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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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machte die Wirthin ihre Rechnung, unsere Bekannten zogen die Le¬
derbeutelchen hervor, an welche ein Petschaft und ein Schlüssel an¬
gebunden waren, bezahlten die billige Zeche und marschirten ab.




Zweites Capitel.

Während sie weiter gingen, gab es einen eifrigen Streit zwi¬
schen dem Maurergesellen Balling und dem Zimmergesellen Nichnke,
welcher darüber entscheiden sollte, ob das Maurer- oder Zimmerhand¬
werk älter und ehrwürdiger sei. Beide Theile hatten Vertheidiger
voll Dialektik und Begeisterung gefunden, denn sowohl der Regens¬
burger als der Cöpenicker würden sich eher gegenseitig todtgeschlagen,
als den geringsten Schatten auf ihren Handwerken haben ruhen
lassen. Wären auch nicht die vielen Förmlichkeiten, Gesetze und Vor¬
schriften als Beweise da, daß die Innungen recht aus dem Herzen
des Mittelalters stammen, so würden uns doch der Fachstolz und
die Kampflust, die sich in ihnen erhielten, deutlich davon überzeugen,
denn sie sind echt mittelalterliche Tugenden. Es gibt keinen größeren
Kastengeist, als den unter den deutschen Handwerksgesellen; jeder
hält seine Profession für die achtbarste, ehrenvollste und -- was be¬
sonders bezeichnend ist -- für die älteste.

-- Ein Kind weiß es -- sprach Peter Balling, Maurergeselle
aus Regensburg -- ein Kind weiß es, daß es keine würdigere und
keine so von allen Kaisern und Königen verbriefte Zunft gibt, als
das Gewerk der Maurer und Steinhauer. Es ist das ursprüngliche
Fach; ohne uns könnten die Menschen nicht in festen Häusern woh¬
nen, könnten nicht in die Kirche beten gehen, und könnten ihre Städte
nicht durch starke Mauern wider die Feinde schützen. Ohne uns
würde Ordnung, Friede und Sicherheit aufhören, denn alle andere
Professionisten sind nur unsere Helfershelfer; sie halten sich an das,
was wir gegründet haben. Wer meinen Worten nicht glauben weil,
der braucht nur daran zu denken, daß die tüchtigsten und höchsten
Leute in ganz Europia unsere Brüder sind; daß Prinzen, Fürsten
und Grafen sich's zu einer Ehre rechnen, wenn sie sich Maurer nen¬
nen dürfen --

-- Wie meenst Du'n des? fragte der Zimmergesell.

-- Ich meine die Freimaurer! entgegnete Balling.


machte die Wirthin ihre Rechnung, unsere Bekannten zogen die Le¬
derbeutelchen hervor, an welche ein Petschaft und ein Schlüssel an¬
gebunden waren, bezahlten die billige Zeche und marschirten ab.




Zweites Capitel.

Während sie weiter gingen, gab es einen eifrigen Streit zwi¬
schen dem Maurergesellen Balling und dem Zimmergesellen Nichnke,
welcher darüber entscheiden sollte, ob das Maurer- oder Zimmerhand¬
werk älter und ehrwürdiger sei. Beide Theile hatten Vertheidiger
voll Dialektik und Begeisterung gefunden, denn sowohl der Regens¬
burger als der Cöpenicker würden sich eher gegenseitig todtgeschlagen,
als den geringsten Schatten auf ihren Handwerken haben ruhen
lassen. Wären auch nicht die vielen Förmlichkeiten, Gesetze und Vor¬
schriften als Beweise da, daß die Innungen recht aus dem Herzen
des Mittelalters stammen, so würden uns doch der Fachstolz und
die Kampflust, die sich in ihnen erhielten, deutlich davon überzeugen,
denn sie sind echt mittelalterliche Tugenden. Es gibt keinen größeren
Kastengeist, als den unter den deutschen Handwerksgesellen; jeder
hält seine Profession für die achtbarste, ehrenvollste und — was be¬
sonders bezeichnend ist — für die älteste.

— Ein Kind weiß es — sprach Peter Balling, Maurergeselle
aus Regensburg — ein Kind weiß es, daß es keine würdigere und
keine so von allen Kaisern und Königen verbriefte Zunft gibt, als
das Gewerk der Maurer und Steinhauer. Es ist das ursprüngliche
Fach; ohne uns könnten die Menschen nicht in festen Häusern woh¬
nen, könnten nicht in die Kirche beten gehen, und könnten ihre Städte
nicht durch starke Mauern wider die Feinde schützen. Ohne uns
würde Ordnung, Friede und Sicherheit aufhören, denn alle andere
Professionisten sind nur unsere Helfershelfer; sie halten sich an das,
was wir gegründet haben. Wer meinen Worten nicht glauben weil,
der braucht nur daran zu denken, daß die tüchtigsten und höchsten
Leute in ganz Europia unsere Brüder sind; daß Prinzen, Fürsten
und Grafen sich's zu einer Ehre rechnen, wenn sie sich Maurer nen¬
nen dürfen —

— Wie meenst Du'n des? fragte der Zimmergesell.

— Ich meine die Freimaurer! entgegnete Balling.


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[0335] machte die Wirthin ihre Rechnung, unsere Bekannten zogen die Le¬ derbeutelchen hervor, an welche ein Petschaft und ein Schlüssel an¬ gebunden waren, bezahlten die billige Zeche und marschirten ab. Zweites Capitel. Während sie weiter gingen, gab es einen eifrigen Streit zwi¬ schen dem Maurergesellen Balling und dem Zimmergesellen Nichnke, welcher darüber entscheiden sollte, ob das Maurer- oder Zimmerhand¬ werk älter und ehrwürdiger sei. Beide Theile hatten Vertheidiger voll Dialektik und Begeisterung gefunden, denn sowohl der Regens¬ burger als der Cöpenicker würden sich eher gegenseitig todtgeschlagen, als den geringsten Schatten auf ihren Handwerken haben ruhen lassen. Wären auch nicht die vielen Förmlichkeiten, Gesetze und Vor¬ schriften als Beweise da, daß die Innungen recht aus dem Herzen des Mittelalters stammen, so würden uns doch der Fachstolz und die Kampflust, die sich in ihnen erhielten, deutlich davon überzeugen, denn sie sind echt mittelalterliche Tugenden. Es gibt keinen größeren Kastengeist, als den unter den deutschen Handwerksgesellen; jeder hält seine Profession für die achtbarste, ehrenvollste und — was be¬ sonders bezeichnend ist — für die älteste. — Ein Kind weiß es — sprach Peter Balling, Maurergeselle aus Regensburg — ein Kind weiß es, daß es keine würdigere und keine so von allen Kaisern und Königen verbriefte Zunft gibt, als das Gewerk der Maurer und Steinhauer. Es ist das ursprüngliche Fach; ohne uns könnten die Menschen nicht in festen Häusern woh¬ nen, könnten nicht in die Kirche beten gehen, und könnten ihre Städte nicht durch starke Mauern wider die Feinde schützen. Ohne uns würde Ordnung, Friede und Sicherheit aufhören, denn alle andere Professionisten sind nur unsere Helfershelfer; sie halten sich an das, was wir gegründet haben. Wer meinen Worten nicht glauben weil, der braucht nur daran zu denken, daß die tüchtigsten und höchsten Leute in ganz Europia unsere Brüder sind; daß Prinzen, Fürsten und Grafen sich's zu einer Ehre rechnen, wenn sie sich Maurer nen¬ nen dürfen — — Wie meenst Du'n des? fragte der Zimmergesell. — Ich meine die Freimaurer! entgegnete Balling.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/335>, abgerufen am 27.04.2024.