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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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wird bereits gearbeitet. Etwaige Communisten, die auch dann noch
malcontent wären, erhalten die Insel Helgoland zum Geschenk, um dort
ihre socialen Experimente in vollkommener Freiheit anzustellen.

Genaue Nachrichten lassen vermuthen, daß bereits noch
andere nationale Maßregeln von Wichtigkeit beschlossen worden sind.
Zur Hebung des nationalen Dramas soll eine theatralische
Landwehr eingeführt werden. Ein Eentralcomitv, unter Präsident¬
schaft Gutzkow's, wird in Frankfurt, und Untercomit"is in allen andern
Städten eingesetzt. Jeder Familienvater hat seine Söhne und Tochter
zur Prüfung ihrer Vühnentauglichkeit vor die Comites zustellen; die
fähig Befundenen müssen drei Jahre beim Schauspiel oder der Oper
dienen; wer sich selbst equipirt, dient blos zwei Jahre. Die Prüfung
der eingereichten Stücke liegt dem Centralcomitv ob.

Nachschrift. So eben hört man aus Frankfurt a. M., daß ein
Courier durchgekommen ist, der, wie man aus zuverlässiger
Quelle weiß, Depeschen bei sich haben dürfte -- oder könnte.


I. Ku...da.
I!I
Aus Prag.

Prag und Wien. -- Die Bureaukratie nach oben und nach unten. -- Ein
Paßbeamter. -- Anmerkung der Redaction. -- Die Czechen und das Theater.
-- Jüdische Sängerinnen. -- Die Ueberschwemmung. --

Fast scheute ich mich, einen zweiten Bericht aus unserer Stadt
so schnell dem ersten nachfolgen zu lassen. Allein die fleißigen Cor-
respondenzen aus Breslau, welche die Grenzboten bringen, ermunterten
mich. Prag steht zu Wien ohngefähr in demselben Verhältnisse
wie Breslau zu Berlin, und wenn schon die Metropole Preußens kein
Thermometer für^ alle geistigen und politischen Bewegungen jenes Staa¬
tes, wie viel weniger erst ist es die Kaiserstadt für die Richtungen
der durchaus nicht homogenen Bevölkerung österreichischer Provinzen.
Wie verschieden müssen, auch dem oberflächlichsten Reisenden, die Ein¬
drücke sein, die er in Wien und die er in Prag erhalt. Dort ist
fröhliche Lust, Leichtfertigkeit, Oberflächlichkeit, ein grenzenloser Drang
zum äußern Genuß und daher auch mehr Gutmüthigkeit, Zuvorkom¬
menheit. Hier Ernst, ja fast Melancholie, tiefere Innerlichkeit, und
daher auch schrofferes Wesen und Abgeschlossenheit. Wien ist ein
lachendes, spielendes Kind, Prag ist ein Mann, und zwar ein Mann,


wird bereits gearbeitet. Etwaige Communisten, die auch dann noch
malcontent wären, erhalten die Insel Helgoland zum Geschenk, um dort
ihre socialen Experimente in vollkommener Freiheit anzustellen.

Genaue Nachrichten lassen vermuthen, daß bereits noch
andere nationale Maßregeln von Wichtigkeit beschlossen worden sind.
Zur Hebung des nationalen Dramas soll eine theatralische
Landwehr eingeführt werden. Ein Eentralcomitv, unter Präsident¬
schaft Gutzkow's, wird in Frankfurt, und Untercomit«is in allen andern
Städten eingesetzt. Jeder Familienvater hat seine Söhne und Tochter
zur Prüfung ihrer Vühnentauglichkeit vor die Comites zustellen; die
fähig Befundenen müssen drei Jahre beim Schauspiel oder der Oper
dienen; wer sich selbst equipirt, dient blos zwei Jahre. Die Prüfung
der eingereichten Stücke liegt dem Centralcomitv ob.

Nachschrift. So eben hört man aus Frankfurt a. M., daß ein
Courier durchgekommen ist, der, wie man aus zuverlässiger
Quelle weiß, Depeschen bei sich haben dürfte — oder könnte.


I. Ku...da.
I!I
Aus Prag.

Prag und Wien. — Die Bureaukratie nach oben und nach unten. — Ein
Paßbeamter. — Anmerkung der Redaction. — Die Czechen und das Theater.
— Jüdische Sängerinnen. — Die Ueberschwemmung. —

Fast scheute ich mich, einen zweiten Bericht aus unserer Stadt
so schnell dem ersten nachfolgen zu lassen. Allein die fleißigen Cor-
respondenzen aus Breslau, welche die Grenzboten bringen, ermunterten
mich. Prag steht zu Wien ohngefähr in demselben Verhältnisse
wie Breslau zu Berlin, und wenn schon die Metropole Preußens kein
Thermometer für^ alle geistigen und politischen Bewegungen jenes Staa¬
tes, wie viel weniger erst ist es die Kaiserstadt für die Richtungen
der durchaus nicht homogenen Bevölkerung österreichischer Provinzen.
Wie verschieden müssen, auch dem oberflächlichsten Reisenden, die Ein¬
drücke sein, die er in Wien und die er in Prag erhalt. Dort ist
fröhliche Lust, Leichtfertigkeit, Oberflächlichkeit, ein grenzenloser Drang
zum äußern Genuß und daher auch mehr Gutmüthigkeit, Zuvorkom¬
menheit. Hier Ernst, ja fast Melancholie, tiefere Innerlichkeit, und
daher auch schrofferes Wesen und Abgeschlossenheit. Wien ist ein
lachendes, spielendes Kind, Prag ist ein Mann, und zwar ein Mann,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/84>, abgerufen am 27.04.2024.