Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wollen, in der der Germanismus die Überlegenheit seines Geistes herr¬
licherproben könne; zum mindesten muß es befremden, wenn Männer,
deren Stellung oder Sinnesart kein oppositionelles Hervortraten zulas¬
sen, sich plötzlich an die Spitze einer Unternehmung stellen, deren Ten¬
denz nichts Geringeres, als eine vollständige Verwandlung der Gcistes-
vevormundung bezweckt und ohne Zweifel von solcher Seite nicht in
Anregung gebracht würde, wenn nicht die sicherste Hoffnung vorhan¬
den wäre, daß der Sache Willsahrung winke. Unter solchen Umstän¬
den scheint auch die Ansicht unbegründet, die in der ganzen Angele¬
genheit blos ein geschicktes Manöver erblicken will, durch das die Cen¬
sur der mit geistlichen Elementen vielfach versetzten Hosstudienhof-Com¬
mission in die Hände gespielt werden soll, denn ohne Zweifel wird in
diesem Falle die genannte Behörde eine ihrem neuen Zwecke angemes¬
sene Organisation erhalten, und der Clerus nur in Dingen mitsprechen
dürfen, wo ihn sein Beruf zum Sprechen berechtigt.


2.

Kirchenreform___Anklage gegen Preußen. -- Monument. -- Die Pensionen
der Staatsdiener und der Offiziere. -- Beamtencolibat.

Die religiösen Vorgänge in Norddeutschland berühren die öffent¬
liche Aufmerksamkeit hier nur sehr oberflächlich und werden von der
Mehrzahl blos vom politischen Standpunkt betrachtet, weniger aus
dem kirchlichen. Der aufgeklärte Theil der Katholiken hat nicht die
Absicht, das Joch zu wechseln, und es haben dieselben in den Schick¬
salen des Protestantismus zur Genüge kennen gelernt, wohin die
Jdentifizirung des Staates mit der Kirche führe, und wie am Ende
doch die religiöse Freiheit da aufhöre, wo die Staatsgewalt den Grenz¬
stein setzt. Was sie wollen, ist vielmehr eine Lüftung der Hierarchie
in der Art, daß die strenge Monarchie der katholischen Kirchenverfas-
sung im Geiste der Zeit mit repräsentativen Elementen vermählt
werde, damit die Reform da, wo sie dringend nothwendig und im In¬
teresse der Kirche selbst nicht mehr aufzuhalten sein dürfte, sich Bahn
brechen und ins Volksleben übertreten könne. Man bezweckt keinen
Austritt aus dem Verband der römisch-katholischen Kirche, keine Un¬
abhängigkeit vom Papste, weil man weiß, daß man mit diesem Aus¬
tritte ganz und gar dem Staate anheimfällt und die gepriesene Un¬
abhängigkeit mit einer noch härtern Abhängigkeit von der weltlichen
Macht erkauft werden muß, denn während jene blos moralische Ver¬
bindlichkeiten auferlegt und eine geistige Fessel anlegt, macht diese als¬
bald juristische Verpflichtungen daraus und verwandelt wohl gar in
gewissen Fällen die geistigen Fesseln mit klirrenden Ketten. Man ver¬
zichtet darum gern auf die Jnsurrection, die Ronge und Czcrski im
Norden Deutschlands erweckt, und bescheidet sich mit der Reform,
welche cillmälig auf die Aufhebung des Cölibats und andere prak-


wollen, in der der Germanismus die Überlegenheit seines Geistes herr¬
licherproben könne; zum mindesten muß es befremden, wenn Männer,
deren Stellung oder Sinnesart kein oppositionelles Hervortraten zulas¬
sen, sich plötzlich an die Spitze einer Unternehmung stellen, deren Ten¬
denz nichts Geringeres, als eine vollständige Verwandlung der Gcistes-
vevormundung bezweckt und ohne Zweifel von solcher Seite nicht in
Anregung gebracht würde, wenn nicht die sicherste Hoffnung vorhan¬
den wäre, daß der Sache Willsahrung winke. Unter solchen Umstän¬
den scheint auch die Ansicht unbegründet, die in der ganzen Angele¬
genheit blos ein geschicktes Manöver erblicken will, durch das die Cen¬
sur der mit geistlichen Elementen vielfach versetzten Hosstudienhof-Com¬
mission in die Hände gespielt werden soll, denn ohne Zweifel wird in
diesem Falle die genannte Behörde eine ihrem neuen Zwecke angemes¬
sene Organisation erhalten, und der Clerus nur in Dingen mitsprechen
dürfen, wo ihn sein Beruf zum Sprechen berechtigt.


2.

Kirchenreform___Anklage gegen Preußen. — Monument. — Die Pensionen
der Staatsdiener und der Offiziere. — Beamtencolibat.

Die religiösen Vorgänge in Norddeutschland berühren die öffent¬
liche Aufmerksamkeit hier nur sehr oberflächlich und werden von der
Mehrzahl blos vom politischen Standpunkt betrachtet, weniger aus
dem kirchlichen. Der aufgeklärte Theil der Katholiken hat nicht die
Absicht, das Joch zu wechseln, und es haben dieselben in den Schick¬
salen des Protestantismus zur Genüge kennen gelernt, wohin die
Jdentifizirung des Staates mit der Kirche führe, und wie am Ende
doch die religiöse Freiheit da aufhöre, wo die Staatsgewalt den Grenz¬
stein setzt. Was sie wollen, ist vielmehr eine Lüftung der Hierarchie
in der Art, daß die strenge Monarchie der katholischen Kirchenverfas-
sung im Geiste der Zeit mit repräsentativen Elementen vermählt
werde, damit die Reform da, wo sie dringend nothwendig und im In¬
teresse der Kirche selbst nicht mehr aufzuhalten sein dürfte, sich Bahn
brechen und ins Volksleben übertreten könne. Man bezweckt keinen
Austritt aus dem Verband der römisch-katholischen Kirche, keine Un¬
abhängigkeit vom Papste, weil man weiß, daß man mit diesem Aus¬
tritte ganz und gar dem Staate anheimfällt und die gepriesene Un¬
abhängigkeit mit einer noch härtern Abhängigkeit von der weltlichen
Macht erkauft werden muß, denn während jene blos moralische Ver¬
bindlichkeiten auferlegt und eine geistige Fessel anlegt, macht diese als¬
bald juristische Verpflichtungen daraus und verwandelt wohl gar in
gewissen Fällen die geistigen Fesseln mit klirrenden Ketten. Man ver¬
zichtet darum gern auf die Jnsurrection, die Ronge und Czcrski im
Norden Deutschlands erweckt, und bescheidet sich mit der Reform,
welche cillmälig auf die Aufhebung des Cölibats und andere prak-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270336"/>
              <p xml:id="ID_679" prev="#ID_678"> wollen, in der der Germanismus die Überlegenheit seines Geistes herr¬<lb/>
licherproben könne; zum mindesten muß es befremden, wenn Männer,<lb/>
deren Stellung oder Sinnesart kein oppositionelles Hervortraten zulas¬<lb/>
sen, sich plötzlich an die Spitze einer Unternehmung stellen, deren Ten¬<lb/>
denz nichts Geringeres, als eine vollständige Verwandlung der Gcistes-<lb/>
vevormundung bezweckt und ohne Zweifel von solcher Seite nicht in<lb/>
Anregung gebracht würde, wenn nicht die sicherste Hoffnung vorhan¬<lb/>
den wäre, daß der Sache Willsahrung winke. Unter solchen Umstän¬<lb/>
den scheint auch die Ansicht unbegründet, die in der ganzen Angele¬<lb/>
genheit blos ein geschicktes Manöver erblicken will, durch das die Cen¬<lb/>
sur der mit geistlichen Elementen vielfach versetzten Hosstudienhof-Com¬<lb/>
mission in die Hände gespielt werden soll, denn ohne Zweifel wird in<lb/>
diesem Falle die genannte Behörde eine ihrem neuen Zwecke angemes¬<lb/>
sene Organisation erhalten, und der Clerus nur in Dingen mitsprechen<lb/>
dürfen, wo ihn sein Beruf zum Sprechen berechtigt.</p><lb/>
            </div>
            <div n="3">
              <head> 2.</head><lb/>
              <note type="argument"> Kirchenreform___Anklage gegen Preußen. &#x2014; Monument. &#x2014; Die Pensionen<lb/>
der Staatsdiener und der Offiziere. &#x2014; Beamtencolibat.</note><lb/>
              <p xml:id="ID_680" next="#ID_681"> Die religiösen Vorgänge in Norddeutschland berühren die öffent¬<lb/>
liche Aufmerksamkeit hier nur sehr oberflächlich und werden von der<lb/>
Mehrzahl blos vom politischen Standpunkt betrachtet, weniger aus<lb/>
dem kirchlichen. Der aufgeklärte Theil der Katholiken hat nicht die<lb/>
Absicht, das Joch zu wechseln, und es haben dieselben in den Schick¬<lb/>
salen des Protestantismus zur Genüge kennen gelernt, wohin die<lb/>
Jdentifizirung des Staates mit der Kirche führe, und wie am Ende<lb/>
doch die religiöse Freiheit da aufhöre, wo die Staatsgewalt den Grenz¬<lb/>
stein setzt. Was sie wollen, ist vielmehr eine Lüftung der Hierarchie<lb/>
in der Art, daß die strenge Monarchie der katholischen Kirchenverfas-<lb/>
sung im Geiste der Zeit mit repräsentativen Elementen vermählt<lb/>
werde, damit die Reform da, wo sie dringend nothwendig und im In¬<lb/>
teresse der Kirche selbst nicht mehr aufzuhalten sein dürfte, sich Bahn<lb/>
brechen und ins Volksleben übertreten könne. Man bezweckt keinen<lb/>
Austritt aus dem Verband der römisch-katholischen Kirche, keine Un¬<lb/>
abhängigkeit vom Papste, weil man weiß, daß man mit diesem Aus¬<lb/>
tritte ganz und gar dem Staate anheimfällt und die gepriesene Un¬<lb/>
abhängigkeit mit einer noch härtern Abhängigkeit von der weltlichen<lb/>
Macht erkauft werden muß, denn während jene blos moralische Ver¬<lb/>
bindlichkeiten auferlegt und eine geistige Fessel anlegt, macht diese als¬<lb/>
bald juristische Verpflichtungen daraus und verwandelt wohl gar in<lb/>
gewissen Fällen die geistigen Fesseln mit klirrenden Ketten. Man ver¬<lb/>
zichtet darum gern auf die Jnsurrection, die Ronge und Czcrski im<lb/>
Norden Deutschlands erweckt, und bescheidet sich mit der Reform,<lb/>
welche cillmälig auf die Aufhebung des Cölibats und andere prak-</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0277] wollen, in der der Germanismus die Überlegenheit seines Geistes herr¬ licherproben könne; zum mindesten muß es befremden, wenn Männer, deren Stellung oder Sinnesart kein oppositionelles Hervortraten zulas¬ sen, sich plötzlich an die Spitze einer Unternehmung stellen, deren Ten¬ denz nichts Geringeres, als eine vollständige Verwandlung der Gcistes- vevormundung bezweckt und ohne Zweifel von solcher Seite nicht in Anregung gebracht würde, wenn nicht die sicherste Hoffnung vorhan¬ den wäre, daß der Sache Willsahrung winke. Unter solchen Umstän¬ den scheint auch die Ansicht unbegründet, die in der ganzen Angele¬ genheit blos ein geschicktes Manöver erblicken will, durch das die Cen¬ sur der mit geistlichen Elementen vielfach versetzten Hosstudienhof-Com¬ mission in die Hände gespielt werden soll, denn ohne Zweifel wird in diesem Falle die genannte Behörde eine ihrem neuen Zwecke angemes¬ sene Organisation erhalten, und der Clerus nur in Dingen mitsprechen dürfen, wo ihn sein Beruf zum Sprechen berechtigt. 2. Kirchenreform___Anklage gegen Preußen. — Monument. — Die Pensionen der Staatsdiener und der Offiziere. — Beamtencolibat. Die religiösen Vorgänge in Norddeutschland berühren die öffent¬ liche Aufmerksamkeit hier nur sehr oberflächlich und werden von der Mehrzahl blos vom politischen Standpunkt betrachtet, weniger aus dem kirchlichen. Der aufgeklärte Theil der Katholiken hat nicht die Absicht, das Joch zu wechseln, und es haben dieselben in den Schick¬ salen des Protestantismus zur Genüge kennen gelernt, wohin die Jdentifizirung des Staates mit der Kirche führe, und wie am Ende doch die religiöse Freiheit da aufhöre, wo die Staatsgewalt den Grenz¬ stein setzt. Was sie wollen, ist vielmehr eine Lüftung der Hierarchie in der Art, daß die strenge Monarchie der katholischen Kirchenverfas- sung im Geiste der Zeit mit repräsentativen Elementen vermählt werde, damit die Reform da, wo sie dringend nothwendig und im In¬ teresse der Kirche selbst nicht mehr aufzuhalten sein dürfte, sich Bahn brechen und ins Volksleben übertreten könne. Man bezweckt keinen Austritt aus dem Verband der römisch-katholischen Kirche, keine Un¬ abhängigkeit vom Papste, weil man weiß, daß man mit diesem Aus¬ tritte ganz und gar dem Staate anheimfällt und die gepriesene Un¬ abhängigkeit mit einer noch härtern Abhängigkeit von der weltlichen Macht erkauft werden muß, denn während jene blos moralische Ver¬ bindlichkeiten auferlegt und eine geistige Fessel anlegt, macht diese als¬ bald juristische Verpflichtungen daraus und verwandelt wohl gar in gewissen Fällen die geistigen Fesseln mit klirrenden Ketten. Man ver¬ zichtet darum gern auf die Jnsurrection, die Ronge und Czcrski im Norden Deutschlands erweckt, und bescheidet sich mit der Reform, welche cillmälig auf die Aufhebung des Cölibats und andere prak-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/277
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/277>, abgerufen am 27.04.2024.