Brief aus Nizza.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="salute"> Liebe--</note><lb/>
          <p xml:id="ID_633" next="#ID_634"> Diese Zeilen sind endlich wieder der erste Versuch schriftlicher<lb/>
Anstrengung. Wie wohl thut es, wenn nach und nach mit der<lb/>
Rückkehr der Gesundheit auch die Seelenkräfte erstarken! Noch im¬<lb/>
mer indeß schwebt, wie das Schwert des Demokles, die Gefahr über<lb/>
meinem Haupte, durch die geringste Erkältung Körper und Geist<lb/>
auf'S Neue zerstört zu sehen. Soll ich leben, nicht vegetiren, muß<lb/>
ich den Gebrauch meiner fünf Sinne wünschen, und Gott sei geprie¬<lb/>
sen, es ist Hoffnung da, mir diese zu erhalten. Was man unter<lb/>
solchen Umständen in fremdem Lande leidet, darüber will ich schwei¬<lb/>
gen. Nur Hände, deren Dienste sich mit Geld erkaufen ließen, konn¬<lb/>
ten für meine Pflege thätig sein, so lange meine Nähe Gefahr brin¬<lb/>
gend war. So blieb ich denn zwei lange Monde muttcrselig allein,<lb/>
und während bei Euch die fröhlichen Lichter an Weihnachtsbäumen<lb/>
brannten, blieb mir nicht einmal für die Freude Anderer etwas zu<lb/>
thun übrig, als meiner Wärterin zu erlauben, mich auf einige<lb/>
Stunden zu verlassen. Fügungen des Schicksals &#x2014; wer kann sich<lb/>
denselben entziehen? Meine Pläne, Wünsche, Hoffnungen waren<lb/>
auf Sand gebaut, wie daS wohl manchmal so geht, und das schöne<lb/>
Italien mit seinen Orangcnhainen, dem ich wie einem gelobten Lande<lb/>
zueilte, ist mir ein elender Kerker geworden. Doch ist es schön hier.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_24" place="foot"> Dieser Brief, von einer jungen deutschen Dame, die gegenwärtig in<lb/>
Nizza lebt, war keineswegs für die Oeffentlichkeit bestimmt. Die Details in<lb/>
demselben tragen daher ganz den Stempel einer Familienmittheilung. Die<lb/>
Tante der Bricfstellerin, eine unserer geachtersten Schriftstellerinnen, hatte die<lb/>
Freundlichkeit, dieses Schreiben uns zur Benutzung für die Grenzboten mitzu¬<lb/>
theilen, und wir haben, um ihm nichts von seinem Charakter zu entziehen,<lb/>
wenig daran geändert und nur einige dem Privatleben zugehöd Stellen<lb/><note type="byline"> rene<lb/>
D. Red.</note> ausgelassen. </note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gtcnzl'öde» Isis. II. 32</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0249] Gin Brief aus Nizza. Liebe-- Diese Zeilen sind endlich wieder der erste Versuch schriftlicher Anstrengung. Wie wohl thut es, wenn nach und nach mit der Rückkehr der Gesundheit auch die Seelenkräfte erstarken! Noch im¬ mer indeß schwebt, wie das Schwert des Demokles, die Gefahr über meinem Haupte, durch die geringste Erkältung Körper und Geist auf'S Neue zerstört zu sehen. Soll ich leben, nicht vegetiren, muß ich den Gebrauch meiner fünf Sinne wünschen, und Gott sei geprie¬ sen, es ist Hoffnung da, mir diese zu erhalten. Was man unter solchen Umständen in fremdem Lande leidet, darüber will ich schwei¬ gen. Nur Hände, deren Dienste sich mit Geld erkaufen ließen, konn¬ ten für meine Pflege thätig sein, so lange meine Nähe Gefahr brin¬ gend war. So blieb ich denn zwei lange Monde muttcrselig allein, und während bei Euch die fröhlichen Lichter an Weihnachtsbäumen brannten, blieb mir nicht einmal für die Freude Anderer etwas zu thun übrig, als meiner Wärterin zu erlauben, mich auf einige Stunden zu verlassen. Fügungen des Schicksals — wer kann sich denselben entziehen? Meine Pläne, Wünsche, Hoffnungen waren auf Sand gebaut, wie daS wohl manchmal so geht, und das schöne Italien mit seinen Orangcnhainen, dem ich wie einem gelobten Lande zueilte, ist mir ein elender Kerker geworden. Doch ist es schön hier. Dieser Brief, von einer jungen deutschen Dame, die gegenwärtig in Nizza lebt, war keineswegs für die Oeffentlichkeit bestimmt. Die Details in demselben tragen daher ganz den Stempel einer Familienmittheilung. Die Tante der Bricfstellerin, eine unserer geachtersten Schriftstellerinnen, hatte die Freundlichkeit, dieses Schreiben uns zur Benutzung für die Grenzboten mitzu¬ theilen, und wir haben, um ihm nichts von seinem Charakter zu entziehen, wenig daran geändert und nur einige dem Privatleben zugehöd Stellen rene D. Red. ausgelassen. Gtcnzl'öde» Isis. II. 32

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/249
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/249>, abgerufen am 27.04.2024.