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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Giltiges von der würtembergischen Stände-
versammlung.



Bestandtheile der Kammer. -- Charakteristische Abstimmung. -- Die Advoka¬
ten und ihre Kampfgefährten. -- Die alte Opposition und die gegenwärtige.--
Die öffentliche Meinung. -- Die CensurkoNen aus der Tasche des Ministers
bezahlt. -- Innere Kämpfe. -- Würtemberg und Baden.

Unser öffentliches Leben ist in die Blüthe getreten, die es kaktus¬
artig alle drei Jahre als Ständeversammlung zu treiben pflegt; und
diesmal ist sie nicht so kümmerlich aufgegangen, wie 1539 und 1842.
Um aber das Folgende besser zu verständigen, wird hier erinnert,
daß die würtenbergische zweite Kammer aus vierundneunzig Mitglie¬
dern besteht, davon sind aber nur einundsiebenzig eigentliche, vom Volk
erwählte Abgeordnete desselben, nämlich die Vertreter der sieben s. g.
guten Städte Stuttgart, Tübingen, Ludwigsburg, Ellivangen, Ulm,
Reutlingen und Heilbronn und sodann der vierundsechzig Oberamts-
gezirke. Neben diesen Abgeordneten haben ihren Sitz in der Kam¬
mer dreizehn durch Korporationöwahl erlesene Vertreter der Ritter¬
schaft, die sechs evangelischen Landesgeneralsuperintendcnten, der ka¬
tholische Landesbischof, der älteste katholische Decan und ein Dom-
kapitular, endlich der Universitätskanzler. Daß sonach eine reine Volks¬
kammer nicht einmal principiell dargestellt ist, liegt auf der Hand.
Zwar haben jüngst einige ritterschaftliche Abgeordnete gegen die Aeuße¬
rung des Advokaten Römer: ihre eifrige Vertheidigung der Gesandt¬
schaftskosten befremde ihn nicht, weil sie nicht eigentlich Vertreter des
Volkes, sondern des Standes, der sie gesandt habe, seien, sehr warm
rcmonstrirt. Allein wahr bleibt die Behauptung doch, und es ist ge¬
nau besehen eine Inkonsequenz, daß man nicht entweder die Stan-
desherren gleichfalls dieser Kammer zugetheilt, oder daß man die
Ritterschaft nicht in die erste Kammer mit aufgenommen hat. Wir
nennen dies eine Inconsequenz, wiewohl sie positiven Bestimmungen
entspricht. Wie wenig die Ritterschaft, wie wenig die von der Re¬
gierung auf die Prälatenbank beförderten Geistlichen, wie wenig


Giltiges von der würtembergischen Stände-
versammlung.



Bestandtheile der Kammer. — Charakteristische Abstimmung. — Die Advoka¬
ten und ihre Kampfgefährten. — Die alte Opposition und die gegenwärtige.—
Die öffentliche Meinung. — Die CensurkoNen aus der Tasche des Ministers
bezahlt. — Innere Kämpfe. — Würtemberg und Baden.

Unser öffentliches Leben ist in die Blüthe getreten, die es kaktus¬
artig alle drei Jahre als Ständeversammlung zu treiben pflegt; und
diesmal ist sie nicht so kümmerlich aufgegangen, wie 1539 und 1842.
Um aber das Folgende besser zu verständigen, wird hier erinnert,
daß die würtenbergische zweite Kammer aus vierundneunzig Mitglie¬
dern besteht, davon sind aber nur einundsiebenzig eigentliche, vom Volk
erwählte Abgeordnete desselben, nämlich die Vertreter der sieben s. g.
guten Städte Stuttgart, Tübingen, Ludwigsburg, Ellivangen, Ulm,
Reutlingen und Heilbronn und sodann der vierundsechzig Oberamts-
gezirke. Neben diesen Abgeordneten haben ihren Sitz in der Kam¬
mer dreizehn durch Korporationöwahl erlesene Vertreter der Ritter¬
schaft, die sechs evangelischen Landesgeneralsuperintendcnten, der ka¬
tholische Landesbischof, der älteste katholische Decan und ein Dom-
kapitular, endlich der Universitätskanzler. Daß sonach eine reine Volks¬
kammer nicht einmal principiell dargestellt ist, liegt auf der Hand.
Zwar haben jüngst einige ritterschaftliche Abgeordnete gegen die Aeuße¬
rung des Advokaten Römer: ihre eifrige Vertheidigung der Gesandt¬
schaftskosten befremde ihn nicht, weil sie nicht eigentlich Vertreter des
Volkes, sondern des Standes, der sie gesandt habe, seien, sehr warm
rcmonstrirt. Allein wahr bleibt die Behauptung doch, und es ist ge¬
nau besehen eine Inkonsequenz, daß man nicht entweder die Stan-
desherren gleichfalls dieser Kammer zugetheilt, oder daß man die
Ritterschaft nicht in die erste Kammer mit aufgenommen hat. Wir
nennen dies eine Inconsequenz, wiewohl sie positiven Bestimmungen
entspricht. Wie wenig die Ritterschaft, wie wenig die von der Re¬
gierung auf die Prälatenbank beförderten Geistlichen, wie wenig


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[0306] Giltiges von der würtembergischen Stände- versammlung. Bestandtheile der Kammer. — Charakteristische Abstimmung. — Die Advoka¬ ten und ihre Kampfgefährten. — Die alte Opposition und die gegenwärtige.— Die öffentliche Meinung. — Die CensurkoNen aus der Tasche des Ministers bezahlt. — Innere Kämpfe. — Würtemberg und Baden. Unser öffentliches Leben ist in die Blüthe getreten, die es kaktus¬ artig alle drei Jahre als Ständeversammlung zu treiben pflegt; und diesmal ist sie nicht so kümmerlich aufgegangen, wie 1539 und 1842. Um aber das Folgende besser zu verständigen, wird hier erinnert, daß die würtenbergische zweite Kammer aus vierundneunzig Mitglie¬ dern besteht, davon sind aber nur einundsiebenzig eigentliche, vom Volk erwählte Abgeordnete desselben, nämlich die Vertreter der sieben s. g. guten Städte Stuttgart, Tübingen, Ludwigsburg, Ellivangen, Ulm, Reutlingen und Heilbronn und sodann der vierundsechzig Oberamts- gezirke. Neben diesen Abgeordneten haben ihren Sitz in der Kam¬ mer dreizehn durch Korporationöwahl erlesene Vertreter der Ritter¬ schaft, die sechs evangelischen Landesgeneralsuperintendcnten, der ka¬ tholische Landesbischof, der älteste katholische Decan und ein Dom- kapitular, endlich der Universitätskanzler. Daß sonach eine reine Volks¬ kammer nicht einmal principiell dargestellt ist, liegt auf der Hand. Zwar haben jüngst einige ritterschaftliche Abgeordnete gegen die Aeuße¬ rung des Advokaten Römer: ihre eifrige Vertheidigung der Gesandt¬ schaftskosten befremde ihn nicht, weil sie nicht eigentlich Vertreter des Volkes, sondern des Standes, der sie gesandt habe, seien, sehr warm rcmonstrirt. Allein wahr bleibt die Behauptung doch, und es ist ge¬ nau besehen eine Inkonsequenz, daß man nicht entweder die Stan- desherren gleichfalls dieser Kammer zugetheilt, oder daß man die Ritterschaft nicht in die erste Kammer mit aufgenommen hat. Wir nennen dies eine Inconsequenz, wiewohl sie positiven Bestimmungen entspricht. Wie wenig die Ritterschaft, wie wenig die von der Re¬ gierung auf die Prälatenbank beförderten Geistlichen, wie wenig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/306>, abgerufen am 27.04.2024.