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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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i.
Aus Wien.

Preßprivilegien. -- Der ungarische Bürgerstand. -- Holbein und seine Feinde.
-- Graf Dietrichstein's Wirksamkeit. -- Das Publicum zu Schreivogel's Zei¬
ten und das jetzige. -- Das Kärntnerthortheater und seine Engagements. --
Pokornu und seine Bemühungen. -- Eine jüdische Comödie.

Die neue Pesther Zeitung, welche hier an allen Orten öffentlich
aufliegt, ist eine wahre Satyre auf unsere hiesige Presse. Nicht daß
das neue Blatt allen Anforderungen, welche man daran zu machen
berechtigt ist, befriedigt, aber es bespricht doch politische Gegenstände,
es berührt Dinge, die als ein moll ins t.mAeio unserer Journali¬
stik ewig fern bleiben müssen. Sind wir weniger treue Unterthanen?
fragt man sich. Hat Ungarn sich verdienter um den Staat gemacht,
hat es sicherere Garantien gestellt als wir, daß ihm ein Privilegium
zugestanden wird, das man uns trotz der heißesten Wünsche entzieht,
ein Privilegium, das nicht etwa blos innerhalb der Marken jenes
Königreichs Geltung hat, sondern mit seinen Attributen sich in unsere
Mitte setzt und uns unsere eigene Armuth und Hintenansetzung noch
herber fühlen läßt? Wir können die gesunde politische Idee, welche
die Regierung zur Zulassung einer solchen Zeitung in Ungarn bewo¬
gen, nur aus vollem Herzen billigen. Die magyarische Journalistik
vertritt fast durchschnittlich nur den Adel, die slavische Presse Ungarns
geht unabsehbaren Zersplitterungszielen entgegen. Der Bürger, der
Mittelstand in Ungarn, hatte keine Vertretung, und doch ist es dieser,
bei dem die Regierung die meiste Stütze hat. Ihm also galt es, ein
Organ zu sichern, worin er mit gleichen Waffen der magyarischen
Presse und ihren Prätensionen entgegen treten könnte. Einen Haupt-
stoff dieses Bürgerstandes aber bilden die ansässigen Deutschen, darum
ist es nothwendig gewesen, den deutschen Zeitungen in Ungarn die
Fesseln zu lockern. Aber warum ausnahmsweise nur Einer? Und
warum diese Entfesselung als ein Privilegium und nicht als ein Ge-
sammtprincip? Und warum nur Pesth und nicht auch Wien, Prag,


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i.
Aus Wien.

Preßprivilegien. — Der ungarische Bürgerstand. — Holbein und seine Feinde.
— Graf Dietrichstein's Wirksamkeit. — Das Publicum zu Schreivogel's Zei¬
ten und das jetzige. — Das Kärntnerthortheater und seine Engagements. —
Pokornu und seine Bemühungen. — Eine jüdische Comödie.

Die neue Pesther Zeitung, welche hier an allen Orten öffentlich
aufliegt, ist eine wahre Satyre auf unsere hiesige Presse. Nicht daß
das neue Blatt allen Anforderungen, welche man daran zu machen
berechtigt ist, befriedigt, aber es bespricht doch politische Gegenstände,
es berührt Dinge, die als ein moll ins t.mAeio unserer Journali¬
stik ewig fern bleiben müssen. Sind wir weniger treue Unterthanen?
fragt man sich. Hat Ungarn sich verdienter um den Staat gemacht,
hat es sicherere Garantien gestellt als wir, daß ihm ein Privilegium
zugestanden wird, das man uns trotz der heißesten Wünsche entzieht,
ein Privilegium, das nicht etwa blos innerhalb der Marken jenes
Königreichs Geltung hat, sondern mit seinen Attributen sich in unsere
Mitte setzt und uns unsere eigene Armuth und Hintenansetzung noch
herber fühlen läßt? Wir können die gesunde politische Idee, welche
die Regierung zur Zulassung einer solchen Zeitung in Ungarn bewo¬
gen, nur aus vollem Herzen billigen. Die magyarische Journalistik
vertritt fast durchschnittlich nur den Adel, die slavische Presse Ungarns
geht unabsehbaren Zersplitterungszielen entgegen. Der Bürger, der
Mittelstand in Ungarn, hatte keine Vertretung, und doch ist es dieser,
bei dem die Regierung die meiste Stütze hat. Ihm also galt es, ein
Organ zu sichern, worin er mit gleichen Waffen der magyarischen
Presse und ihren Prätensionen entgegen treten könnte. Einen Haupt-
stoff dieses Bürgerstandes aber bilden die ansässigen Deutschen, darum
ist es nothwendig gewesen, den deutschen Zeitungen in Ungarn die
Fesseln zu lockern. Aber warum ausnahmsweise nur Einer? Und
warum diese Entfesselung als ein Privilegium und nicht als ein Ge-
sammtprincip? Und warum nur Pesth und nicht auch Wien, Prag,


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[0460] T a g e b u es. i. Aus Wien. Preßprivilegien. — Der ungarische Bürgerstand. — Holbein und seine Feinde. — Graf Dietrichstein's Wirksamkeit. — Das Publicum zu Schreivogel's Zei¬ ten und das jetzige. — Das Kärntnerthortheater und seine Engagements. — Pokornu und seine Bemühungen. — Eine jüdische Comödie. Die neue Pesther Zeitung, welche hier an allen Orten öffentlich aufliegt, ist eine wahre Satyre auf unsere hiesige Presse. Nicht daß das neue Blatt allen Anforderungen, welche man daran zu machen berechtigt ist, befriedigt, aber es bespricht doch politische Gegenstände, es berührt Dinge, die als ein moll ins t.mAeio unserer Journali¬ stik ewig fern bleiben müssen. Sind wir weniger treue Unterthanen? fragt man sich. Hat Ungarn sich verdienter um den Staat gemacht, hat es sicherere Garantien gestellt als wir, daß ihm ein Privilegium zugestanden wird, das man uns trotz der heißesten Wünsche entzieht, ein Privilegium, das nicht etwa blos innerhalb der Marken jenes Königreichs Geltung hat, sondern mit seinen Attributen sich in unsere Mitte setzt und uns unsere eigene Armuth und Hintenansetzung noch herber fühlen läßt? Wir können die gesunde politische Idee, welche die Regierung zur Zulassung einer solchen Zeitung in Ungarn bewo¬ gen, nur aus vollem Herzen billigen. Die magyarische Journalistik vertritt fast durchschnittlich nur den Adel, die slavische Presse Ungarns geht unabsehbaren Zersplitterungszielen entgegen. Der Bürger, der Mittelstand in Ungarn, hatte keine Vertretung, und doch ist es dieser, bei dem die Regierung die meiste Stütze hat. Ihm also galt es, ein Organ zu sichern, worin er mit gleichen Waffen der magyarischen Presse und ihren Prätensionen entgegen treten könnte. Einen Haupt- stoff dieses Bürgerstandes aber bilden die ansässigen Deutschen, darum ist es nothwendig gewesen, den deutschen Zeitungen in Ungarn die Fesseln zu lockern. Aber warum ausnahmsweise nur Einer? Und warum diese Entfesselung als ein Privilegium und nicht als ein Ge- sammtprincip? Und warum nur Pesth und nicht auch Wien, Prag,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/460>, abgerufen am 27.04.2024.