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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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ein ernstes Stück gegeben werden. Das war aber unmöglich her¬
zustellen, und so wurde das Theater für diesen Abend ganz geschlossen,
während die Franzosen im Concertsaale spielten! Die Aufeinander-
haufung der Urlande ist eine neue Einrichtung des Herrn v. Küstner.

Wahrend wir seit langer Zeit nun schon nach einer ersten jugend¬
lichen Liebhaberin rufen, die unserm Theater nicht weniger Noth thut,
als ein erster Charakterdarsteller, wird uns eine Anfängerin nach der
andern vorgeführt. Jetzt wieder eine Fraulein Kern er aus dem Bal¬
let, die als "Luise" in "Kabale und Liebe," dann als "Preciosa"
auftrat. Für ein zweites, drittes Theater mag sie recht wohl angehen,
denn sie ist bei schwachem Organ nicht ganz ohne Talent, aber ohne
Kunstbildung und Verständniß. Die Berliner Bühne besitzt dergleichen
Mitglieder bereits zur Genüge. Aber wer weiß, ob sie nicht dennoch
engagirt werden muß, denn die Ballettänzerinnen erfreuen sich zur
Zeit bei uns sehr hoher Protektion.

In der Oper gastirte Erl von Wien, den wir schon früher hör¬
ten, mit Beifall. Eine neue Oper hatten wir nicht seit dem "Feld¬
lager in Schlesien/ also seit mehr als fünf Monaten, denn Schnei¬
der's Operette "Der Schauspieldirector," mit zusammengetragener
Musik aus verschiedenen Werken Mozart's, laßt sich dahin nicht rech¬
nen. Kurz der in allen Zweigen des Lebens bei uns höchst beliebte
Fortschritt, im Genre des Corso, beherrscht auch unser Theater. Wir
dreh'n uns rechts, wir dreh'n uns links, der Zopf, der hängt uns
A. G. hinten.


IV.
Notizen.

Preußische Bescheidenheit. -- Freiligrath. -- Gutes und Böses. Daguerre
als Trauerspieistoff. -- Entgegnung.

-- Das ist schön. Das ist brav und loyal. Der greise Itzstein
und sein College in der badischen Deputirtenkammer, Herr Hecker,
machen eine Lustreise nach Berlin, und 24 Stunden nach ihrer Ankunft
empfängt sie die Polizei und weist sie zum Lande hinaus! Bravo!
Möge Preußen überall so offen und geradeaus zu Werke gehen, da
weiß man doch wenigstens, woran man ist. Man weiß dann wenig¬
stens, was man von der deutschen Einheit zu halten hat, wenn die
Mitglieder einer legislativen Kammer Süddeutschlands in einer nord¬
deutschen Residenz wie Vagabunden behandelt werden. Und man nennt
die Berliner arrogant! Die bescheidensten Menschen von der Welt
verleumdet man so schmählich. Ist es nicht Bescheidenheit, wenn eine
Macht, die eine Armee von 1V0MV Mann auf den Beinen hält,
einen alten Mann und seinen Begleiter fürchtet? Wie viel unbeschei-


ein ernstes Stück gegeben werden. Das war aber unmöglich her¬
zustellen, und so wurde das Theater für diesen Abend ganz geschlossen,
während die Franzosen im Concertsaale spielten! Die Aufeinander-
haufung der Urlande ist eine neue Einrichtung des Herrn v. Küstner.

Wahrend wir seit langer Zeit nun schon nach einer ersten jugend¬
lichen Liebhaberin rufen, die unserm Theater nicht weniger Noth thut,
als ein erster Charakterdarsteller, wird uns eine Anfängerin nach der
andern vorgeführt. Jetzt wieder eine Fraulein Kern er aus dem Bal¬
let, die als „Luise" in „Kabale und Liebe," dann als „Preciosa"
auftrat. Für ein zweites, drittes Theater mag sie recht wohl angehen,
denn sie ist bei schwachem Organ nicht ganz ohne Talent, aber ohne
Kunstbildung und Verständniß. Die Berliner Bühne besitzt dergleichen
Mitglieder bereits zur Genüge. Aber wer weiß, ob sie nicht dennoch
engagirt werden muß, denn die Ballettänzerinnen erfreuen sich zur
Zeit bei uns sehr hoher Protektion.

In der Oper gastirte Erl von Wien, den wir schon früher hör¬
ten, mit Beifall. Eine neue Oper hatten wir nicht seit dem „Feld¬
lager in Schlesien/ also seit mehr als fünf Monaten, denn Schnei¬
der's Operette „Der Schauspieldirector," mit zusammengetragener
Musik aus verschiedenen Werken Mozart's, laßt sich dahin nicht rech¬
nen. Kurz der in allen Zweigen des Lebens bei uns höchst beliebte
Fortschritt, im Genre des Corso, beherrscht auch unser Theater. Wir
dreh'n uns rechts, wir dreh'n uns links, der Zopf, der hängt uns
A. G. hinten.


IV.
Notizen.

Preußische Bescheidenheit. — Freiligrath. — Gutes und Böses. Daguerre
als Trauerspieistoff. — Entgegnung.

— Das ist schön. Das ist brav und loyal. Der greise Itzstein
und sein College in der badischen Deputirtenkammer, Herr Hecker,
machen eine Lustreise nach Berlin, und 24 Stunden nach ihrer Ankunft
empfängt sie die Polizei und weist sie zum Lande hinaus! Bravo!
Möge Preußen überall so offen und geradeaus zu Werke gehen, da
weiß man doch wenigstens, woran man ist. Man weiß dann wenig¬
stens, was man von der deutschen Einheit zu halten hat, wenn die
Mitglieder einer legislativen Kammer Süddeutschlands in einer nord¬
deutschen Residenz wie Vagabunden behandelt werden. Und man nennt
die Berliner arrogant! Die bescheidensten Menschen von der Welt
verleumdet man so schmählich. Ist es nicht Bescheidenheit, wenn eine
Macht, die eine Armee von 1V0MV Mann auf den Beinen hält,
einen alten Mann und seinen Begleiter fürchtet? Wie viel unbeschei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/426>, abgerufen am 27.04.2024.