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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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sieht es anders aus; es müßte sich denn bei der zweiten Aufführung
das Blatt ganzlich wenden. Bis jetzt muß man sagen, die Berliner
Bühne ist an Rococo gescheitert. Denn so muß es heißen, wenn es
sich um ein erprobtes und allgemein als werthvoll anerkanntes Stück
handelt. Ein großer Theil des Publicums bei der ersten Aufführung
hat das Stück noch gar nicht verstanden, und der Beifall, welcher
gespendet, am Ende auch bis zum Hervorruf gesteigert worden ist,
galt bloß Nebensachen und einzelnen Scenen. Die Capitale der In¬
telligenz hat das Schicksal erfahren, ein geistreiches Jntriguenstück nicht
zu capiren. Dies gilt natürlich nicht von allen Zuhörern; denn ich
habe von Vielen gehört, daß sie sich des tonangebenden Publicums
bitter schämen. Aber von den Faiseurs und Lions des Theaters gilt
es doch. Wie ist es auch anders möglich bei dem ganzen Wesen im
hiesigen Theater? Mittelmäßige und saftlose Darstellung und halbes
Hinhören des Publicums. Man ist gar nicht mehr auf eine strenge
und genaue Aufmerksamkeit eingerichtet; man kommt zu spat, man
schwatzt, man lorgncttirt; man lebt von einzelnen Brocken und Scenen;
man hat keinen Sinn mehr für eine eigentliche Composition. Und
nun erst die Kritik! -- Am meisten'wurde die Aufführung Rococos durch
den unverständlichen, sich zum Marquis zierenden und Alles oberflächlich
erledigenden Herrn Rott beeinträchtigt; und dieser erhält in der Vofiischen
Zeitung die Palme von Herrn Gubitz! Wie soll es anders kommen?
Die Leute sehen Jahr aus Jahr ein Nichts weiter als ihre manierir-
ten Schauspieler; sie gehen am Ende in einen Brei mit ihnen zu¬
sammen.


II.
Aus Wie n.

Entsetzung eines Professors. -- Meißner und Liebig. -- Rührende Demon¬
stration. -- Erste Vorlesung des Dr. Schrötrcr. -- Hovens neueste Oper. --
Prechtler und Kleist. -- Italienischer Despotismus. -- Die Ccnsurpctition
will die Journalisten ausschließen. -- Moritz Hartmann und die Buch¬
händler. --

Wir haben in der letzten Zeit hier das seltene Schauspiel einer
Studentendemonstration zu Gunsten eines in Ungnade gefallenen
Professors erlebt, welche es verdient, in Erwähnung gezogen zu wer¬
den, weil der Betroffene in der wissenschaftlichen Welt eines bedeuten¬
den Ansehens genießt und dazu ein Mann ist, der für die Lehrkanzel
ganz geschaffen scheint, was sicherlich nicht von Allen unserer
Professoren gesagt werden kann. Es sind letztere oft tüchtige Männer



Die Red.
*) Verspätet.

sieht es anders aus; es müßte sich denn bei der zweiten Aufführung
das Blatt ganzlich wenden. Bis jetzt muß man sagen, die Berliner
Bühne ist an Rococo gescheitert. Denn so muß es heißen, wenn es
sich um ein erprobtes und allgemein als werthvoll anerkanntes Stück
handelt. Ein großer Theil des Publicums bei der ersten Aufführung
hat das Stück noch gar nicht verstanden, und der Beifall, welcher
gespendet, am Ende auch bis zum Hervorruf gesteigert worden ist,
galt bloß Nebensachen und einzelnen Scenen. Die Capitale der In¬
telligenz hat das Schicksal erfahren, ein geistreiches Jntriguenstück nicht
zu capiren. Dies gilt natürlich nicht von allen Zuhörern; denn ich
habe von Vielen gehört, daß sie sich des tonangebenden Publicums
bitter schämen. Aber von den Faiseurs und Lions des Theaters gilt
es doch. Wie ist es auch anders möglich bei dem ganzen Wesen im
hiesigen Theater? Mittelmäßige und saftlose Darstellung und halbes
Hinhören des Publicums. Man ist gar nicht mehr auf eine strenge
und genaue Aufmerksamkeit eingerichtet; man kommt zu spat, man
schwatzt, man lorgncttirt; man lebt von einzelnen Brocken und Scenen;
man hat keinen Sinn mehr für eine eigentliche Composition. Und
nun erst die Kritik! — Am meisten'wurde die Aufführung Rococos durch
den unverständlichen, sich zum Marquis zierenden und Alles oberflächlich
erledigenden Herrn Rott beeinträchtigt; und dieser erhält in der Vofiischen
Zeitung die Palme von Herrn Gubitz! Wie soll es anders kommen?
Die Leute sehen Jahr aus Jahr ein Nichts weiter als ihre manierir-
ten Schauspieler; sie gehen am Ende in einen Brei mit ihnen zu¬
sammen.


II.
Aus Wie n.

Entsetzung eines Professors. — Meißner und Liebig. — Rührende Demon¬
stration. — Erste Vorlesung des Dr. Schrötrcr. — Hovens neueste Oper. —
Prechtler und Kleist. — Italienischer Despotismus. — Die Ccnsurpctition
will die Journalisten ausschließen. — Moritz Hartmann und die Buch¬
händler. —

Wir haben in der letzten Zeit hier das seltene Schauspiel einer
Studentendemonstration zu Gunsten eines in Ungnade gefallenen
Professors erlebt, welche es verdient, in Erwähnung gezogen zu wer¬
den, weil der Betroffene in der wissenschaftlichen Welt eines bedeuten¬
den Ansehens genießt und dazu ein Mann ist, der für die Lehrkanzel
ganz geschaffen scheint, was sicherlich nicht von Allen unserer
Professoren gesagt werden kann. Es sind letztere oft tüchtige Männer



Die Red.
*) Verspätet.
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[0034] sieht es anders aus; es müßte sich denn bei der zweiten Aufführung das Blatt ganzlich wenden. Bis jetzt muß man sagen, die Berliner Bühne ist an Rococo gescheitert. Denn so muß es heißen, wenn es sich um ein erprobtes und allgemein als werthvoll anerkanntes Stück handelt. Ein großer Theil des Publicums bei der ersten Aufführung hat das Stück noch gar nicht verstanden, und der Beifall, welcher gespendet, am Ende auch bis zum Hervorruf gesteigert worden ist, galt bloß Nebensachen und einzelnen Scenen. Die Capitale der In¬ telligenz hat das Schicksal erfahren, ein geistreiches Jntriguenstück nicht zu capiren. Dies gilt natürlich nicht von allen Zuhörern; denn ich habe von Vielen gehört, daß sie sich des tonangebenden Publicums bitter schämen. Aber von den Faiseurs und Lions des Theaters gilt es doch. Wie ist es auch anders möglich bei dem ganzen Wesen im hiesigen Theater? Mittelmäßige und saftlose Darstellung und halbes Hinhören des Publicums. Man ist gar nicht mehr auf eine strenge und genaue Aufmerksamkeit eingerichtet; man kommt zu spat, man schwatzt, man lorgncttirt; man lebt von einzelnen Brocken und Scenen; man hat keinen Sinn mehr für eine eigentliche Composition. Und nun erst die Kritik! — Am meisten'wurde die Aufführung Rococos durch den unverständlichen, sich zum Marquis zierenden und Alles oberflächlich erledigenden Herrn Rott beeinträchtigt; und dieser erhält in der Vofiischen Zeitung die Palme von Herrn Gubitz! Wie soll es anders kommen? Die Leute sehen Jahr aus Jahr ein Nichts weiter als ihre manierir- ten Schauspieler; sie gehen am Ende in einen Brei mit ihnen zu¬ sammen. II. Aus Wie n. Entsetzung eines Professors. — Meißner und Liebig. — Rührende Demon¬ stration. — Erste Vorlesung des Dr. Schrötrcr. — Hovens neueste Oper. — Prechtler und Kleist. — Italienischer Despotismus. — Die Ccnsurpctition will die Journalisten ausschließen. — Moritz Hartmann und die Buch¬ händler. — Wir haben in der letzten Zeit hier das seltene Schauspiel einer Studentendemonstration zu Gunsten eines in Ungnade gefallenen Professors erlebt, welche es verdient, in Erwähnung gezogen zu wer¬ den, weil der Betroffene in der wissenschaftlichen Welt eines bedeuten¬ den Ansehens genießt und dazu ein Mann ist, der für die Lehrkanzel ganz geschaffen scheint, was sicherlich nicht von Allen unserer Professoren gesagt werden kann. Es sind letztere oft tüchtige Männer Die Red. *) Verspätet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/34>, abgerufen am 27.04.2024.