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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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scheiden. In Mephistopheles hat Mosen vor Allem das ironische Prin¬
cip in den Vordergrund drängen zu müssen geglaubt; das böswollende
Princip entzündet sich dabei immer von Neuem an der Beschränkung
der diabolischen Macht und daran, daß es eben "Böses will und Gu¬
tes schasst." Dadurch weicht sein theatralischer Mephistopheles sehr be¬
deutend von dessen bisher gewohnter Auffassung ab. -- Der Mosen'sche
Faust erscheint aber nicht activ genug; er tritt -- eben weil gewisser¬
maßen nur als Theil des Wesens, das er mit Mephistopheles zusam¬
men bildet -- zu wenig offensiv gegen das niedrige Princip hervor
und wird wieder spat.r zu einem r.inen Sinnenmenschen ohne Erinne¬
rung an frühere geistige Größe. Dies scheint die Klippe, an welcher
ieme dualistische Auffassung nicht gefahrlos vorbeisegeln kann, und Stahr's
Beurtheilung läßt nicht genugsam erkennen, inwieweit -- oder inwie¬
weit nicht -- dieser Mangel bei der Ausführung Hervorlrat. --


VII.
Notizen.

Humboldt und die Augsburger Postzeitung. -- Ein neues Reisehandbuch. --
Der Kölner Dom als Bassist.

-- Hoffentlich wird Alexander von Humboldt nicht in Untersu¬
chung kommen. Die Augsburger Postzeitung macht ihn nämlich zu
einem radicalen Philosophen; mit den Worten: "Humboldt, obgleich
kein Hegeling auf dem nackten Felsen (!) der Negation, unterstützt doch
die wühlerischen Lehren eines Marheinecke, Bruno Bauer und Feuer-
bach." Und zwar dadurch, daß er in seinem "Kosmos" von der mo¬
saischen Schöpfungsgeschichte abweicht und sich geradezu dem Heiden-
thum zuwendet. Das ist gewiß beklagenswert!). Noch beklagenswer-
ther indeß sind die praktischen Folgen jener Naturlehre, die Anfangs
blos theoretisch von der Bibel abirrte, später aber in ihrem zügellosen
Fortschritt, mit ihren Erfindungen in Dampf und Elektricität, mit
ihrer modernen Industrie, eine ganz heidnische Cultur, Fr.igeisterei,
Communismus und Nihilismus erzeugt hat. Das geht sehr weit, und
man kann behaupten, daß dem Heidenthum gar nicht mehr zu entrin¬
nen ist. Die ehrwürdigen Postzeitungsschreiber tragen zum Beispiel
an ihren höchsteigenen frommen Leibern, in Gestalt von Hemden, Ca-
misolen und Hosen, allerhand heidnische Stosse; denn es sind zum
Theil Erzeugnisse von Maschinen, welche wiederum nur die Ausgeburt
einer gleich Anfangs ungläubigen Naturwissenschaft sind; und sicherlich
verspüren auch die verehrungswürdigen Redacteure davon ein Jucken
und Brennen an ihren Gliedern, wie vom bösen Gewissen. Und die
Postzeitung selbst, wird sie nicht gesetzt mit Typen, gedruckt durch Ma¬
schinen, versendet durch Dampfwagen, lauter Werkzeugen eines dä¬
monischen Zeitgeistes, deren ursprüngliche Entstehung durch eine bibel-


scheiden. In Mephistopheles hat Mosen vor Allem das ironische Prin¬
cip in den Vordergrund drängen zu müssen geglaubt; das böswollende
Princip entzündet sich dabei immer von Neuem an der Beschränkung
der diabolischen Macht und daran, daß es eben „Böses will und Gu¬
tes schasst." Dadurch weicht sein theatralischer Mephistopheles sehr be¬
deutend von dessen bisher gewohnter Auffassung ab. — Der Mosen'sche
Faust erscheint aber nicht activ genug; er tritt — eben weil gewisser¬
maßen nur als Theil des Wesens, das er mit Mephistopheles zusam¬
men bildet — zu wenig offensiv gegen das niedrige Princip hervor
und wird wieder spat.r zu einem r.inen Sinnenmenschen ohne Erinne¬
rung an frühere geistige Größe. Dies scheint die Klippe, an welcher
ieme dualistische Auffassung nicht gefahrlos vorbeisegeln kann, und Stahr's
Beurtheilung läßt nicht genugsam erkennen, inwieweit — oder inwie¬
weit nicht — dieser Mangel bei der Ausführung Hervorlrat. —


VII.
Notizen.

Humboldt und die Augsburger Postzeitung. — Ein neues Reisehandbuch. —
Der Kölner Dom als Bassist.

— Hoffentlich wird Alexander von Humboldt nicht in Untersu¬
chung kommen. Die Augsburger Postzeitung macht ihn nämlich zu
einem radicalen Philosophen; mit den Worten: „Humboldt, obgleich
kein Hegeling auf dem nackten Felsen (!) der Negation, unterstützt doch
die wühlerischen Lehren eines Marheinecke, Bruno Bauer und Feuer-
bach." Und zwar dadurch, daß er in seinem „Kosmos" von der mo¬
saischen Schöpfungsgeschichte abweicht und sich geradezu dem Heiden-
thum zuwendet. Das ist gewiß beklagenswert!). Noch beklagenswer-
ther indeß sind die praktischen Folgen jener Naturlehre, die Anfangs
blos theoretisch von der Bibel abirrte, später aber in ihrem zügellosen
Fortschritt, mit ihren Erfindungen in Dampf und Elektricität, mit
ihrer modernen Industrie, eine ganz heidnische Cultur, Fr.igeisterei,
Communismus und Nihilismus erzeugt hat. Das geht sehr weit, und
man kann behaupten, daß dem Heidenthum gar nicht mehr zu entrin¬
nen ist. Die ehrwürdigen Postzeitungsschreiber tragen zum Beispiel
an ihren höchsteigenen frommen Leibern, in Gestalt von Hemden, Ca-
misolen und Hosen, allerhand heidnische Stosse; denn es sind zum
Theil Erzeugnisse von Maschinen, welche wiederum nur die Ausgeburt
einer gleich Anfangs ungläubigen Naturwissenschaft sind; und sicherlich
verspüren auch die verehrungswürdigen Redacteure davon ein Jucken
und Brennen an ihren Gliedern, wie vom bösen Gewissen. Und die
Postzeitung selbst, wird sie nicht gesetzt mit Typen, gedruckt durch Ma¬
schinen, versendet durch Dampfwagen, lauter Werkzeugen eines dä¬
monischen Zeitgeistes, deren ursprüngliche Entstehung durch eine bibel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/599>, abgerufen am 27.04.2024.