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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Muster des preußischen Obercensurgerichtes und auf Erneuerung des
Prcßgesetzes von I8t)8, das im Vergleich zur gegenwärtigen polizeili¬
chen Observanz beinahe Preßfreiheit gewahrt. Bei der Discussion über
die Annahme des Petitionsentwurfs entspann sich ein Meinungskampf,
der sehr wichtig und bezeichnend ist für die Minorität der Versamm¬
lung, die sich nämlich dahin aussprach, daß die Journalisten von der
angesuchtcn Prcßcrleichterung ausgeschlossen bleiben sollten. Diese An¬
sicht ist indeß zur Ehre der hiesigen Schriftstellerwelt einer gesundem
Anschauung der Dinge unterlegen, welche weiß, wie ohnmächtig der
Leib der Literatur bleiben muß, wenn man ihr die Füße bindet, von
denen ihre Verbreitung und ihre Popularisirung abhängt. Es ist charak¬
teristisch, daß diese Minorität nicht etwa aus Hochgelehrten bestand,
denen oft vor der journalistischen Oberflächlichkeit schaudern mag, son¬
dern lediglich aus einem Häuschen Dramatiker, deren verfehlte Pro¬
ducts nicht die gehofften Tantiemen abwarfen und welche einen unver¬
söhnlichen Groll auf die Tagespresse hegen."

Den unter dem hussitischen Titel: "Schwert und Kelch erschie¬
nenen Gedichten von Moritz Hartmann ist es widerfahren, in den Vuch-
läden confiscire zu werden. Diese Praxis ist hier neu, denn bisher
mußten derlei Bücher wieder in's Ausland zurückgesendet werden, aber
niemals gingen sie in den Besitz der Polizeigewalt über. Man will
durch dieses neue Verfahren die auswärtigen Buchhändler vor derlei
Vüchersendungen abschrecken, indeß haben sich die hiesigen Buchhand¬
lungen bei der Behörde verwendet, damit ihnen eine amtliche Bestäti¬
gung der weggenommenem Exemplare ausgehändigt werde, um sich bei
ihren Commissionären des Ausfalls wegen rechtfertigen zu können.


III.
Aus Prag.

Die gemischten Ehen in Ungarn und in Böhmen. -- Unterrichtswesen. --
Der Bischof von Seitmentz contra Professor Exner. -- Der Erzbischof. --
Frankreich und Böhmen. -- Katholische Gegenwart und reformistische Ver¬
gangenheit. -- Der Nongcsche Brief und die Polizei. -- Alfred Meißner und
Buchhändler Reclam. -- Die Cattundrucker. -- Maschinen und Petitionen.--
Falsche Oeconomie politique.

Immer mehr Bestätigung findet das Gerücht, es werde das Gesetz
über die gemischten Ehen in gleich liberaler Fassung wie für Ungarn
auch für Böhmen und die übrigen Erbstaaten erlassen werden. Seit dem
Gesetz über die Reduction der Militärzeit überlaßt man sich bei uns
wieder frischen Hoffnungen, Reformen in der vielfachen veralteten Le¬
gislatur eintreten zu sehen. Das Gesetz, welches die gemischten Ehen


Muster des preußischen Obercensurgerichtes und auf Erneuerung des
Prcßgesetzes von I8t)8, das im Vergleich zur gegenwärtigen polizeili¬
chen Observanz beinahe Preßfreiheit gewahrt. Bei der Discussion über
die Annahme des Petitionsentwurfs entspann sich ein Meinungskampf,
der sehr wichtig und bezeichnend ist für die Minorität der Versamm¬
lung, die sich nämlich dahin aussprach, daß die Journalisten von der
angesuchtcn Prcßcrleichterung ausgeschlossen bleiben sollten. Diese An¬
sicht ist indeß zur Ehre der hiesigen Schriftstellerwelt einer gesundem
Anschauung der Dinge unterlegen, welche weiß, wie ohnmächtig der
Leib der Literatur bleiben muß, wenn man ihr die Füße bindet, von
denen ihre Verbreitung und ihre Popularisirung abhängt. Es ist charak¬
teristisch, daß diese Minorität nicht etwa aus Hochgelehrten bestand,
denen oft vor der journalistischen Oberflächlichkeit schaudern mag, son¬
dern lediglich aus einem Häuschen Dramatiker, deren verfehlte Pro¬
ducts nicht die gehofften Tantiemen abwarfen und welche einen unver¬
söhnlichen Groll auf die Tagespresse hegen."

Den unter dem hussitischen Titel: „Schwert und Kelch erschie¬
nenen Gedichten von Moritz Hartmann ist es widerfahren, in den Vuch-
läden confiscire zu werden. Diese Praxis ist hier neu, denn bisher
mußten derlei Bücher wieder in's Ausland zurückgesendet werden, aber
niemals gingen sie in den Besitz der Polizeigewalt über. Man will
durch dieses neue Verfahren die auswärtigen Buchhändler vor derlei
Vüchersendungen abschrecken, indeß haben sich die hiesigen Buchhand¬
lungen bei der Behörde verwendet, damit ihnen eine amtliche Bestäti¬
gung der weggenommenem Exemplare ausgehändigt werde, um sich bei
ihren Commissionären des Ausfalls wegen rechtfertigen zu können.


III.
Aus Prag.

Die gemischten Ehen in Ungarn und in Böhmen. — Unterrichtswesen. —
Der Bischof von Seitmentz contra Professor Exner. — Der Erzbischof. —
Frankreich und Böhmen. — Katholische Gegenwart und reformistische Ver¬
gangenheit. — Der Nongcsche Brief und die Polizei. — Alfred Meißner und
Buchhändler Reclam. — Die Cattundrucker. — Maschinen und Petitionen.—
Falsche Oeconomie politique.

Immer mehr Bestätigung findet das Gerücht, es werde das Gesetz
über die gemischten Ehen in gleich liberaler Fassung wie für Ungarn
auch für Böhmen und die übrigen Erbstaaten erlassen werden. Seit dem
Gesetz über die Reduction der Militärzeit überlaßt man sich bei uns
wieder frischen Hoffnungen, Reformen in der vielfachen veralteten Le¬
gislatur eintreten zu sehen. Das Gesetz, welches die gemischten Ehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/39>, abgerufen am 27.04.2024.