Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

matischen Dichter im verflossenen Jahre Deutschland durchzog; man
wollte die ersehnte Französin schandehalber auch an unserm Theater
heimisch werden lassen; ja es ward bereits mit ziemlicher Bestimmt¬
heit davon gesprochen, daß Herr Hofrath Winkler einen Tantieme-
Entwurf mit ganz neuen, scharfsinnigen Tournüren und Modificatio-
nen ausgearbeitet habe; aber jener "heilige Eifer" erkaltete. So lange
nicht Seiten der dramatischen Dichter selbst in dieser Sache entschiedene
Schritte geschehen, wie sie ja bereits in Vorschlag gebracht worden
sind, so lange wird man sich bei uns zu einer Maßregel nicht beque¬
men, welche die Möglichkeit ungünstiger Chancen für die Theatercasse
in Aussicht stellt.

Nur auf jenem Wege können Thcctterintendanzen auf den Ehren¬
punkt, den sie den dramatischen Dichtern gegenüber ohne Erröthen
E. P. ignoriren, gezwungen werden.


III.
Notizen.

Beschränkte Gutmüthigkeit. -- Thiers Napoleonsslicht, -- Neue Schrift über
Rußland. -- Briefe zwischen Preußen und Oesterreich. -- Danhäuser. -- Lau¬
be'S "Struensee." -- Kirche oder Gemeine. -- Bileam'6 Esel. -- Verstüm¬
melte Toaste.

-- Zu den Merkwürdigkeiten Leipzigs gehören eine Reihe kleiner,
dorfartiger, schindelbekleideter Hauser in der Windmühlenstraße. Rings¬
herum sieht man tagtäglich große palastartige Gebäude aufsteigen, denn
diese Stadtecke mündet an dem baierischen Bahnhofe, wohin der Haupt¬
verkehr Leipzigs allmälig sich zu ziehen scheint. Die Terrains dieses
Stadttheils steigen mit jedem Tage an Werthe, und doch ist der Ei¬
genthümer jener Schindelhäuschen nicht zu bewegen, dieselben nieder¬
reißen zu lassen, obschon ihm für den bloßen Platz zehnmal so viel
geboten wurde, als die ganze Häuserreihe werth ist. Dieser Eigen¬
thümer, Herr !)>-. S***, ein hochbetagter Greis, will die armen Leute,
die in diesen kleinen Häusern wohnen, nicht in ihrer Miethe steigern,
was im Falle eines Anbaues sicherlich der Fall sein würde. Ist die¬
ses Motiv nicht rührend? Und doch ist es nur eine Grille, eine un¬
angemessene Art wohlzuthun, wie wir sie leider in vielen Schichten
unserer gedankenlosen Gesellschaft finden. Würden diese Hütten ver¬
kauft und das Terrain in zehnfachen Preise capitalisirt, so würde eine
zehnfach große Zahl von Armen für die Zinsen logirt werden können.
Leider ist dieses Leipziger Beispiel von oberflächlicher Wohlthatigkeits-
manier nicht das einzige seiner Art. Je größer die Stadt, desto grel¬
ler treten derlei mit dem besten Willen, aber auf die unverständigste
Weise ausgeführte Maßregeln zum Borschein. Wir erinnern an einen
Artikel: I^e but^et "le I:r ville ^irris, welchen vor Kurzem die
Revue des deux Mondes brachte. Man zählt in Paris -- heißt es
dort -- 24M0 arme Haushaltungen, welche zusammen 2M0M0


matischen Dichter im verflossenen Jahre Deutschland durchzog; man
wollte die ersehnte Französin schandehalber auch an unserm Theater
heimisch werden lassen; ja es ward bereits mit ziemlicher Bestimmt¬
heit davon gesprochen, daß Herr Hofrath Winkler einen Tantieme-
Entwurf mit ganz neuen, scharfsinnigen Tournüren und Modificatio-
nen ausgearbeitet habe; aber jener „heilige Eifer" erkaltete. So lange
nicht Seiten der dramatischen Dichter selbst in dieser Sache entschiedene
Schritte geschehen, wie sie ja bereits in Vorschlag gebracht worden
sind, so lange wird man sich bei uns zu einer Maßregel nicht beque¬
men, welche die Möglichkeit ungünstiger Chancen für die Theatercasse
in Aussicht stellt.

Nur auf jenem Wege können Thcctterintendanzen auf den Ehren¬
punkt, den sie den dramatischen Dichtern gegenüber ohne Erröthen
E. P. ignoriren, gezwungen werden.


III.
Notizen.

Beschränkte Gutmüthigkeit. — Thiers Napoleonsslicht, — Neue Schrift über
Rußland. — Briefe zwischen Preußen und Oesterreich. — Danhäuser. — Lau¬
be'S „Struensee." — Kirche oder Gemeine. — Bileam'6 Esel. — Verstüm¬
melte Toaste.

— Zu den Merkwürdigkeiten Leipzigs gehören eine Reihe kleiner,
dorfartiger, schindelbekleideter Hauser in der Windmühlenstraße. Rings¬
herum sieht man tagtäglich große palastartige Gebäude aufsteigen, denn
diese Stadtecke mündet an dem baierischen Bahnhofe, wohin der Haupt¬
verkehr Leipzigs allmälig sich zu ziehen scheint. Die Terrains dieses
Stadttheils steigen mit jedem Tage an Werthe, und doch ist der Ei¬
genthümer jener Schindelhäuschen nicht zu bewegen, dieselben nieder¬
reißen zu lassen, obschon ihm für den bloßen Platz zehnmal so viel
geboten wurde, als die ganze Häuserreihe werth ist. Dieser Eigen¬
thümer, Herr !)>-. S***, ein hochbetagter Greis, will die armen Leute,
die in diesen kleinen Häusern wohnen, nicht in ihrer Miethe steigern,
was im Falle eines Anbaues sicherlich der Fall sein würde. Ist die¬
ses Motiv nicht rührend? Und doch ist es nur eine Grille, eine un¬
angemessene Art wohlzuthun, wie wir sie leider in vielen Schichten
unserer gedankenlosen Gesellschaft finden. Würden diese Hütten ver¬
kauft und das Terrain in zehnfachen Preise capitalisirt, so würde eine
zehnfach große Zahl von Armen für die Zinsen logirt werden können.
Leider ist dieses Leipziger Beispiel von oberflächlicher Wohlthatigkeits-
manier nicht das einzige seiner Art. Je größer die Stadt, desto grel¬
ler treten derlei mit dem besten Willen, aber auf die unverständigste
Weise ausgeführte Maßregeln zum Borschein. Wir erinnern an einen
Artikel: I^e but^et «le I:r ville ^irris, welchen vor Kurzem die
Revue des deux Mondes brachte. Man zählt in Paris — heißt es
dort — 24M0 arme Haushaltungen, welche zusammen 2M0M0


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270431"/>
            <p xml:id="ID_1001" prev="#ID_1000"> matischen Dichter im verflossenen Jahre Deutschland durchzog; man<lb/>
wollte die ersehnte Französin schandehalber auch an unserm Theater<lb/>
heimisch werden lassen; ja es ward bereits mit ziemlicher Bestimmt¬<lb/>
heit davon gesprochen, daß Herr Hofrath Winkler einen Tantieme-<lb/>
Entwurf mit ganz neuen, scharfsinnigen Tournüren und Modificatio-<lb/>
nen ausgearbeitet habe; aber jener &#x201E;heilige Eifer" erkaltete. So lange<lb/>
nicht Seiten der dramatischen Dichter selbst in dieser Sache entschiedene<lb/>
Schritte geschehen, wie sie ja bereits in Vorschlag gebracht worden<lb/>
sind, so lange wird man sich bei uns zu einer Maßregel nicht beque¬<lb/>
men, welche die Möglichkeit ungünstiger Chancen für die Theatercasse<lb/>
in Aussicht stellt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1002"> Nur auf jenem Wege können Thcctterintendanzen auf den Ehren¬<lb/>
punkt, den sie den dramatischen Dichtern gegenüber ohne Erröthen<lb/><note type="byline"> E. P.</note> ignoriren, gezwungen werden. </p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> III.<lb/>
Notizen.</head><lb/>
            <note type="argument"> Beschränkte Gutmüthigkeit. &#x2014; Thiers Napoleonsslicht, &#x2014; Neue Schrift über<lb/>
Rußland. &#x2014; Briefe zwischen Preußen und Oesterreich. &#x2014; Danhäuser. &#x2014; Lau¬<lb/>
be'S &#x201E;Struensee." &#x2014; Kirche oder Gemeine. &#x2014; Bileam'6 Esel. &#x2014; Verstüm¬<lb/>
melte Toaste.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1003" next="#ID_1004"> &#x2014; Zu den Merkwürdigkeiten Leipzigs gehören eine Reihe kleiner,<lb/>
dorfartiger, schindelbekleideter Hauser in der Windmühlenstraße. Rings¬<lb/>
herum sieht man tagtäglich große palastartige Gebäude aufsteigen, denn<lb/>
diese Stadtecke mündet an dem baierischen Bahnhofe, wohin der Haupt¬<lb/>
verkehr Leipzigs allmälig sich zu ziehen scheint. Die Terrains dieses<lb/>
Stadttheils steigen mit jedem Tage an Werthe, und doch ist der Ei¬<lb/>
genthümer jener Schindelhäuschen nicht zu bewegen, dieselben nieder¬<lb/>
reißen zu lassen, obschon ihm für den bloßen Platz zehnmal so viel<lb/>
geboten wurde, als die ganze Häuserreihe werth ist. Dieser Eigen¬<lb/>
thümer, Herr !)&gt;-. S***, ein hochbetagter Greis, will die armen Leute,<lb/>
die in diesen kleinen Häusern wohnen, nicht in ihrer Miethe steigern,<lb/>
was im Falle eines Anbaues sicherlich der Fall sein würde. Ist die¬<lb/>
ses Motiv nicht rührend? Und doch ist es nur eine Grille, eine un¬<lb/>
angemessene Art wohlzuthun, wie wir sie leider in vielen Schichten<lb/>
unserer gedankenlosen Gesellschaft finden. Würden diese Hütten ver¬<lb/>
kauft und das Terrain in zehnfachen Preise capitalisirt, so würde eine<lb/>
zehnfach große Zahl von Armen für die Zinsen logirt werden können.<lb/>
Leider ist dieses Leipziger Beispiel von oberflächlicher Wohlthatigkeits-<lb/>
manier nicht das einzige seiner Art. Je größer die Stadt, desto grel¬<lb/>
ler treten derlei mit dem besten Willen, aber auf die unverständigste<lb/>
Weise ausgeführte Maßregeln zum Borschein. Wir erinnern an einen<lb/>
Artikel: I^e but^et «le I:r ville ^irris, welchen vor Kurzem die<lb/>
Revue des deux Mondes brachte. Man zählt in Paris &#x2014; heißt es<lb/>
dort &#x2014; 24M0 arme Haushaltungen, welche zusammen 2M0M0</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0372] matischen Dichter im verflossenen Jahre Deutschland durchzog; man wollte die ersehnte Französin schandehalber auch an unserm Theater heimisch werden lassen; ja es ward bereits mit ziemlicher Bestimmt¬ heit davon gesprochen, daß Herr Hofrath Winkler einen Tantieme- Entwurf mit ganz neuen, scharfsinnigen Tournüren und Modificatio- nen ausgearbeitet habe; aber jener „heilige Eifer" erkaltete. So lange nicht Seiten der dramatischen Dichter selbst in dieser Sache entschiedene Schritte geschehen, wie sie ja bereits in Vorschlag gebracht worden sind, so lange wird man sich bei uns zu einer Maßregel nicht beque¬ men, welche die Möglichkeit ungünstiger Chancen für die Theatercasse in Aussicht stellt. Nur auf jenem Wege können Thcctterintendanzen auf den Ehren¬ punkt, den sie den dramatischen Dichtern gegenüber ohne Erröthen E. P. ignoriren, gezwungen werden. III. Notizen. Beschränkte Gutmüthigkeit. — Thiers Napoleonsslicht, — Neue Schrift über Rußland. — Briefe zwischen Preußen und Oesterreich. — Danhäuser. — Lau¬ be'S „Struensee." — Kirche oder Gemeine. — Bileam'6 Esel. — Verstüm¬ melte Toaste. — Zu den Merkwürdigkeiten Leipzigs gehören eine Reihe kleiner, dorfartiger, schindelbekleideter Hauser in der Windmühlenstraße. Rings¬ herum sieht man tagtäglich große palastartige Gebäude aufsteigen, denn diese Stadtecke mündet an dem baierischen Bahnhofe, wohin der Haupt¬ verkehr Leipzigs allmälig sich zu ziehen scheint. Die Terrains dieses Stadttheils steigen mit jedem Tage an Werthe, und doch ist der Ei¬ genthümer jener Schindelhäuschen nicht zu bewegen, dieselben nieder¬ reißen zu lassen, obschon ihm für den bloßen Platz zehnmal so viel geboten wurde, als die ganze Häuserreihe werth ist. Dieser Eigen¬ thümer, Herr !)>-. S***, ein hochbetagter Greis, will die armen Leute, die in diesen kleinen Häusern wohnen, nicht in ihrer Miethe steigern, was im Falle eines Anbaues sicherlich der Fall sein würde. Ist die¬ ses Motiv nicht rührend? Und doch ist es nur eine Grille, eine un¬ angemessene Art wohlzuthun, wie wir sie leider in vielen Schichten unserer gedankenlosen Gesellschaft finden. Würden diese Hütten ver¬ kauft und das Terrain in zehnfachen Preise capitalisirt, so würde eine zehnfach große Zahl von Armen für die Zinsen logirt werden können. Leider ist dieses Leipziger Beispiel von oberflächlicher Wohlthatigkeits- manier nicht das einzige seiner Art. Je größer die Stadt, desto grel¬ ler treten derlei mit dem besten Willen, aber auf die unverständigste Weise ausgeführte Maßregeln zum Borschein. Wir erinnern an einen Artikel: I^e but^et «le I:r ville ^irris, welchen vor Kurzem die Revue des deux Mondes brachte. Man zählt in Paris — heißt es dort — 24M0 arme Haushaltungen, welche zusammen 2M0M0

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/372
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/372>, abgerufen am 27.04.2024.