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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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schwemmt und die Fluch schwoll plötzlich mit solcher Gewalt, daß
Straßen, die viele tausend Schritte von dem Fluße entfernt liegen, bis
zum zweiten Stock ihrer Hauser im Wasser standen. Ob Menschen¬
leben verloren gingen, weiß ich Ihnen noch nicht zu melden. Jam¬
mer und Noth hat dieses unglückliche Ereigniß in ärmere Familien
genug gebracht. Und die meisten dieser Ufergegcnden sind von unbe¬
mittelten Leuten bewohnt. Doch muß man der Umsicht und Vorsorge
der Behörden verdientes Lob zollen. Ueberall fuhren Kahne mit Brod,
Milch und Erdäpfeln beladen umher, auf jedem derselben befand sich ein
Commissär und ein Arzt. Bei allen Hausern wurde angefragt, wer Le-
bensmittel oder ärztliche Hilfe bedarf; erstere wurden in reicher Fülle
durch die Fenster gereicht, während die Aerzte auf Leitern oft in den
zweiten Stock hineinklcttcrtcn. Erzherzog Stephan war überall und
legte selbst Hand an, wo es Noth that. Noch steht das Wasser in
den meisten Userstraßen, obschon es um mehrere Ellen gefallen ist.
Man kann weder den Schaden, noch die sonstigen Unfälle bis jetzt
controliren. Auf einen' so harten Winter war dies ein grausamer
N. v. W. Frühlingsanfang. Gott stehe den Armen bei!


IV.
A"S " erim.
I.

Desperation. -- Vergnügen aus Wie" und Berlin. -- Fanatismus und wahn¬
sinnige Streiche. -- Das Aeitungswcstn. -- Die Vossische. -- Mangel an
Concessionen. -- Cornelius u. s. w.

Auf die große politische Spannung im Februar ist eine Erschlaf¬
fung eingetreten, die sich den ganzen März hindurch auf eine sehr
bemerkbare Weise kundgegeben hat. Zwar ist dieser Monat an Ver¬
gnügungen reicher gewesen, als alle vorhergehenden dieses Winters,
aber eigentlich nur aus dem Grunde, weil jeder das Bedürfniß in
sich fühlte: sich zu zerstreuen, um zu vergessen, sich zu betäuben, um
Reflexionen zu vermeiden. Die große Masse ist wie ein Einzelner,
nur zehn oder zwölf bilden eine Verschiedenheit. Nur zehn oder zwölf
können uneins sein, die große Masse ist immer einig. Auch in dem
Drange nach Vergnügen war sie das; sie versuchte Alles, sie bot Alles
auf, um lustig und guter Dinge sein, um scherzen und lachen zu
können. Sie hatte einen Augenblick gehofft, die neue Geschichte würde
in Berlin ihren Einzug halten. Sie glaubte, ihre Trabanten schon
vor den Thoren zu sehen. Sie besann sich bereits auf die Feste, die
sie ihr geben, auf die Feierlichkeiten, die sie ihr veranstalten wollte.
Ich bin überzeugt, sie dachte schon an die Toaste, die ihr Förster
und Kopisch bringen würden. Als sie nun aber einsehen lernte.


schwemmt und die Fluch schwoll plötzlich mit solcher Gewalt, daß
Straßen, die viele tausend Schritte von dem Fluße entfernt liegen, bis
zum zweiten Stock ihrer Hauser im Wasser standen. Ob Menschen¬
leben verloren gingen, weiß ich Ihnen noch nicht zu melden. Jam¬
mer und Noth hat dieses unglückliche Ereigniß in ärmere Familien
genug gebracht. Und die meisten dieser Ufergegcnden sind von unbe¬
mittelten Leuten bewohnt. Doch muß man der Umsicht und Vorsorge
der Behörden verdientes Lob zollen. Ueberall fuhren Kahne mit Brod,
Milch und Erdäpfeln beladen umher, auf jedem derselben befand sich ein
Commissär und ein Arzt. Bei allen Hausern wurde angefragt, wer Le-
bensmittel oder ärztliche Hilfe bedarf; erstere wurden in reicher Fülle
durch die Fenster gereicht, während die Aerzte auf Leitern oft in den
zweiten Stock hineinklcttcrtcn. Erzherzog Stephan war überall und
legte selbst Hand an, wo es Noth that. Noch steht das Wasser in
den meisten Userstraßen, obschon es um mehrere Ellen gefallen ist.
Man kann weder den Schaden, noch die sonstigen Unfälle bis jetzt
controliren. Auf einen' so harten Winter war dies ein grausamer
N. v. W. Frühlingsanfang. Gott stehe den Armen bei!


IV.
A»S « erim.
I.

Desperation. — Vergnügen aus Wie» und Berlin. — Fanatismus und wahn¬
sinnige Streiche. — Das Aeitungswcstn. — Die Vossische. — Mangel an
Concessionen. — Cornelius u. s. w.

Auf die große politische Spannung im Februar ist eine Erschlaf¬
fung eingetreten, die sich den ganzen März hindurch auf eine sehr
bemerkbare Weise kundgegeben hat. Zwar ist dieser Monat an Ver¬
gnügungen reicher gewesen, als alle vorhergehenden dieses Winters,
aber eigentlich nur aus dem Grunde, weil jeder das Bedürfniß in
sich fühlte: sich zu zerstreuen, um zu vergessen, sich zu betäuben, um
Reflexionen zu vermeiden. Die große Masse ist wie ein Einzelner,
nur zehn oder zwölf bilden eine Verschiedenheit. Nur zehn oder zwölf
können uneins sein, die große Masse ist immer einig. Auch in dem
Drange nach Vergnügen war sie das; sie versuchte Alles, sie bot Alles
auf, um lustig und guter Dinge sein, um scherzen und lachen zu
können. Sie hatte einen Augenblick gehofft, die neue Geschichte würde
in Berlin ihren Einzug halten. Sie glaubte, ihre Trabanten schon
vor den Thoren zu sehen. Sie besann sich bereits auf die Feste, die
sie ihr geben, auf die Feierlichkeiten, die sie ihr veranstalten wollte.
Ich bin überzeugt, sie dachte schon an die Toaste, die ihr Förster
und Kopisch bringen würden. Als sie nun aber einsehen lernte.


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[0088] schwemmt und die Fluch schwoll plötzlich mit solcher Gewalt, daß Straßen, die viele tausend Schritte von dem Fluße entfernt liegen, bis zum zweiten Stock ihrer Hauser im Wasser standen. Ob Menschen¬ leben verloren gingen, weiß ich Ihnen noch nicht zu melden. Jam¬ mer und Noth hat dieses unglückliche Ereigniß in ärmere Familien genug gebracht. Und die meisten dieser Ufergegcnden sind von unbe¬ mittelten Leuten bewohnt. Doch muß man der Umsicht und Vorsorge der Behörden verdientes Lob zollen. Ueberall fuhren Kahne mit Brod, Milch und Erdäpfeln beladen umher, auf jedem derselben befand sich ein Commissär und ein Arzt. Bei allen Hausern wurde angefragt, wer Le- bensmittel oder ärztliche Hilfe bedarf; erstere wurden in reicher Fülle durch die Fenster gereicht, während die Aerzte auf Leitern oft in den zweiten Stock hineinklcttcrtcn. Erzherzog Stephan war überall und legte selbst Hand an, wo es Noth that. Noch steht das Wasser in den meisten Userstraßen, obschon es um mehrere Ellen gefallen ist. Man kann weder den Schaden, noch die sonstigen Unfälle bis jetzt controliren. Auf einen' so harten Winter war dies ein grausamer N. v. W. Frühlingsanfang. Gott stehe den Armen bei! IV. A»S « erim. I. Desperation. — Vergnügen aus Wie» und Berlin. — Fanatismus und wahn¬ sinnige Streiche. — Das Aeitungswcstn. — Die Vossische. — Mangel an Concessionen. — Cornelius u. s. w. Auf die große politische Spannung im Februar ist eine Erschlaf¬ fung eingetreten, die sich den ganzen März hindurch auf eine sehr bemerkbare Weise kundgegeben hat. Zwar ist dieser Monat an Ver¬ gnügungen reicher gewesen, als alle vorhergehenden dieses Winters, aber eigentlich nur aus dem Grunde, weil jeder das Bedürfniß in sich fühlte: sich zu zerstreuen, um zu vergessen, sich zu betäuben, um Reflexionen zu vermeiden. Die große Masse ist wie ein Einzelner, nur zehn oder zwölf bilden eine Verschiedenheit. Nur zehn oder zwölf können uneins sein, die große Masse ist immer einig. Auch in dem Drange nach Vergnügen war sie das; sie versuchte Alles, sie bot Alles auf, um lustig und guter Dinge sein, um scherzen und lachen zu können. Sie hatte einen Augenblick gehofft, die neue Geschichte würde in Berlin ihren Einzug halten. Sie glaubte, ihre Trabanten schon vor den Thoren zu sehen. Sie besann sich bereits auf die Feste, die sie ihr geben, auf die Feierlichkeiten, die sie ihr veranstalten wollte. Ich bin überzeugt, sie dachte schon an die Toaste, die ihr Förster und Kopisch bringen würden. Als sie nun aber einsehen lernte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/88>, abgerufen am 27.04.2024.