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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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111.
Aus Berlin.

Corso und zeitgemäßer Fortschritt. -- Theater. -- Gäste.

Wir haben jetzt einen "Corso!" einen Corso, ein Longchcimps,
wie es die aristokratischen Airkel gern nennen möchten. Der erste fand
Statt auf dem Floraplatz, und da dieser für die Zahl der Equipagen
und Fußgänger nicht Raum genug bot, erwählte man die breite Allee
zwischen den Jedem und dem Hofjäger dazu. Hier ziehen denn stun¬
denlang hinter einander, in glorwürdiger Nachahmung römischer Sitte,
die Wagen der vornehmen Welt, die prinzlichen sowohl als die der Adels¬
und Geldaristokratie, gefolgt von zahlreichen Miethwagen; Reichthum
und Coquetterie entfalten sich in der Pracht der Equipagen, dem Glanz der
Toiletten. Die "gemüthliche" Spielerei der Berliner Aristokratie macht
sich geltend, indem man Blumen und "Confetti" einander zuwirft.
Man dreht sich in blasirten 1)vice-5ilr-"ieiit<z eine Stunde nach der
anderen auf demselben Flecke herum, als wolle man dem in Masse zu¬
schauenden Volke ein anschauliches Bild entwerfen von dem beliebten
zeitgemäßen Fortschritt, der in anhaltender maaßvollcr Bewegung, ohne
Hast und Uebereilung, mit anständiger Ruhe und Bedächtigkeit immer
wieder in seine eigenen Fußstapfen zurückkehrt.

Das letzte deutsche Schauspiel, das man auf unsrer Hofbühne
sah, war Bauernfelo's "Ein Deutscher Krieger." Ich kann über das
Stück nicht urtheilen, denn ich befand mich während feiner ersten
hiesigen Aufführung in Leipzig, und eine zweite hat noch nicht statt¬
gefunden. Sie war angesetzt, allein Herr Hoppe wurde krank, und
die Borstellung mußte abgeändert werden. Mehr als zwei Aufführun¬
gen hatte das Schauspiel ohnedies sür's Erste nicht erleben können,
da Fräulein Stich, welche die Frau v. Laroche spielte, gleich darauf
ihren Urlaub antrat. Das System, neue Stücke kurz vor der Abreise
darin mitwirkender Schauspieler zum ersten Mal zu geben und dann,
ehe man über den Eindruck im Publicum sich recht entschieden hat,
sie ruhen zu lassen, ein System, das hier einzureißen droht, wird
gewiß der deutschen Dramatik eine höchst sonderbare Förderung ange-
deihen lassen. Wegen der Menge zu gleicher Zeit ertheilter Urlande
kann jetzt im Schauspiel gar nichts von Bedeutung gegeben werden.
Das Theater schleppt sich, wie ein abgejagtes Fuhrwerk, durch den
dürresten Sand. Im Schauspiel sind beurlaubt: Charlotte v. Hagn,
Auguste Crelinger, Clara Stich, Charlotte Birch-Pfeiffer, Hendrichs,
Rott, Crüsemann, Grua, Schneider, Franz. Nun frage ich: was
bleibt uns? Der König befahl, es solle am Sonnabend vor Pfingsten


Grcnzioten 18is, II. 54
111.
Aus Berlin.

Corso und zeitgemäßer Fortschritt. — Theater. — Gäste.

Wir haben jetzt einen „Corso!" einen Corso, ein Longchcimps,
wie es die aristokratischen Airkel gern nennen möchten. Der erste fand
Statt auf dem Floraplatz, und da dieser für die Zahl der Equipagen
und Fußgänger nicht Raum genug bot, erwählte man die breite Allee
zwischen den Jedem und dem Hofjäger dazu. Hier ziehen denn stun¬
denlang hinter einander, in glorwürdiger Nachahmung römischer Sitte,
die Wagen der vornehmen Welt, die prinzlichen sowohl als die der Adels¬
und Geldaristokratie, gefolgt von zahlreichen Miethwagen; Reichthum
und Coquetterie entfalten sich in der Pracht der Equipagen, dem Glanz der
Toiletten. Die „gemüthliche" Spielerei der Berliner Aristokratie macht
sich geltend, indem man Blumen und „Confetti" einander zuwirft.
Man dreht sich in blasirten 1)vice-5ilr-»ieiit<z eine Stunde nach der
anderen auf demselben Flecke herum, als wolle man dem in Masse zu¬
schauenden Volke ein anschauliches Bild entwerfen von dem beliebten
zeitgemäßen Fortschritt, der in anhaltender maaßvollcr Bewegung, ohne
Hast und Uebereilung, mit anständiger Ruhe und Bedächtigkeit immer
wieder in seine eigenen Fußstapfen zurückkehrt.

Das letzte deutsche Schauspiel, das man auf unsrer Hofbühne
sah, war Bauernfelo's „Ein Deutscher Krieger." Ich kann über das
Stück nicht urtheilen, denn ich befand mich während feiner ersten
hiesigen Aufführung in Leipzig, und eine zweite hat noch nicht statt¬
gefunden. Sie war angesetzt, allein Herr Hoppe wurde krank, und
die Borstellung mußte abgeändert werden. Mehr als zwei Aufführun¬
gen hatte das Schauspiel ohnedies sür's Erste nicht erleben können,
da Fräulein Stich, welche die Frau v. Laroche spielte, gleich darauf
ihren Urlaub antrat. Das System, neue Stücke kurz vor der Abreise
darin mitwirkender Schauspieler zum ersten Mal zu geben und dann,
ehe man über den Eindruck im Publicum sich recht entschieden hat,
sie ruhen zu lassen, ein System, das hier einzureißen droht, wird
gewiß der deutschen Dramatik eine höchst sonderbare Förderung ange-
deihen lassen. Wegen der Menge zu gleicher Zeit ertheilter Urlande
kann jetzt im Schauspiel gar nichts von Bedeutung gegeben werden.
Das Theater schleppt sich, wie ein abgejagtes Fuhrwerk, durch den
dürresten Sand. Im Schauspiel sind beurlaubt: Charlotte v. Hagn,
Auguste Crelinger, Clara Stich, Charlotte Birch-Pfeiffer, Hendrichs,
Rott, Crüsemann, Grua, Schneider, Franz. Nun frage ich: was
bleibt uns? Der König befahl, es solle am Sonnabend vor Pfingsten


Grcnzioten 18is, II. 54
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[0425] 111. Aus Berlin. Corso und zeitgemäßer Fortschritt. — Theater. — Gäste. Wir haben jetzt einen „Corso!" einen Corso, ein Longchcimps, wie es die aristokratischen Airkel gern nennen möchten. Der erste fand Statt auf dem Floraplatz, und da dieser für die Zahl der Equipagen und Fußgänger nicht Raum genug bot, erwählte man die breite Allee zwischen den Jedem und dem Hofjäger dazu. Hier ziehen denn stun¬ denlang hinter einander, in glorwürdiger Nachahmung römischer Sitte, die Wagen der vornehmen Welt, die prinzlichen sowohl als die der Adels¬ und Geldaristokratie, gefolgt von zahlreichen Miethwagen; Reichthum und Coquetterie entfalten sich in der Pracht der Equipagen, dem Glanz der Toiletten. Die „gemüthliche" Spielerei der Berliner Aristokratie macht sich geltend, indem man Blumen und „Confetti" einander zuwirft. Man dreht sich in blasirten 1)vice-5ilr-»ieiit<z eine Stunde nach der anderen auf demselben Flecke herum, als wolle man dem in Masse zu¬ schauenden Volke ein anschauliches Bild entwerfen von dem beliebten zeitgemäßen Fortschritt, der in anhaltender maaßvollcr Bewegung, ohne Hast und Uebereilung, mit anständiger Ruhe und Bedächtigkeit immer wieder in seine eigenen Fußstapfen zurückkehrt. Das letzte deutsche Schauspiel, das man auf unsrer Hofbühne sah, war Bauernfelo's „Ein Deutscher Krieger." Ich kann über das Stück nicht urtheilen, denn ich befand mich während feiner ersten hiesigen Aufführung in Leipzig, und eine zweite hat noch nicht statt¬ gefunden. Sie war angesetzt, allein Herr Hoppe wurde krank, und die Borstellung mußte abgeändert werden. Mehr als zwei Aufführun¬ gen hatte das Schauspiel ohnedies sür's Erste nicht erleben können, da Fräulein Stich, welche die Frau v. Laroche spielte, gleich darauf ihren Urlaub antrat. Das System, neue Stücke kurz vor der Abreise darin mitwirkender Schauspieler zum ersten Mal zu geben und dann, ehe man über den Eindruck im Publicum sich recht entschieden hat, sie ruhen zu lassen, ein System, das hier einzureißen droht, wird gewiß der deutschen Dramatik eine höchst sonderbare Förderung ange- deihen lassen. Wegen der Menge zu gleicher Zeit ertheilter Urlande kann jetzt im Schauspiel gar nichts von Bedeutung gegeben werden. Das Theater schleppt sich, wie ein abgejagtes Fuhrwerk, durch den dürresten Sand. Im Schauspiel sind beurlaubt: Charlotte v. Hagn, Auguste Crelinger, Clara Stich, Charlotte Birch-Pfeiffer, Hendrichs, Rott, Crüsemann, Grua, Schneider, Franz. Nun frage ich: was bleibt uns? Der König befahl, es solle am Sonnabend vor Pfingsten Grcnzioten 18is, II. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/425>, abgerufen am 27.04.2024.