Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
T a g e b u eh.



i.
Aus Wie ".
I.
Die Ccnsurfrcige.

Aus der Schnelligkeit, womit den von den hiesigen Schriftstellern
gemachten Schritten in Betreff einer liberalem Eensurverfassung die
weitern Maßnahmen auf dem Fuße folgen, mag man entnehmen, daß
man höhern Orts geneigt sei, diesen veralteten Zuständen einen neuen
Lebensodem einzuhauchen und sie mit den Fortschritten des Lebens
auf andern Gebieten in Einklang zu bringen. Es ist aber auch in
Wahrheit die höchste Zeit, die Regungen des Geistes von den Centner¬
ketten zu befreien, welche sie zur Unehre des ganzen Volkes tragen
mußten, denn das Volk glaube ja nicht, daß es unter der drakonischen
Strenge der Preßgesetze nicht gleichfalls anleite, denn am Ende ist
es doch nur das Volk allein und in Gesammtheit, welches unter dem
Ccnsurdruck schmachtet, denn der Einzelne, der Schriftsteller, zieht sich
im schlimmsten Falle von dem literarischen Felde zurück, auf dem
die mittelalterlichen Gesetze einer anachronistischen Staatsanschauung
lasten, und seine Talente werden ihm immer noch eine Bahn auf¬
schließen, die ihn ernährt, wenn auch sein besseres Selbst bei dieser
gräßlichsten aller Entsagungen untergeht oder in Menschenhaß um¬
schlägt. Dabei hat der deutsche Schriftsteller in Oesterreich nicht ein¬
mal den gemeinen und unmoralischen Trost, daß nicht er allein den
Knebel im Munde führe, sondern sehr zahlreiche Leidensgenossen zähle;
getheilte Leiden sind nur halbe Leiden, sagt der nach Kamtschatka ver¬
bannte Graf Benjowsky bei Kotzebue; aber der deutsche Schriftsteller
in Oesterreich hat sie vollends ungetheilt zu tragen die sauern Leiden
seines Standes, denn ringsumher sieht er sich von glücklicher gestellten
Völkerschaften umringt, die unter demselben Scepter leben und gleich¬
wohl einer größern Redefreiheit genießen. Ich will nicht einmal der
ungarischen Presse gedenken, gegen welche die unsere dasteht wie ein
zitternder Schuljunge neben einem Universitatsjünglinge, indem Ungarn
in andern Verhältnissen lebt und webt, als wir, sondern bleibe be-


35"
T a g e b u eh.



i.
Aus Wie «.
I.
Die Ccnsurfrcige.

Aus der Schnelligkeit, womit den von den hiesigen Schriftstellern
gemachten Schritten in Betreff einer liberalem Eensurverfassung die
weitern Maßnahmen auf dem Fuße folgen, mag man entnehmen, daß
man höhern Orts geneigt sei, diesen veralteten Zuständen einen neuen
Lebensodem einzuhauchen und sie mit den Fortschritten des Lebens
auf andern Gebieten in Einklang zu bringen. Es ist aber auch in
Wahrheit die höchste Zeit, die Regungen des Geistes von den Centner¬
ketten zu befreien, welche sie zur Unehre des ganzen Volkes tragen
mußten, denn das Volk glaube ja nicht, daß es unter der drakonischen
Strenge der Preßgesetze nicht gleichfalls anleite, denn am Ende ist
es doch nur das Volk allein und in Gesammtheit, welches unter dem
Ccnsurdruck schmachtet, denn der Einzelne, der Schriftsteller, zieht sich
im schlimmsten Falle von dem literarischen Felde zurück, auf dem
die mittelalterlichen Gesetze einer anachronistischen Staatsanschauung
lasten, und seine Talente werden ihm immer noch eine Bahn auf¬
schließen, die ihn ernährt, wenn auch sein besseres Selbst bei dieser
gräßlichsten aller Entsagungen untergeht oder in Menschenhaß um¬
schlägt. Dabei hat der deutsche Schriftsteller in Oesterreich nicht ein¬
mal den gemeinen und unmoralischen Trost, daß nicht er allein den
Knebel im Munde führe, sondern sehr zahlreiche Leidensgenossen zähle;
getheilte Leiden sind nur halbe Leiden, sagt der nach Kamtschatka ver¬
bannte Graf Benjowsky bei Kotzebue; aber der deutsche Schriftsteller
in Oesterreich hat sie vollends ungetheilt zu tragen die sauern Leiden
seines Standes, denn ringsumher sieht er sich von glücklicher gestellten
Völkerschaften umringt, die unter demselben Scepter leben und gleich¬
wohl einer größern Redefreiheit genießen. Ich will nicht einmal der
ungarischen Presse gedenken, gegen welche die unsere dasteht wie ein
zitternder Schuljunge neben einem Universitatsjünglinge, indem Ungarn
in andern Verhältnissen lebt und webt, als wir, sondern bleibe be-


35»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270334"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> T a g e b u eh.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> i.<lb/>
Aus Wie «.</head><lb/>
            <div n="3">
              <head> I.<lb/>
Die Ccnsurfrcige.</head><lb/>
              <p xml:id="ID_676" next="#ID_677"> Aus der Schnelligkeit, womit den von den hiesigen Schriftstellern<lb/>
gemachten Schritten in Betreff einer liberalem Eensurverfassung die<lb/>
weitern Maßnahmen auf dem Fuße folgen, mag man entnehmen, daß<lb/>
man höhern Orts geneigt sei, diesen veralteten Zuständen einen neuen<lb/>
Lebensodem einzuhauchen und sie mit den Fortschritten des Lebens<lb/>
auf andern Gebieten in Einklang zu bringen. Es ist aber auch in<lb/>
Wahrheit die höchste Zeit, die Regungen des Geistes von den Centner¬<lb/>
ketten zu befreien, welche sie zur Unehre des ganzen Volkes tragen<lb/>
mußten, denn das Volk glaube ja nicht, daß es unter der drakonischen<lb/>
Strenge der Preßgesetze nicht gleichfalls anleite, denn am Ende ist<lb/>
es doch nur das Volk allein und in Gesammtheit, welches unter dem<lb/>
Ccnsurdruck schmachtet, denn der Einzelne, der Schriftsteller, zieht sich<lb/>
im schlimmsten Falle von dem literarischen Felde zurück, auf dem<lb/>
die mittelalterlichen Gesetze einer anachronistischen Staatsanschauung<lb/>
lasten, und seine Talente werden ihm immer noch eine Bahn auf¬<lb/>
schließen, die ihn ernährt, wenn auch sein besseres Selbst bei dieser<lb/>
gräßlichsten aller Entsagungen untergeht oder in Menschenhaß um¬<lb/>
schlägt. Dabei hat der deutsche Schriftsteller in Oesterreich nicht ein¬<lb/>
mal den gemeinen und unmoralischen Trost, daß nicht er allein den<lb/>
Knebel im Munde führe, sondern sehr zahlreiche Leidensgenossen zähle;<lb/>
getheilte Leiden sind nur halbe Leiden, sagt der nach Kamtschatka ver¬<lb/>
bannte Graf Benjowsky bei Kotzebue; aber der deutsche Schriftsteller<lb/>
in Oesterreich hat sie vollends ungetheilt zu tragen die sauern Leiden<lb/>
seines Standes, denn ringsumher sieht er sich von glücklicher gestellten<lb/>
Völkerschaften umringt, die unter demselben Scepter leben und gleich¬<lb/>
wohl einer größern Redefreiheit genießen. Ich will nicht einmal der<lb/>
ungarischen Presse gedenken, gegen welche die unsere dasteht wie ein<lb/>
zitternder Schuljunge neben einem Universitatsjünglinge, indem Ungarn<lb/>
in andern Verhältnissen lebt und webt, als wir, sondern bleibe be-</p><lb/>
              <fw type="sig" place="bottom"> 35»</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0275] T a g e b u eh. i. Aus Wie «. I. Die Ccnsurfrcige. Aus der Schnelligkeit, womit den von den hiesigen Schriftstellern gemachten Schritten in Betreff einer liberalem Eensurverfassung die weitern Maßnahmen auf dem Fuße folgen, mag man entnehmen, daß man höhern Orts geneigt sei, diesen veralteten Zuständen einen neuen Lebensodem einzuhauchen und sie mit den Fortschritten des Lebens auf andern Gebieten in Einklang zu bringen. Es ist aber auch in Wahrheit die höchste Zeit, die Regungen des Geistes von den Centner¬ ketten zu befreien, welche sie zur Unehre des ganzen Volkes tragen mußten, denn das Volk glaube ja nicht, daß es unter der drakonischen Strenge der Preßgesetze nicht gleichfalls anleite, denn am Ende ist es doch nur das Volk allein und in Gesammtheit, welches unter dem Ccnsurdruck schmachtet, denn der Einzelne, der Schriftsteller, zieht sich im schlimmsten Falle von dem literarischen Felde zurück, auf dem die mittelalterlichen Gesetze einer anachronistischen Staatsanschauung lasten, und seine Talente werden ihm immer noch eine Bahn auf¬ schließen, die ihn ernährt, wenn auch sein besseres Selbst bei dieser gräßlichsten aller Entsagungen untergeht oder in Menschenhaß um¬ schlägt. Dabei hat der deutsche Schriftsteller in Oesterreich nicht ein¬ mal den gemeinen und unmoralischen Trost, daß nicht er allein den Knebel im Munde führe, sondern sehr zahlreiche Leidensgenossen zähle; getheilte Leiden sind nur halbe Leiden, sagt der nach Kamtschatka ver¬ bannte Graf Benjowsky bei Kotzebue; aber der deutsche Schriftsteller in Oesterreich hat sie vollends ungetheilt zu tragen die sauern Leiden seines Standes, denn ringsumher sieht er sich von glücklicher gestellten Völkerschaften umringt, die unter demselben Scepter leben und gleich¬ wohl einer größern Redefreiheit genießen. Ich will nicht einmal der ungarischen Presse gedenken, gegen welche die unsere dasteht wie ein zitternder Schuljunge neben einem Universitatsjünglinge, indem Ungarn in andern Verhältnissen lebt und webt, als wir, sondern bleibe be- 35»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/275
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/275>, abgerufen am 27.04.2024.