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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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IV.
Schachergrist in der Schweiz.

-- Ueber den Schachergeist der armen jüdischen Proletarier hat
die gelehrte und nichtgelehrte Christenheit von jeher geschrieben und
geschrieen. Niemand spricht davon, wie einer der biderbsten urdeut¬
schen Volksstamme ganz und gar vom Schachergeist durchdrungen ist.
Die Schweizer handeln nicht mit alten Kleidern, wie die schmutzigen
Juden, die davon leben müssen, aber sie handeln mit kostbareren Din¬
gen. Daß sie von jeher ihre Tapferkeit an den Meistbietenden fremden
Fürsten verschachern, ist bekannt; aber auch, wo sie sich im eigenen
Land erheben, wo sie mit der "heroischen Einfalt ihrer Altvordern"
für "die heilige Sitte der Vater" kämpfen, verläßt sie der Schacher¬
geist nicht. So haben die von Luzern im neulichen Jesuitenkricge
kein schlechtes Geschäft gemacht. Erst nahmen die "schlichten Urkan-
tönler" den "ketzerischen Herrn" goldene Uhren, Ringe und Börsen
ab; doch das geschah in der ersten Hitze gläubiger Begeisterung. Spä¬
ter zogen sie den Ketzern blos die Kleider aus; freilich hielten sie sie
dafür -- wie ein Luzerner (Korrespondent in der Allgemeinen Zeitung
schmunzelnd anrühmte -- "in herrlichen Tempeln" d. h. in gro¬
ßen kalten Kirchen auf nacktem Steinpflaster gefangen. Jetzt nimmt
der Staat Luzern die Paar Habseligkeiten, welche die Glaubenshelden
den Gefangenen zufällig gelassen hatten, "als Kriegsbeute" für sich in
Anspruch! -- Wie ging es bei der Auslösung der Gefangenen zu?
Hat Luzern wie ein solides Haus gehandelt, welches fixe Preise stellt?
Nein, Luzern hat Anfangs graulich überboten und es mußte lange
hin und her gehandelt werden, ehe man sich einigte. Wieder, nachdem
man schon Handels einig ist, und die Freigebung der Gefangenen be¬
ginnt, weiß Luzern einen Gefangenen (Fein) abzuzwacken, so daß
man sür diesen neues Lösegeld wird aufbringen müssen. Endlich sucht
Luzern bei irgend einer auswärtigen Macht ein Plätzchen auf einer Fe¬
stung oder in einer Strafcolonie für den unglücklichen Dr. Steiger zu
erhandeln. In welcher Münze wird es dafür zahlen? Nun, es wird
wo möglich ein Dutzend arme fremde Handwerksburschen auftreiben,
dieselben als gefährliche Eommunisten, Königsfresser u. s. w. anstrei¬
chen und ausliefern. -- Ach, es ist doch schön, wenn so ein schlichtes
Volk in frommer Einfalt für die Sitte und den Glauben der Väter
aussteht! -- _




Druckfehler. In unserem letzten Hefte, Seite 4K7, in der Notiz über
den Urkundcnroman von Hammer-Purgstall ist statt die Gallerte auf Ring¬
gersburg, die Gallerin auf Ri egge rsburg zu lesen.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
IV.
Schachergrist in der Schweiz.

— Ueber den Schachergeist der armen jüdischen Proletarier hat
die gelehrte und nichtgelehrte Christenheit von jeher geschrieben und
geschrieen. Niemand spricht davon, wie einer der biderbsten urdeut¬
schen Volksstamme ganz und gar vom Schachergeist durchdrungen ist.
Die Schweizer handeln nicht mit alten Kleidern, wie die schmutzigen
Juden, die davon leben müssen, aber sie handeln mit kostbareren Din¬
gen. Daß sie von jeher ihre Tapferkeit an den Meistbietenden fremden
Fürsten verschachern, ist bekannt; aber auch, wo sie sich im eigenen
Land erheben, wo sie mit der „heroischen Einfalt ihrer Altvordern"
für „die heilige Sitte der Vater" kämpfen, verläßt sie der Schacher¬
geist nicht. So haben die von Luzern im neulichen Jesuitenkricge
kein schlechtes Geschäft gemacht. Erst nahmen die „schlichten Urkan-
tönler" den „ketzerischen Herrn" goldene Uhren, Ringe und Börsen
ab; doch das geschah in der ersten Hitze gläubiger Begeisterung. Spä¬
ter zogen sie den Ketzern blos die Kleider aus; freilich hielten sie sie
dafür — wie ein Luzerner (Korrespondent in der Allgemeinen Zeitung
schmunzelnd anrühmte — „in herrlichen Tempeln" d. h. in gro¬
ßen kalten Kirchen auf nacktem Steinpflaster gefangen. Jetzt nimmt
der Staat Luzern die Paar Habseligkeiten, welche die Glaubenshelden
den Gefangenen zufällig gelassen hatten, „als Kriegsbeute" für sich in
Anspruch! — Wie ging es bei der Auslösung der Gefangenen zu?
Hat Luzern wie ein solides Haus gehandelt, welches fixe Preise stellt?
Nein, Luzern hat Anfangs graulich überboten und es mußte lange
hin und her gehandelt werden, ehe man sich einigte. Wieder, nachdem
man schon Handels einig ist, und die Freigebung der Gefangenen be¬
ginnt, weiß Luzern einen Gefangenen (Fein) abzuzwacken, so daß
man sür diesen neues Lösegeld wird aufbringen müssen. Endlich sucht
Luzern bei irgend einer auswärtigen Macht ein Plätzchen auf einer Fe¬
stung oder in einer Strafcolonie für den unglücklichen Dr. Steiger zu
erhandeln. In welcher Münze wird es dafür zahlen? Nun, es wird
wo möglich ein Dutzend arme fremde Handwerksburschen auftreiben,
dieselben als gefährliche Eommunisten, Königsfresser u. s. w. anstrei¬
chen und ausliefern. — Ach, es ist doch schön, wenn so ein schlichtes
Volk in frommer Einfalt für die Sitte und den Glauben der Väter
aussteht! — _




Druckfehler. In unserem letzten Hefte, Seite 4K7, in der Notiz über
den Urkundcnroman von Hammer-Purgstall ist statt die Gallerte auf Ring¬
gersburg, die Gallerin auf Ri egge rsburg zu lesen.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0516] IV. Schachergrist in der Schweiz. — Ueber den Schachergeist der armen jüdischen Proletarier hat die gelehrte und nichtgelehrte Christenheit von jeher geschrieben und geschrieen. Niemand spricht davon, wie einer der biderbsten urdeut¬ schen Volksstamme ganz und gar vom Schachergeist durchdrungen ist. Die Schweizer handeln nicht mit alten Kleidern, wie die schmutzigen Juden, die davon leben müssen, aber sie handeln mit kostbareren Din¬ gen. Daß sie von jeher ihre Tapferkeit an den Meistbietenden fremden Fürsten verschachern, ist bekannt; aber auch, wo sie sich im eigenen Land erheben, wo sie mit der „heroischen Einfalt ihrer Altvordern" für „die heilige Sitte der Vater" kämpfen, verläßt sie der Schacher¬ geist nicht. So haben die von Luzern im neulichen Jesuitenkricge kein schlechtes Geschäft gemacht. Erst nahmen die „schlichten Urkan- tönler" den „ketzerischen Herrn" goldene Uhren, Ringe und Börsen ab; doch das geschah in der ersten Hitze gläubiger Begeisterung. Spä¬ ter zogen sie den Ketzern blos die Kleider aus; freilich hielten sie sie dafür — wie ein Luzerner (Korrespondent in der Allgemeinen Zeitung schmunzelnd anrühmte — „in herrlichen Tempeln" d. h. in gro¬ ßen kalten Kirchen auf nacktem Steinpflaster gefangen. Jetzt nimmt der Staat Luzern die Paar Habseligkeiten, welche die Glaubenshelden den Gefangenen zufällig gelassen hatten, „als Kriegsbeute" für sich in Anspruch! — Wie ging es bei der Auslösung der Gefangenen zu? Hat Luzern wie ein solides Haus gehandelt, welches fixe Preise stellt? Nein, Luzern hat Anfangs graulich überboten und es mußte lange hin und her gehandelt werden, ehe man sich einigte. Wieder, nachdem man schon Handels einig ist, und die Freigebung der Gefangenen be¬ ginnt, weiß Luzern einen Gefangenen (Fein) abzuzwacken, so daß man sür diesen neues Lösegeld wird aufbringen müssen. Endlich sucht Luzern bei irgend einer auswärtigen Macht ein Plätzchen auf einer Fe¬ stung oder in einer Strafcolonie für den unglücklichen Dr. Steiger zu erhandeln. In welcher Münze wird es dafür zahlen? Nun, es wird wo möglich ein Dutzend arme fremde Handwerksburschen auftreiben, dieselben als gefährliche Eommunisten, Königsfresser u. s. w. anstrei¬ chen und ausliefern. — Ach, es ist doch schön, wenn so ein schlichtes Volk in frommer Einfalt für die Sitte und den Glauben der Väter aussteht! — _ Druckfehler. In unserem letzten Hefte, Seite 4K7, in der Notiz über den Urkundcnroman von Hammer-Purgstall ist statt die Gallerte auf Ring¬ gersburg, die Gallerin auf Ri egge rsburg zu lesen. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/516>, abgerufen am 27.04.2024.