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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Attgnst Wilhelm Schlegel.
Vom französischen Gesichtspunkte.*)



Von jener zahlreichen und schönen Dichterfamilie, welche Lessing
zu ihrem Erstgebornen, Goethe zu ihrem Haupt hatte, und gegen
das Ende des vorigen Jahrhunderts und zu Anfang des jetzigen
einen so großen Glanz auf Deutschland warf, waren noch vor Kur¬
zem drei Glieder übrig: ein alter Philosoph, Schelling; ein alter
Dichter, Tieck; ein alter Kritiker, (auch Dichter, jedoch vorzugsweise
Kritiker) August Wilhelm Schlegel.

Wenn Du nach Deutschland gingst und bei der Durchreise
durch die nette Stadt Bonn Dich nach den Merkwürdigkeiten, welche
sie einschließt, erkundigtest, so zeigte man Dir gewiß einen kleinen,
elegant gekleideten Greis mit blonder Perrücke, welcher das Gewicht
von 77 Wintern ziemlich leicht trug und, in tiefes Schweigen gehüllt,
eine Laufbahn vollendete, die inmitten der geräuschvollsten Aufregung
begonnen und verfolgt worden war.

Es muß eine traurige Stellung sein, seine Zeit zu überleben,
die Ideen, welche man mit Anstrengung angeregt, für welche man
mit Glanz und Aufsehn gekämpst hat, die zu Trivialitäten gewor¬
den, nachdem sie kühne Paradora gewesen sind, -- jetzt friedlich in¬
mitten einer neuen Generation circuliren zu sehn, die sich so viel, als
ihr zusagt, von ihnen nimmt, die sich das. was sie entlehnt, zur Ehre
anrechnet wie eine neue Schöpfung, und in ihrer Freude, sich ohne
hemmende Grenze in einem ausgedehnteren Felde als ihre Vorfahren
ergehen zu können, zurückzukehren vergißt, um denjenigen zu danken,
welche ihr den Weg eröffnet haben.



D. Rcdact.
*) Wir brauchen wohl nicht erst darauf aufmerksam zu machen, welchen
Einfluß A. W. Schlegel auf die französischen Romantiker ausgeübt hat, und
wie es interessant ist, das Urtheil unserer Nachbarn über ihn zu hören. Die
vorstehende Lebensskizze ist von Lommeney, der in seinen "Lontoiiiporain^
illustrvs" eine seltene Kenntniß deutscher Literatur an den Tag legt.
Attgnst Wilhelm Schlegel.
Vom französischen Gesichtspunkte.*)



Von jener zahlreichen und schönen Dichterfamilie, welche Lessing
zu ihrem Erstgebornen, Goethe zu ihrem Haupt hatte, und gegen
das Ende des vorigen Jahrhunderts und zu Anfang des jetzigen
einen so großen Glanz auf Deutschland warf, waren noch vor Kur¬
zem drei Glieder übrig: ein alter Philosoph, Schelling; ein alter
Dichter, Tieck; ein alter Kritiker, (auch Dichter, jedoch vorzugsweise
Kritiker) August Wilhelm Schlegel.

Wenn Du nach Deutschland gingst und bei der Durchreise
durch die nette Stadt Bonn Dich nach den Merkwürdigkeiten, welche
sie einschließt, erkundigtest, so zeigte man Dir gewiß einen kleinen,
elegant gekleideten Greis mit blonder Perrücke, welcher das Gewicht
von 77 Wintern ziemlich leicht trug und, in tiefes Schweigen gehüllt,
eine Laufbahn vollendete, die inmitten der geräuschvollsten Aufregung
begonnen und verfolgt worden war.

Es muß eine traurige Stellung sein, seine Zeit zu überleben,
die Ideen, welche man mit Anstrengung angeregt, für welche man
mit Glanz und Aufsehn gekämpst hat, die zu Trivialitäten gewor¬
den, nachdem sie kühne Paradora gewesen sind, — jetzt friedlich in¬
mitten einer neuen Generation circuliren zu sehn, die sich so viel, als
ihr zusagt, von ihnen nimmt, die sich das. was sie entlehnt, zur Ehre
anrechnet wie eine neue Schöpfung, und in ihrer Freude, sich ohne
hemmende Grenze in einem ausgedehnteren Felde als ihre Vorfahren
ergehen zu können, zurückzukehren vergißt, um denjenigen zu danken,
welche ihr den Weg eröffnet haben.



D. Rcdact.
*) Wir brauchen wohl nicht erst darauf aufmerksam zu machen, welchen
Einfluß A. W. Schlegel auf die französischen Romantiker ausgeübt hat, und
wie es interessant ist, das Urtheil unserer Nachbarn über ihn zu hören. Die
vorstehende Lebensskizze ist von Lommeney, der in seinen „Lontoiiiporain^
illustrvs" eine seltene Kenntniß deutscher Literatur an den Tag legt.
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[0441] Attgnst Wilhelm Schlegel. Vom französischen Gesichtspunkte.*) Von jener zahlreichen und schönen Dichterfamilie, welche Lessing zu ihrem Erstgebornen, Goethe zu ihrem Haupt hatte, und gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts und zu Anfang des jetzigen einen so großen Glanz auf Deutschland warf, waren noch vor Kur¬ zem drei Glieder übrig: ein alter Philosoph, Schelling; ein alter Dichter, Tieck; ein alter Kritiker, (auch Dichter, jedoch vorzugsweise Kritiker) August Wilhelm Schlegel. Wenn Du nach Deutschland gingst und bei der Durchreise durch die nette Stadt Bonn Dich nach den Merkwürdigkeiten, welche sie einschließt, erkundigtest, so zeigte man Dir gewiß einen kleinen, elegant gekleideten Greis mit blonder Perrücke, welcher das Gewicht von 77 Wintern ziemlich leicht trug und, in tiefes Schweigen gehüllt, eine Laufbahn vollendete, die inmitten der geräuschvollsten Aufregung begonnen und verfolgt worden war. Es muß eine traurige Stellung sein, seine Zeit zu überleben, die Ideen, welche man mit Anstrengung angeregt, für welche man mit Glanz und Aufsehn gekämpst hat, die zu Trivialitäten gewor¬ den, nachdem sie kühne Paradora gewesen sind, — jetzt friedlich in¬ mitten einer neuen Generation circuliren zu sehn, die sich so viel, als ihr zusagt, von ihnen nimmt, die sich das. was sie entlehnt, zur Ehre anrechnet wie eine neue Schöpfung, und in ihrer Freude, sich ohne hemmende Grenze in einem ausgedehnteren Felde als ihre Vorfahren ergehen zu können, zurückzukehren vergißt, um denjenigen zu danken, welche ihr den Weg eröffnet haben. D. Rcdact. *) Wir brauchen wohl nicht erst darauf aufmerksam zu machen, welchen Einfluß A. W. Schlegel auf die französischen Romantiker ausgeübt hat, und wie es interessant ist, das Urtheil unserer Nachbarn über ihn zu hören. Die vorstehende Lebensskizze ist von Lommeney, der in seinen „Lontoiiiporain^ illustrvs" eine seltene Kenntniß deutscher Literatur an den Tag legt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/441>, abgerufen am 27.04.2024.