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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Das Rendezvous.
(Aus dem Wandcrbuche eines verabschiedeten Lanzknechteö.)



Wir waren auf dem Durchmärsche durch N...., ein franzö¬
sisches Städtchen. -- Mit meinem Kameraden, Oberlieutenant P...,
wurden wir im Kütel ... einquarrirt. Jeder erhielt eine Stube;
da aber das ganze Haus großentheils von einem hohen russischen
Generale und dessen zahlreichem Gefolge besetzt war, außerdem viele
Fremde, welche auf der Rückreise von Pyrmont nach Spaa begriffen
waren, eben daselbst Unterkunft gesucht hatten, so ersuchte uns die
Wirthin, nachdem sie uns unsere Zimmer zuvörderst im ersten Ge¬
schosse angewiesen hatte, dieselben, und zwar dieselben Nummern, im
zweiten beziehen zu wollen, da eben eine französische Familie ange¬
kommen sei, für die sie durchaus keine passende Wohnung finden
könne, als eben die bis jetzt von uns bezogene. Es war uns
um so leichter, dieser zu entsagen, da wir sie kaum betreten, son¬
dern naß und müde, hungrig und durstig, gleich nach vollzogenen
Dienstgeschäfte in dem allgemeinen Gastzimmer bei einem guten Im¬
biß, einer Flasche Bordeaux und einem warmen Kaminfeuer, unsern
Aufenthalt gewählt hatten. Die Wirthin verstand, wie es schien,
das menschliche Herz, und war eine erfahrene Psychologin, daß sie
ihr Ansuchen bis Nachmittag verschob; denn zweifelsohne ist der
Mensch nach einem guten Mittagsmahle, zwischen Kaffee und Liqueur,
und die dampfende Pfeife im Munde, weit gemüthlicher, als wenn
man ihn hungrig und frierend anspricht. Im ersten Falle ist es
Bedürfniß, unser Wohlsein auf Alles auszudehnen, was uns umgibt,
im zweiten aber prävalirt das wilde Thier, und der Mensch hat
etwas von der Wolfsnatur. Noch mehr aber bewies die Wirthin
ihre richtige moralische Tactik dadurch, daß sie ihre Sendung einer
allerliebsten kleinen Aufwärterin anvertraute. Ein schlankes schwarz-


Das Rendezvous.
(Aus dem Wandcrbuche eines verabschiedeten Lanzknechteö.)



Wir waren auf dem Durchmärsche durch N...., ein franzö¬
sisches Städtchen. — Mit meinem Kameraden, Oberlieutenant P...,
wurden wir im Kütel ... einquarrirt. Jeder erhielt eine Stube;
da aber das ganze Haus großentheils von einem hohen russischen
Generale und dessen zahlreichem Gefolge besetzt war, außerdem viele
Fremde, welche auf der Rückreise von Pyrmont nach Spaa begriffen
waren, eben daselbst Unterkunft gesucht hatten, so ersuchte uns die
Wirthin, nachdem sie uns unsere Zimmer zuvörderst im ersten Ge¬
schosse angewiesen hatte, dieselben, und zwar dieselben Nummern, im
zweiten beziehen zu wollen, da eben eine französische Familie ange¬
kommen sei, für die sie durchaus keine passende Wohnung finden
könne, als eben die bis jetzt von uns bezogene. Es war uns
um so leichter, dieser zu entsagen, da wir sie kaum betreten, son¬
dern naß und müde, hungrig und durstig, gleich nach vollzogenen
Dienstgeschäfte in dem allgemeinen Gastzimmer bei einem guten Im¬
biß, einer Flasche Bordeaux und einem warmen Kaminfeuer, unsern
Aufenthalt gewählt hatten. Die Wirthin verstand, wie es schien,
das menschliche Herz, und war eine erfahrene Psychologin, daß sie
ihr Ansuchen bis Nachmittag verschob; denn zweifelsohne ist der
Mensch nach einem guten Mittagsmahle, zwischen Kaffee und Liqueur,
und die dampfende Pfeife im Munde, weit gemüthlicher, als wenn
man ihn hungrig und frierend anspricht. Im ersten Falle ist es
Bedürfniß, unser Wohlsein auf Alles auszudehnen, was uns umgibt,
im zweiten aber prävalirt das wilde Thier, und der Mensch hat
etwas von der Wolfsnatur. Noch mehr aber bewies die Wirthin
ihre richtige moralische Tactik dadurch, daß sie ihre Sendung einer
allerliebsten kleinen Aufwärterin anvertraute. Ein schlankes schwarz-


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[0268] Das Rendezvous. (Aus dem Wandcrbuche eines verabschiedeten Lanzknechteö.) Wir waren auf dem Durchmärsche durch N...., ein franzö¬ sisches Städtchen. — Mit meinem Kameraden, Oberlieutenant P..., wurden wir im Kütel ... einquarrirt. Jeder erhielt eine Stube; da aber das ganze Haus großentheils von einem hohen russischen Generale und dessen zahlreichem Gefolge besetzt war, außerdem viele Fremde, welche auf der Rückreise von Pyrmont nach Spaa begriffen waren, eben daselbst Unterkunft gesucht hatten, so ersuchte uns die Wirthin, nachdem sie uns unsere Zimmer zuvörderst im ersten Ge¬ schosse angewiesen hatte, dieselben, und zwar dieselben Nummern, im zweiten beziehen zu wollen, da eben eine französische Familie ange¬ kommen sei, für die sie durchaus keine passende Wohnung finden könne, als eben die bis jetzt von uns bezogene. Es war uns um so leichter, dieser zu entsagen, da wir sie kaum betreten, son¬ dern naß und müde, hungrig und durstig, gleich nach vollzogenen Dienstgeschäfte in dem allgemeinen Gastzimmer bei einem guten Im¬ biß, einer Flasche Bordeaux und einem warmen Kaminfeuer, unsern Aufenthalt gewählt hatten. Die Wirthin verstand, wie es schien, das menschliche Herz, und war eine erfahrene Psychologin, daß sie ihr Ansuchen bis Nachmittag verschob; denn zweifelsohne ist der Mensch nach einem guten Mittagsmahle, zwischen Kaffee und Liqueur, und die dampfende Pfeife im Munde, weit gemüthlicher, als wenn man ihn hungrig und frierend anspricht. Im ersten Falle ist es Bedürfniß, unser Wohlsein auf Alles auszudehnen, was uns umgibt, im zweiten aber prävalirt das wilde Thier, und der Mensch hat etwas von der Wolfsnatur. Noch mehr aber bewies die Wirthin ihre richtige moralische Tactik dadurch, daß sie ihre Sendung einer allerliebsten kleinen Aufwärterin anvertraute. Ein schlankes schwarz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/268>, abgerufen am 27.04.2024.