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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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ihm gleichfalls nicht gefiel, endlich wurde er Schauspieler, und zog mit
einer wandernden Truppe durch Deutschland. Dieses Leben hatte er
natürlicher Weise auch bald satt. Endlich verkaufte er in Gemeinschaft
mit einem seiner Brüder den Rest des väterlichen Erbes und schaffte
dafür Glaswaaren an, mit welchen er sich nach America, wo er schon
früher eine kurze Zeit gewesen, einschiffte. Aber die Glasspeculation ging
in Scherben und Trümmer. Arm und betrogen kehrte er zurück, ver¬
suchte in Berlin sein Glück mit einer Leihbibliothek, und als auch dies
fehlschlug, wurde er endlich -- Schriftsteller: ein Beweis, daß, wenn
man nirgends etwas taugt, man immer noch zum Schriftsteller gut
ist. Dies schöne Compliment für den ehrsamen Literatenstand machte
Heinrich, oder richtiger Dietrich von Bülow auf eine sehr glänzende
Weise geltend. Sein Geist des neuen Kriegssystems," so wie sein
Buch über America machte Aufsehen; aber statt nach Berlin zu¬
rückkehren zu können, wie er hoffte, gerieth er in neue Händel und
mußte nach London gehen, wo er Geldverlegenheiten halber ins Gefäng¬
niß gesetzt wurde. Doch kam er durch Hilfe seiner Verwandten wieder
nach Berlin, schrieb da sein "Leben des Prinzen von Preußen" und
einige merkwürdige militärische Werke. Aber schon nach drei Jahren
wurde er wegen seiner Geschichte des Feldzugs von 1805 (Berlin 2 Bde.)
von Staatswegen seiner herben, aber gerechten Kritik willen in schwere
Haft gebracht. Die Aerzte erklärten sein Gefängniß als gefährlich für
sein Leben, aber die Negierung war unerbittlich, und als man nach
der Schlacht bei Jena in Berlin dem Einmarsch der Franzosen ent¬
gegensah, brachte man eiligst den armen morschen Gefangenen zuerst
nach Kolberg, dann nach Königsberg, dann nach Riga, von einem
Gefängniß ins andere, bis er endlich in seinem Kerker richtig am Ner-
vensieber starb. Seine zerstreuten Schriften, in denen er einen Styl
wie eine Sense führte, die in breitem Schnitt bald hier, bald dort
hinschlagt, sollen nun gesammelt werden und mit einer biographischen
Charakteristik versehen, im Laufe dieses Jahres erscheinen. Der be¬
kannte Novellist Eduard v. Bülow, ein Neffe des unglücklichen Schrift¬
stellers, besorgt die Herausgabe.


V I.
Faust und die Bühne.

Man könnte schon ein großes Bücherbrett füllen, wenn man alle
Bücher, Brochüren, Aufsätze und Artikel darauf stellen wollte, welche
über das Verständniß des Gothischen Faust sprechen. Und eS hat in
ver deutschen Literatur selten über ein bestimmtes Thema so wenig voll¬
kommen gehaltlose Schriften gegeben, als just über dieses. Jedes hier¬
her gehörige Buch, jeder hieraus bezügliche Artikel hat immer dieser
"Offenbarung Göthe's" wieder eine neue Seite abgewonnen und zu


ihm gleichfalls nicht gefiel, endlich wurde er Schauspieler, und zog mit
einer wandernden Truppe durch Deutschland. Dieses Leben hatte er
natürlicher Weise auch bald satt. Endlich verkaufte er in Gemeinschaft
mit einem seiner Brüder den Rest des väterlichen Erbes und schaffte
dafür Glaswaaren an, mit welchen er sich nach America, wo er schon
früher eine kurze Zeit gewesen, einschiffte. Aber die Glasspeculation ging
in Scherben und Trümmer. Arm und betrogen kehrte er zurück, ver¬
suchte in Berlin sein Glück mit einer Leihbibliothek, und als auch dies
fehlschlug, wurde er endlich — Schriftsteller: ein Beweis, daß, wenn
man nirgends etwas taugt, man immer noch zum Schriftsteller gut
ist. Dies schöne Compliment für den ehrsamen Literatenstand machte
Heinrich, oder richtiger Dietrich von Bülow auf eine sehr glänzende
Weise geltend. Sein Geist des neuen Kriegssystems," so wie sein
Buch über America machte Aufsehen; aber statt nach Berlin zu¬
rückkehren zu können, wie er hoffte, gerieth er in neue Händel und
mußte nach London gehen, wo er Geldverlegenheiten halber ins Gefäng¬
niß gesetzt wurde. Doch kam er durch Hilfe seiner Verwandten wieder
nach Berlin, schrieb da sein „Leben des Prinzen von Preußen" und
einige merkwürdige militärische Werke. Aber schon nach drei Jahren
wurde er wegen seiner Geschichte des Feldzugs von 1805 (Berlin 2 Bde.)
von Staatswegen seiner herben, aber gerechten Kritik willen in schwere
Haft gebracht. Die Aerzte erklärten sein Gefängniß als gefährlich für
sein Leben, aber die Negierung war unerbittlich, und als man nach
der Schlacht bei Jena in Berlin dem Einmarsch der Franzosen ent¬
gegensah, brachte man eiligst den armen morschen Gefangenen zuerst
nach Kolberg, dann nach Königsberg, dann nach Riga, von einem
Gefängniß ins andere, bis er endlich in seinem Kerker richtig am Ner-
vensieber starb. Seine zerstreuten Schriften, in denen er einen Styl
wie eine Sense führte, die in breitem Schnitt bald hier, bald dort
hinschlagt, sollen nun gesammelt werden und mit einer biographischen
Charakteristik versehen, im Laufe dieses Jahres erscheinen. Der be¬
kannte Novellist Eduard v. Bülow, ein Neffe des unglücklichen Schrift¬
stellers, besorgt die Herausgabe.


V I.
Faust und die Bühne.

Man könnte schon ein großes Bücherbrett füllen, wenn man alle
Bücher, Brochüren, Aufsätze und Artikel darauf stellen wollte, welche
über das Verständniß des Gothischen Faust sprechen. Und eS hat in
ver deutschen Literatur selten über ein bestimmtes Thema so wenig voll¬
kommen gehaltlose Schriften gegeben, als just über dieses. Jedes hier¬
her gehörige Buch, jeder hieraus bezügliche Artikel hat immer dieser
„Offenbarung Göthe's" wieder eine neue Seite abgewonnen und zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/597>, abgerufen am 27.04.2024.