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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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I u se n s Möser
im Gegensatz zur modernen Publicistik.



Das jugendliche Alter hat gerade vor Nichts mehr Abscheu, als
vor alle dem, was wirklich ist. Man rede ihm von der Macht der
Verhältnisse, man wird sich gründlich verachtet sehen, man spreche
ihm von der Nothwendigkeit der Einordnung in das Leben und sei¬
nen Organismus, man wird sich für begeisterungslos und engherzig
verschrien hören. Die Jugend ist der Cultus des Ich, -- heilig ist
die eigene Persönlichkeit und alles Andere mir soweit es sich dieser
unterordnet. Wie ich will, daß die Welt in meinem Kopfe sich
spiegle, so allein ist sie wahr, so soll sie sein und ich will und werde
sie dazu machen. Der Skepticismus des Alters schreckt mich nicht;
die Jugend -- heißt es -- ist viel zu unmittelbar in sich selber ver¬
senkt, als daß eine Berechtigung außerhalb ihrer, ein andres Recht
als ihr eignes vor ihr Bestand haben sollte. In der Naturnothwen¬
digkeit der Pflanze, in dem dunkeln Triebe des Wachsens gibt es
keine Jugend, aber im Menschen ist diese Naturnotwendigkeit zu
einem Gesetz der Freiheit verklärt. Der Mensch ist nicht nur und
wird nicht nur der, welcher er ist, er muß sich dazu gemacht, sich
selber ausgearbeitet haben, er ist Kunstwerk und Künstler in Einem.
-- Und dieser ganze Bildungsgang bis zum reifen und vollendeten
Manne, dem eigentlichen Kunstwerke, ist eine Reihe der mannichfal-
tigsten Versuche, der Welt mächtig zu werden und der Gegenständ¬
lichkeit das rechte Verständniß abzuringen. Ehe aber die rechte Mitte
gefunden wird, das wahrhaft organische Verhältniß zwischen dem
Ich und dem Nichtich, unternehmen es nach einander beide, eines das
andere zu unterwerfen. Ist das Kind selbstlos der Welt gegenüber,
so ist der Jüngling ebenso einseitig selbstisch und tvrannisirt Wirklich¬
keit und Wahrheit. Ein gewaltiger Ingrimm gegen alles Aeußere


I u se n s Möser
im Gegensatz zur modernen Publicistik.



Das jugendliche Alter hat gerade vor Nichts mehr Abscheu, als
vor alle dem, was wirklich ist. Man rede ihm von der Macht der
Verhältnisse, man wird sich gründlich verachtet sehen, man spreche
ihm von der Nothwendigkeit der Einordnung in das Leben und sei¬
nen Organismus, man wird sich für begeisterungslos und engherzig
verschrien hören. Die Jugend ist der Cultus des Ich, — heilig ist
die eigene Persönlichkeit und alles Andere mir soweit es sich dieser
unterordnet. Wie ich will, daß die Welt in meinem Kopfe sich
spiegle, so allein ist sie wahr, so soll sie sein und ich will und werde
sie dazu machen. Der Skepticismus des Alters schreckt mich nicht;
die Jugend — heißt es — ist viel zu unmittelbar in sich selber ver¬
senkt, als daß eine Berechtigung außerhalb ihrer, ein andres Recht
als ihr eignes vor ihr Bestand haben sollte. In der Naturnothwen¬
digkeit der Pflanze, in dem dunkeln Triebe des Wachsens gibt es
keine Jugend, aber im Menschen ist diese Naturnotwendigkeit zu
einem Gesetz der Freiheit verklärt. Der Mensch ist nicht nur und
wird nicht nur der, welcher er ist, er muß sich dazu gemacht, sich
selber ausgearbeitet haben, er ist Kunstwerk und Künstler in Einem.
— Und dieser ganze Bildungsgang bis zum reifen und vollendeten
Manne, dem eigentlichen Kunstwerke, ist eine Reihe der mannichfal-
tigsten Versuche, der Welt mächtig zu werden und der Gegenständ¬
lichkeit das rechte Verständniß abzuringen. Ehe aber die rechte Mitte
gefunden wird, das wahrhaft organische Verhältniß zwischen dem
Ich und dem Nichtich, unternehmen es nach einander beide, eines das
andere zu unterwerfen. Ist das Kind selbstlos der Welt gegenüber,
so ist der Jüngling ebenso einseitig selbstisch und tvrannisirt Wirklich¬
keit und Wahrheit. Ein gewaltiger Ingrimm gegen alles Aeußere


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[0061] I u se n s Möser im Gegensatz zur modernen Publicistik. Das jugendliche Alter hat gerade vor Nichts mehr Abscheu, als vor alle dem, was wirklich ist. Man rede ihm von der Macht der Verhältnisse, man wird sich gründlich verachtet sehen, man spreche ihm von der Nothwendigkeit der Einordnung in das Leben und sei¬ nen Organismus, man wird sich für begeisterungslos und engherzig verschrien hören. Die Jugend ist der Cultus des Ich, — heilig ist die eigene Persönlichkeit und alles Andere mir soweit es sich dieser unterordnet. Wie ich will, daß die Welt in meinem Kopfe sich spiegle, so allein ist sie wahr, so soll sie sein und ich will und werde sie dazu machen. Der Skepticismus des Alters schreckt mich nicht; die Jugend — heißt es — ist viel zu unmittelbar in sich selber ver¬ senkt, als daß eine Berechtigung außerhalb ihrer, ein andres Recht als ihr eignes vor ihr Bestand haben sollte. In der Naturnothwen¬ digkeit der Pflanze, in dem dunkeln Triebe des Wachsens gibt es keine Jugend, aber im Menschen ist diese Naturnotwendigkeit zu einem Gesetz der Freiheit verklärt. Der Mensch ist nicht nur und wird nicht nur der, welcher er ist, er muß sich dazu gemacht, sich selber ausgearbeitet haben, er ist Kunstwerk und Künstler in Einem. — Und dieser ganze Bildungsgang bis zum reifen und vollendeten Manne, dem eigentlichen Kunstwerke, ist eine Reihe der mannichfal- tigsten Versuche, der Welt mächtig zu werden und der Gegenständ¬ lichkeit das rechte Verständniß abzuringen. Ehe aber die rechte Mitte gefunden wird, das wahrhaft organische Verhältniß zwischen dem Ich und dem Nichtich, unternehmen es nach einander beide, eines das andere zu unterwerfen. Ist das Kind selbstlos der Welt gegenüber, so ist der Jüngling ebenso einseitig selbstisch und tvrannisirt Wirklich¬ keit und Wahrheit. Ein gewaltiger Ingrimm gegen alles Aeußere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/61>, abgerufen am 27.04.2024.