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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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in seinem Familienleben wurzelt, der keinen Beruf hat, worin die Ehe
als Hinderniß auftritt und wo eine Beschränkung derselben nicht allzu
sehr nach Finanzweisheit schmecken würde.

Im Hofburgtheater ist Webers Spartacus über die Bretter ge¬
schritten, das Werk eines feurigen Dichtcrgcistes, der von der Bühne
so viel weiß, daß es da eine Courtinc gibt, die man herabläßt, und
Coulissen, die man verschieben kann, so oft man es will; mehr eben nicht.
Allein dies Alles läßt sich noch lernen, und 5as, was sich nicht lernen
läßt, ist bereits da und verspricht für die Zukunft Vollendetes. Der Dich¬
ter führt uns in Spartacus, dem kühnen Gladiator, der der Fechter¬
schule zu Capua entsprungen, den Borkämpfer jenes Liberalismus vor,
der bei der Proclamirung der Menschenrechte stehen bleibt und Alles
gethan zu haben glaubt, wenn er die individuelle Freiheit sicher gestellt.
Ihm entgegen tritt in den Massen des Sklavenheeres der kommuni¬
stische Jnstinct, der in allen Unglücklichen steckt, und welcher sie an¬
spornt, über dieses Ziel hinauszugehen und nicht blos Hungerfrei¬
heit, wie im Stücke selbst gesagt wird, sondern volle Besitzfreiheit
zu genießen. In diesem Zwiespalt des Strebens und der Meinungen
geht Spartacus unter, dem seine Gattin Graja räth, Rom zu stür¬
zen und sich selbst einen Thron zu erbauen. Man weiß nicht, ob der
Dichter in diesen dramatischen Geschichten die Geschichten der Mensch¬
heit in ihren jüngsten Phasen hat abschildern wollen, aber dies ist
gewiß, daß sie eine große Analogie beweisen, zudem Herr Löwe, der
Darsteller der Titelrolle die Maske Napoleons gewählt, wie er auf
dem allbekannten Bilde des Malers Delaroche zu sehen, wo er mit
dem nach aufwärts gebeugten Lorbeerkranze auf dem Haupt, bleich
und ernst erscheint. Der Erfolg war aufmunternd, obschon die Freunde
des Autors am ersten Abend entschieden zu stark aufgetreten sind.

Der Hintritt des obersten Kämmerers des Kaisers, des hochbe-
tagten Grasen Czernin, als dessen Nachfolger man den jetzigen Prä¬
sidenten der Polizeihofstelle, Grafen Sedlnitzky bezeichnet, macht die
endliche Übertragung der Censurgeschäfte an die k. k. Studicnhof-
kommission um so leichter, als jetzt der Schein der Gründe, der mit
einer solchen Entziehung eines wichtigen Geschäftszweiges in vieler
Augen verknüpft sein würde, hinwegfällt, und nunmehro diese heilsame
Veränderung eintreten kann, ohne irgend Jemand zu, kränken.


II.
Ans Hambur g. *)

Charakteristik der Stadt. -- Rückblick auf den Winter. -- Die Elbe.

Es gibt wenige Orte von der Bedeutung, wie Hamburg, über
die sich verhältnißmäßig so wenig schreiben läßt; nicht als ob sich da-



*) Verspätet.
Krcnjbotcii, l"4S. II. 3Ü

in seinem Familienleben wurzelt, der keinen Beruf hat, worin die Ehe
als Hinderniß auftritt und wo eine Beschränkung derselben nicht allzu
sehr nach Finanzweisheit schmecken würde.

Im Hofburgtheater ist Webers Spartacus über die Bretter ge¬
schritten, das Werk eines feurigen Dichtcrgcistes, der von der Bühne
so viel weiß, daß es da eine Courtinc gibt, die man herabläßt, und
Coulissen, die man verschieben kann, so oft man es will; mehr eben nicht.
Allein dies Alles läßt sich noch lernen, und 5as, was sich nicht lernen
läßt, ist bereits da und verspricht für die Zukunft Vollendetes. Der Dich¬
ter führt uns in Spartacus, dem kühnen Gladiator, der der Fechter¬
schule zu Capua entsprungen, den Borkämpfer jenes Liberalismus vor,
der bei der Proclamirung der Menschenrechte stehen bleibt und Alles
gethan zu haben glaubt, wenn er die individuelle Freiheit sicher gestellt.
Ihm entgegen tritt in den Massen des Sklavenheeres der kommuni¬
stische Jnstinct, der in allen Unglücklichen steckt, und welcher sie an¬
spornt, über dieses Ziel hinauszugehen und nicht blos Hungerfrei¬
heit, wie im Stücke selbst gesagt wird, sondern volle Besitzfreiheit
zu genießen. In diesem Zwiespalt des Strebens und der Meinungen
geht Spartacus unter, dem seine Gattin Graja räth, Rom zu stür¬
zen und sich selbst einen Thron zu erbauen. Man weiß nicht, ob der
Dichter in diesen dramatischen Geschichten die Geschichten der Mensch¬
heit in ihren jüngsten Phasen hat abschildern wollen, aber dies ist
gewiß, daß sie eine große Analogie beweisen, zudem Herr Löwe, der
Darsteller der Titelrolle die Maske Napoleons gewählt, wie er auf
dem allbekannten Bilde des Malers Delaroche zu sehen, wo er mit
dem nach aufwärts gebeugten Lorbeerkranze auf dem Haupt, bleich
und ernst erscheint. Der Erfolg war aufmunternd, obschon die Freunde
des Autors am ersten Abend entschieden zu stark aufgetreten sind.

Der Hintritt des obersten Kämmerers des Kaisers, des hochbe-
tagten Grasen Czernin, als dessen Nachfolger man den jetzigen Prä¬
sidenten der Polizeihofstelle, Grafen Sedlnitzky bezeichnet, macht die
endliche Übertragung der Censurgeschäfte an die k. k. Studicnhof-
kommission um so leichter, als jetzt der Schein der Gründe, der mit
einer solchen Entziehung eines wichtigen Geschäftszweiges in vieler
Augen verknüpft sein würde, hinwegfällt, und nunmehro diese heilsame
Veränderung eintreten kann, ohne irgend Jemand zu, kränken.


II.
Ans Hambur g. *)

Charakteristik der Stadt. — Rückblick auf den Winter. — Die Elbe.

Es gibt wenige Orte von der Bedeutung, wie Hamburg, über
die sich verhältnißmäßig so wenig schreiben läßt; nicht als ob sich da-



*) Verspätet.
Krcnjbotcii, l»4S. II. 3Ü
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[0281] in seinem Familienleben wurzelt, der keinen Beruf hat, worin die Ehe als Hinderniß auftritt und wo eine Beschränkung derselben nicht allzu sehr nach Finanzweisheit schmecken würde. Im Hofburgtheater ist Webers Spartacus über die Bretter ge¬ schritten, das Werk eines feurigen Dichtcrgcistes, der von der Bühne so viel weiß, daß es da eine Courtinc gibt, die man herabläßt, und Coulissen, die man verschieben kann, so oft man es will; mehr eben nicht. Allein dies Alles läßt sich noch lernen, und 5as, was sich nicht lernen läßt, ist bereits da und verspricht für die Zukunft Vollendetes. Der Dich¬ ter führt uns in Spartacus, dem kühnen Gladiator, der der Fechter¬ schule zu Capua entsprungen, den Borkämpfer jenes Liberalismus vor, der bei der Proclamirung der Menschenrechte stehen bleibt und Alles gethan zu haben glaubt, wenn er die individuelle Freiheit sicher gestellt. Ihm entgegen tritt in den Massen des Sklavenheeres der kommuni¬ stische Jnstinct, der in allen Unglücklichen steckt, und welcher sie an¬ spornt, über dieses Ziel hinauszugehen und nicht blos Hungerfrei¬ heit, wie im Stücke selbst gesagt wird, sondern volle Besitzfreiheit zu genießen. In diesem Zwiespalt des Strebens und der Meinungen geht Spartacus unter, dem seine Gattin Graja räth, Rom zu stür¬ zen und sich selbst einen Thron zu erbauen. Man weiß nicht, ob der Dichter in diesen dramatischen Geschichten die Geschichten der Mensch¬ heit in ihren jüngsten Phasen hat abschildern wollen, aber dies ist gewiß, daß sie eine große Analogie beweisen, zudem Herr Löwe, der Darsteller der Titelrolle die Maske Napoleons gewählt, wie er auf dem allbekannten Bilde des Malers Delaroche zu sehen, wo er mit dem nach aufwärts gebeugten Lorbeerkranze auf dem Haupt, bleich und ernst erscheint. Der Erfolg war aufmunternd, obschon die Freunde des Autors am ersten Abend entschieden zu stark aufgetreten sind. Der Hintritt des obersten Kämmerers des Kaisers, des hochbe- tagten Grasen Czernin, als dessen Nachfolger man den jetzigen Prä¬ sidenten der Polizeihofstelle, Grafen Sedlnitzky bezeichnet, macht die endliche Übertragung der Censurgeschäfte an die k. k. Studicnhof- kommission um so leichter, als jetzt der Schein der Gründe, der mit einer solchen Entziehung eines wichtigen Geschäftszweiges in vieler Augen verknüpft sein würde, hinwegfällt, und nunmehro diese heilsame Veränderung eintreten kann, ohne irgend Jemand zu, kränken. II. Ans Hambur g. *) Charakteristik der Stadt. — Rückblick auf den Winter. — Die Elbe. Es gibt wenige Orte von der Bedeutung, wie Hamburg, über die sich verhältnißmäßig so wenig schreiben läßt; nicht als ob sich da- *) Verspätet. Krcnjbotcii, l»4S. II. 3Ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/281>, abgerufen am 27.04.2024.