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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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dersehn; flammende Liebe und Sehnsucht trieben ihn zu ihr hin --
Heimath wollte sich Kraft holen, die Trennung noch länger zu er¬
tragen. Sein Weg führte ihn an der Besitzung des ehemaligen Buch¬
binders vorbei, und er bemerkte aus der Ferne, daß Georgine so eben
dort ankam. Schnell sprang er aus dem Wagen, ließ diesen nach
der Stadt fahren, und schlich sich in den laubigen Park.

Lange hatte er, die offenen Partien vermeidend, darin umher¬
gestöbert, ohne ein lebendes Wesen zu entdecken, und jetzt stand er
an der Rückwand einer dichtbewachsenen Fliederlaube. Es regte sich
etwas zwischen dem Buschwerk. Helmut!) lauschte, und bog die Zweige
leise zurück. Da zeigte sich ihm ein trauriges, aber doch so schönes
Bild. Georgine saß, im weißen Gewände, auf der Bank, und ihre
feine Gestalt hob sich herrlich ab auf dem dunkelgrünen Hintergrund.
Die Züge des Mädchens waren blaß, sehr blaß, und große Thrä¬
nen rollten über ihre Wangen. Unsägliches Glück und tiefe Weh¬
muth ergriffen den Lauscher; er hätte hervorstürmen und durch heiße
Küsse die Perle" des Kummers trocknen mögen. Helmuth bezwang
sich jedoch, um die Liebliche nicht zu verscheuchen, die mit dem Stock
ihres Sonnenschirmes einzelne Buchstaben in den Sand des Bodens
schrieb. El" H, ein E und ein L entstanden zuerst... des Jüng-
lings Herz klopfte beinahe hörbar... ein M und ein U folgten
dann... Ha! Georgine hatte seinen Namen gezeichnet, und lächelte
die Schriftzüge so freundlich an, als ob sie den Entfernten grüßen
möchte.

Jede hätte Helmuth nicht mehr die Gewalt gehabt, sich zurück¬
zuhalten, doch eben kamen Fußtritte den Gang herauf. Man sollte
ihn hier nicht sehen, deshalb trat er vorsichtig seinen Rückzug an, und
eine hohe Freudigkeit erfüllte die Seele des Jünglings, denn ein
herrlicher Plan für die Zukunft war in ihm zur Reife gediehen.




Achtes Capitel.

Am andern Morgen beim Frühstück sagte Georgine den Ellern,
daß sie Bims nicht heirathen könne. Er habe sie im Innersten ver¬
letzt, habe sie wie eine Magd behandelt und mit Nichtachtung von
denen gesprochen, die sie herzinnig liebe und verehre. Jetzt fühle sie
klar, daß sie sehr unglücklich sein würde, wenn sie seine Gattin wer-


dersehn; flammende Liebe und Sehnsucht trieben ihn zu ihr hin —
Heimath wollte sich Kraft holen, die Trennung noch länger zu er¬
tragen. Sein Weg führte ihn an der Besitzung des ehemaligen Buch¬
binders vorbei, und er bemerkte aus der Ferne, daß Georgine so eben
dort ankam. Schnell sprang er aus dem Wagen, ließ diesen nach
der Stadt fahren, und schlich sich in den laubigen Park.

Lange hatte er, die offenen Partien vermeidend, darin umher¬
gestöbert, ohne ein lebendes Wesen zu entdecken, und jetzt stand er
an der Rückwand einer dichtbewachsenen Fliederlaube. Es regte sich
etwas zwischen dem Buschwerk. Helmut!) lauschte, und bog die Zweige
leise zurück. Da zeigte sich ihm ein trauriges, aber doch so schönes
Bild. Georgine saß, im weißen Gewände, auf der Bank, und ihre
feine Gestalt hob sich herrlich ab auf dem dunkelgrünen Hintergrund.
Die Züge des Mädchens waren blaß, sehr blaß, und große Thrä¬
nen rollten über ihre Wangen. Unsägliches Glück und tiefe Weh¬
muth ergriffen den Lauscher; er hätte hervorstürmen und durch heiße
Küsse die Perle» des Kummers trocknen mögen. Helmuth bezwang
sich jedoch, um die Liebliche nicht zu verscheuchen, die mit dem Stock
ihres Sonnenschirmes einzelne Buchstaben in den Sand des Bodens
schrieb. El» H, ein E und ein L entstanden zuerst... des Jüng-
lings Herz klopfte beinahe hörbar... ein M und ein U folgten
dann... Ha! Georgine hatte seinen Namen gezeichnet, und lächelte
die Schriftzüge so freundlich an, als ob sie den Entfernten grüßen
möchte.

Jede hätte Helmuth nicht mehr die Gewalt gehabt, sich zurück¬
zuhalten, doch eben kamen Fußtritte den Gang herauf. Man sollte
ihn hier nicht sehen, deshalb trat er vorsichtig seinen Rückzug an, und
eine hohe Freudigkeit erfüllte die Seele des Jünglings, denn ein
herrlicher Plan für die Zukunft war in ihm zur Reife gediehen.




Achtes Capitel.

Am andern Morgen beim Frühstück sagte Georgine den Ellern,
daß sie Bims nicht heirathen könne. Er habe sie im Innersten ver¬
letzt, habe sie wie eine Magd behandelt und mit Nichtachtung von
denen gesprochen, die sie herzinnig liebe und verehre. Jetzt fühle sie
klar, daß sie sehr unglücklich sein würde, wenn sie seine Gattin wer-


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[0403] dersehn; flammende Liebe und Sehnsucht trieben ihn zu ihr hin — Heimath wollte sich Kraft holen, die Trennung noch länger zu er¬ tragen. Sein Weg führte ihn an der Besitzung des ehemaligen Buch¬ binders vorbei, und er bemerkte aus der Ferne, daß Georgine so eben dort ankam. Schnell sprang er aus dem Wagen, ließ diesen nach der Stadt fahren, und schlich sich in den laubigen Park. Lange hatte er, die offenen Partien vermeidend, darin umher¬ gestöbert, ohne ein lebendes Wesen zu entdecken, und jetzt stand er an der Rückwand einer dichtbewachsenen Fliederlaube. Es regte sich etwas zwischen dem Buschwerk. Helmut!) lauschte, und bog die Zweige leise zurück. Da zeigte sich ihm ein trauriges, aber doch so schönes Bild. Georgine saß, im weißen Gewände, auf der Bank, und ihre feine Gestalt hob sich herrlich ab auf dem dunkelgrünen Hintergrund. Die Züge des Mädchens waren blaß, sehr blaß, und große Thrä¬ nen rollten über ihre Wangen. Unsägliches Glück und tiefe Weh¬ muth ergriffen den Lauscher; er hätte hervorstürmen und durch heiße Küsse die Perle» des Kummers trocknen mögen. Helmuth bezwang sich jedoch, um die Liebliche nicht zu verscheuchen, die mit dem Stock ihres Sonnenschirmes einzelne Buchstaben in den Sand des Bodens schrieb. El» H, ein E und ein L entstanden zuerst... des Jüng- lings Herz klopfte beinahe hörbar... ein M und ein U folgten dann... Ha! Georgine hatte seinen Namen gezeichnet, und lächelte die Schriftzüge so freundlich an, als ob sie den Entfernten grüßen möchte. Jede hätte Helmuth nicht mehr die Gewalt gehabt, sich zurück¬ zuhalten, doch eben kamen Fußtritte den Gang herauf. Man sollte ihn hier nicht sehen, deshalb trat er vorsichtig seinen Rückzug an, und eine hohe Freudigkeit erfüllte die Seele des Jünglings, denn ein herrlicher Plan für die Zukunft war in ihm zur Reife gediehen. Achtes Capitel. Am andern Morgen beim Frühstück sagte Georgine den Ellern, daß sie Bims nicht heirathen könne. Er habe sie im Innersten ver¬ letzt, habe sie wie eine Magd behandelt und mit Nichtachtung von denen gesprochen, die sie herzinnig liebe und verehre. Jetzt fühle sie klar, daß sie sehr unglücklich sein würde, wenn sie seine Gattin wer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/403>, abgerufen am 27.04.2024.