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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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genannt wurden) nie eine Sache, sondern immer nur eine Person
nämlich Hrn. v. Küstner als Beförderer des Verfalls unserer Bühr/
betreffen konnten.


E. Dronte. --
II.
Neueste Nachrichten a"s Leipzig.

Leipzig ist in diesem Augenblick eine Insel, so gut wie Venedig
oder England. Die großen Wasserfluchen haben alle Verbindung mit
dem übrigen Deutschland abgeschnitten; die Eisenbahnen aus Baiern,
Oesterreich und Preußen sind von temporären Lagunen überschwemmt.
Die Meßfremdcn, welche bereits eingetroffen, gleichsam angefangen sind,
sehen sich in ihren Geschäften nach auswärts gehemmt und rufen zum er¬
sten Mal mit Herwegh nach einer deutschen Flotte. Auf dem Museum
stehen Publicisten und Feuilletonisten in dichten Gruppen zusammen
und murmeln. Es ist doch ein eigenes, großes Gefühl, Insulaner
zu sein! So allein, so auf sich selbst und seine eigenen Ideen ange¬
wiesen, ohne Kölnische, ohne Frankfurter neue Zeitungen! Um zwei
Tage ist man zurück in der Weltgeschichte. Louis Philippe kann ge¬
storben sein, und hier hat man keine Ahnung; das gewaltigste Zweck¬
essen kann irgendwo stattgefunden haben und man erfährt es nicht.

Auch die Grenzboten sind jetzt Insulaner, die Correspondenzen
sind ausgeblieben; und da ich in Leipzig selbst nicht "Kourier reiten"
kann, um etwas Interessantes zu erretten, so ist es ein wahres Glück
für uns, daß auf heute grade der erste April fällt. Dieser Tag
ist ja der hoffnungsvollste Frühlingsbote und der wunderbarste Zeitungs¬
träger; wie man in einer großen deutschen Residenz sehen kann, wo
es seit 1840 das ganze Jahr hindurch erster April ist! Kann man
sich nicht aus der blauen Luft in einem Nu schönere Nachrichten kom¬
men lassen, als alle unsere grämlichen, grauen, löschpapiercnen Fort-
schritts-Propheten in einem Jahrhundert bringen? Wohlan denn, ge¬
stehen wir's, es sind solche Nachrichten eingetroffen, theils mit der
Taubenpost an die Deutsche Allgemeine, theils mit der rothen Adler¬
post an die Leipziger Zeitung; wir zweifeln, daß die erwähnten Blätter
etwas davon mittheilen werden, aber man spricht davon auf dem
Museum, auf dem Markt, in allen CasÄ. Man höre:

sicherem Vernehmen nach stehen wir jetzt wirklich am
Vorabend großer Ereignisse. Die gerechten Klagen und Wünsche der
Nation sind erhört worden und das in einer Weise, die alle Erwartun-


Grcnzbvtcn I"is. II. 1t)

genannt wurden) nie eine Sache, sondern immer nur eine Person
nämlich Hrn. v. Küstner als Beförderer des Verfalls unserer Bühr/
betreffen konnten.


E. Dronte. —
II.
Neueste Nachrichten a»s Leipzig.

Leipzig ist in diesem Augenblick eine Insel, so gut wie Venedig
oder England. Die großen Wasserfluchen haben alle Verbindung mit
dem übrigen Deutschland abgeschnitten; die Eisenbahnen aus Baiern,
Oesterreich und Preußen sind von temporären Lagunen überschwemmt.
Die Meßfremdcn, welche bereits eingetroffen, gleichsam angefangen sind,
sehen sich in ihren Geschäften nach auswärts gehemmt und rufen zum er¬
sten Mal mit Herwegh nach einer deutschen Flotte. Auf dem Museum
stehen Publicisten und Feuilletonisten in dichten Gruppen zusammen
und murmeln. Es ist doch ein eigenes, großes Gefühl, Insulaner
zu sein! So allein, so auf sich selbst und seine eigenen Ideen ange¬
wiesen, ohne Kölnische, ohne Frankfurter neue Zeitungen! Um zwei
Tage ist man zurück in der Weltgeschichte. Louis Philippe kann ge¬
storben sein, und hier hat man keine Ahnung; das gewaltigste Zweck¬
essen kann irgendwo stattgefunden haben und man erfährt es nicht.

Auch die Grenzboten sind jetzt Insulaner, die Correspondenzen
sind ausgeblieben; und da ich in Leipzig selbst nicht „Kourier reiten"
kann, um etwas Interessantes zu erretten, so ist es ein wahres Glück
für uns, daß auf heute grade der erste April fällt. Dieser Tag
ist ja der hoffnungsvollste Frühlingsbote und der wunderbarste Zeitungs¬
träger; wie man in einer großen deutschen Residenz sehen kann, wo
es seit 1840 das ganze Jahr hindurch erster April ist! Kann man
sich nicht aus der blauen Luft in einem Nu schönere Nachrichten kom¬
men lassen, als alle unsere grämlichen, grauen, löschpapiercnen Fort-
schritts-Propheten in einem Jahrhundert bringen? Wohlan denn, ge¬
stehen wir's, es sind solche Nachrichten eingetroffen, theils mit der
Taubenpost an die Deutsche Allgemeine, theils mit der rothen Adler¬
post an die Leipziger Zeitung; wir zweifeln, daß die erwähnten Blätter
etwas davon mittheilen werden, aber man spricht davon auf dem
Museum, auf dem Markt, in allen CasÄ. Man höre:

sicherem Vernehmen nach stehen wir jetzt wirklich am
Vorabend großer Ereignisse. Die gerechten Klagen und Wünsche der
Nation sind erhört worden und das in einer Weise, die alle Erwartun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/81>, abgerufen am 27.04.2024.