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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Abreise bettlägerig ward und sehr schnell starb. Dadurch war der bis
in's Innerste erschütterte Sohn gezwungen, seinen Aufenthalt in der
Provinzialhauptstadt über die Zeit seines ursprünglichen Urlaubs zu
verlängern, um die Verlassenschaft seiner Mutter zu ordnen und den
Geschwistern im ersten Taumel der Bestürzung als Tröster zur Seite
zu stehen. Zu diesem Ende begab sich der junge Mann sogleich zu
dem Chef der ihm vorgesetzten Behörde, um von ihm die nöthige
Bewilligung mündlich oder schriftlich zu erhalten. Er wurde indeß
nicht vorgelassen und im Vorzimmer bedeutet, der Hofrath sei zu sehr
beschäftigt, um Jemand zu sprechen. Er kam an drei verschiedenen
Tagen wieder und erhielt immer dieselbe Antwort, bis er endlich das
letzte Mal die Geduld verlor und dem Diener befahl, ihn gleichwohl
zu melden, da sein Begehren gleichfalls ein dienstliches sei und keinen
Aufschub leide. Da dies verweigert wurde, trat der Gekränkte un¬
angemeldet in das Arbeitscabinet seines Chefs, der ihn alsbald mit
einem donnernden: Marsch hinaus! empfing. Der in solcher Weise
Angeredete versäumte nicht, seinem Vorgesetzten auseinanderzusetzen,
daß dies nicht der Ton, in welchem man mit einem Staatsdiener
spräche, und sein Anliegen so bündig sei, daß von Zeitverlust gar keine
Rede sein könne. Die Folge dieser verständigen Rede war, daß der
Hofrath drohte, ihn hinauswerfen zu lassen, und diese Drohung so¬
gleich durch herbeigcklingelte Bureaudiener bewerkstelligen ließ. Von
Soldaten mit gebundenen Händen am hellen Mittag durch die Straßen
der Stadt nach dem Polizeihause geführt, ward er von dort, da der
Chef angegeben, der Mann scheine ihm verrückt zu sein, in die Irren¬
anstalt gebracht, wo ihn der Jrrenarzt untersuchte und mit der frei¬
müthigen Erklärung", der Bezüchtigte sei überaus vernünftig, frei¬
gab. Den ersten Gebrauch, den der Beleidigte von seiner Freiheit
machte, war eine Audienz bei dem Generalgouvemeur von Galizien,
dem Erzherzoge Ferdinand von Este, dem er, sowie dem Regierungs¬
präsidenten den ganzen Sachverhalt offen mittheilte und auf einer
eclatanten Genugthuung bestand, die ihm auch sicher werden muß,
indem der Betreffende augenscheinlich ein Narr oder wenigstens in
hohem Grade geisteskrank zu sein scheint. Sein Betragen ist um so
auffallender, als es dem humanen Benehmen und dem feinen Ton,
den man hier an unsern höchsten Staatsmännern gewohnt ist, schnur¬
stracks entgegenläuft.


2.

Medicinische Schicksale. -- Consul Croigher. -- Noch einmal Danhäuser. --
Kunstjeremiaden.

Unter den interessanten Gästen, die wir in der letzten Zeit be¬
grüßen konnten, befand sich auch der Medicinalrath Di. Schmelz aus
Dresden, der hohen Orts die ausnahmsweise Begünstigung erhielt.


Abreise bettlägerig ward und sehr schnell starb. Dadurch war der bis
in's Innerste erschütterte Sohn gezwungen, seinen Aufenthalt in der
Provinzialhauptstadt über die Zeit seines ursprünglichen Urlaubs zu
verlängern, um die Verlassenschaft seiner Mutter zu ordnen und den
Geschwistern im ersten Taumel der Bestürzung als Tröster zur Seite
zu stehen. Zu diesem Ende begab sich der junge Mann sogleich zu
dem Chef der ihm vorgesetzten Behörde, um von ihm die nöthige
Bewilligung mündlich oder schriftlich zu erhalten. Er wurde indeß
nicht vorgelassen und im Vorzimmer bedeutet, der Hofrath sei zu sehr
beschäftigt, um Jemand zu sprechen. Er kam an drei verschiedenen
Tagen wieder und erhielt immer dieselbe Antwort, bis er endlich das
letzte Mal die Geduld verlor und dem Diener befahl, ihn gleichwohl
zu melden, da sein Begehren gleichfalls ein dienstliches sei und keinen
Aufschub leide. Da dies verweigert wurde, trat der Gekränkte un¬
angemeldet in das Arbeitscabinet seines Chefs, der ihn alsbald mit
einem donnernden: Marsch hinaus! empfing. Der in solcher Weise
Angeredete versäumte nicht, seinem Vorgesetzten auseinanderzusetzen,
daß dies nicht der Ton, in welchem man mit einem Staatsdiener
spräche, und sein Anliegen so bündig sei, daß von Zeitverlust gar keine
Rede sein könne. Die Folge dieser verständigen Rede war, daß der
Hofrath drohte, ihn hinauswerfen zu lassen, und diese Drohung so¬
gleich durch herbeigcklingelte Bureaudiener bewerkstelligen ließ. Von
Soldaten mit gebundenen Händen am hellen Mittag durch die Straßen
der Stadt nach dem Polizeihause geführt, ward er von dort, da der
Chef angegeben, der Mann scheine ihm verrückt zu sein, in die Irren¬
anstalt gebracht, wo ihn der Jrrenarzt untersuchte und mit der frei¬
müthigen Erklärung", der Bezüchtigte sei überaus vernünftig, frei¬
gab. Den ersten Gebrauch, den der Beleidigte von seiner Freiheit
machte, war eine Audienz bei dem Generalgouvemeur von Galizien,
dem Erzherzoge Ferdinand von Este, dem er, sowie dem Regierungs¬
präsidenten den ganzen Sachverhalt offen mittheilte und auf einer
eclatanten Genugthuung bestand, die ihm auch sicher werden muß,
indem der Betreffende augenscheinlich ein Narr oder wenigstens in
hohem Grade geisteskrank zu sein scheint. Sein Betragen ist um so
auffallender, als es dem humanen Benehmen und dem feinen Ton,
den man hier an unsern höchsten Staatsmännern gewohnt ist, schnur¬
stracks entgegenläuft.


2.

Medicinische Schicksale. — Consul Croigher. — Noch einmal Danhäuser. —
Kunstjeremiaden.

Unter den interessanten Gästen, die wir in der letzten Zeit be¬
grüßen konnten, befand sich auch der Medicinalrath Di. Schmelz aus
Dresden, der hohen Orts die ausnahmsweise Begünstigung erhielt.


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[0421] Abreise bettlägerig ward und sehr schnell starb. Dadurch war der bis in's Innerste erschütterte Sohn gezwungen, seinen Aufenthalt in der Provinzialhauptstadt über die Zeit seines ursprünglichen Urlaubs zu verlängern, um die Verlassenschaft seiner Mutter zu ordnen und den Geschwistern im ersten Taumel der Bestürzung als Tröster zur Seite zu stehen. Zu diesem Ende begab sich der junge Mann sogleich zu dem Chef der ihm vorgesetzten Behörde, um von ihm die nöthige Bewilligung mündlich oder schriftlich zu erhalten. Er wurde indeß nicht vorgelassen und im Vorzimmer bedeutet, der Hofrath sei zu sehr beschäftigt, um Jemand zu sprechen. Er kam an drei verschiedenen Tagen wieder und erhielt immer dieselbe Antwort, bis er endlich das letzte Mal die Geduld verlor und dem Diener befahl, ihn gleichwohl zu melden, da sein Begehren gleichfalls ein dienstliches sei und keinen Aufschub leide. Da dies verweigert wurde, trat der Gekränkte un¬ angemeldet in das Arbeitscabinet seines Chefs, der ihn alsbald mit einem donnernden: Marsch hinaus! empfing. Der in solcher Weise Angeredete versäumte nicht, seinem Vorgesetzten auseinanderzusetzen, daß dies nicht der Ton, in welchem man mit einem Staatsdiener spräche, und sein Anliegen so bündig sei, daß von Zeitverlust gar keine Rede sein könne. Die Folge dieser verständigen Rede war, daß der Hofrath drohte, ihn hinauswerfen zu lassen, und diese Drohung so¬ gleich durch herbeigcklingelte Bureaudiener bewerkstelligen ließ. Von Soldaten mit gebundenen Händen am hellen Mittag durch die Straßen der Stadt nach dem Polizeihause geführt, ward er von dort, da der Chef angegeben, der Mann scheine ihm verrückt zu sein, in die Irren¬ anstalt gebracht, wo ihn der Jrrenarzt untersuchte und mit der frei¬ müthigen Erklärung", der Bezüchtigte sei überaus vernünftig, frei¬ gab. Den ersten Gebrauch, den der Beleidigte von seiner Freiheit machte, war eine Audienz bei dem Generalgouvemeur von Galizien, dem Erzherzoge Ferdinand von Este, dem er, sowie dem Regierungs¬ präsidenten den ganzen Sachverhalt offen mittheilte und auf einer eclatanten Genugthuung bestand, die ihm auch sicher werden muß, indem der Betreffende augenscheinlich ein Narr oder wenigstens in hohem Grade geisteskrank zu sein scheint. Sein Betragen ist um so auffallender, als es dem humanen Benehmen und dem feinen Ton, den man hier an unsern höchsten Staatsmännern gewohnt ist, schnur¬ stracks entgegenläuft. 2. Medicinische Schicksale. — Consul Croigher. — Noch einmal Danhäuser. — Kunstjeremiaden. Unter den interessanten Gästen, die wir in der letzten Zeit be¬ grüßen konnten, befand sich auch der Medicinalrath Di. Schmelz aus Dresden, der hohen Orts die ausnahmsweise Begünstigung erhielt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/421>, abgerufen am 27.04.2024.