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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Priester und Volk in Belgien,



i.
M e es c l n.

Eine Schleife, die zwei entgegengesetzte Enden mit einander ver¬
bindet, ein Januskopf, der mit dem einen Gesichte in die Zukunft
und mit dem andern in die Vergangenheit schaut, ein Meilenzeiger,
der mit der einen Hand nach Osten und mit der andern nach Westen
deutet -- das ist die Stadt Mecheln. Hier hat der Zufall den
Sitz der beiden mächtigsten Pulsadern Belgiens zusammengefügt:
Mecheln ist der Centralpunkt aller belgischen Eisenbahnen
und zugleich der Centralpunkt des ganzen Clerus des Lan¬
des! In Brüssel wohnt der König -- aber in Mecheln wohnt der
Cardinal-Erzbischvfü Von hier aus nehmen alle Wege, welche diese
Nation geht, ihren Auslauf, die Waarenballen der Gewerb- und
Handelswelt lind die Losungsworte der Pricsterpolitik, -- von hier aus
werden sie verschickt; die beiden Hauptadern, die das Land bewegen:
Industrie und Katholicismus, hier ist ihre Herzgrube, ihr Mauthhaus,
ihr Hafen. Wie breit streckt dieser riesenhafte Bahnhof seine Flügel
aus. Die graue Kathedrale der Stadt wird dadurch fast ver¬
deckt, ihr stolzer, dunkler, mittelalterlicher Bau scheint sich still und
unbemerkt hinter der lärmenden, hellblinkenden, modernen Nelsehalle
verstecken zu wollen. Geräuschvoll, ungeduldig, feuersprühend bewegen
sich die zahlreichen Locomotivcn auf diesem Platze hin und her, sie
scheinen die Zeit nicht erwarten zu können, wo sie Menschen und
Erzeugnisse hinausführen in's Weite, in die Ferne, auf die endlosen
Wege des Völkerverkehrs, der allgemeinen Civilisation. Wie lautlos
still ist es dagegen hinter der Kirche von Se. Rombold, im erzbischöf¬
lichen Palaste. Ist man darum hier minder geschäftig? Im Ge-



*) Aus dem unter der Presse befindlichen Wer?c- Belgien seit der
Revolution von 1330. Bon I. Kuranda. Leipzig, bei F. L. Herbig 1845.
Grenzboten Is4a. I.
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Priester und Volk in Belgien,



i.
M e es c l n.

Eine Schleife, die zwei entgegengesetzte Enden mit einander ver¬
bindet, ein Januskopf, der mit dem einen Gesichte in die Zukunft
und mit dem andern in die Vergangenheit schaut, ein Meilenzeiger,
der mit der einen Hand nach Osten und mit der andern nach Westen
deutet — das ist die Stadt Mecheln. Hier hat der Zufall den
Sitz der beiden mächtigsten Pulsadern Belgiens zusammengefügt:
Mecheln ist der Centralpunkt aller belgischen Eisenbahnen
und zugleich der Centralpunkt des ganzen Clerus des Lan¬
des! In Brüssel wohnt der König — aber in Mecheln wohnt der
Cardinal-Erzbischvfü Von hier aus nehmen alle Wege, welche diese
Nation geht, ihren Auslauf, die Waarenballen der Gewerb- und
Handelswelt lind die Losungsworte der Pricsterpolitik, — von hier aus
werden sie verschickt; die beiden Hauptadern, die das Land bewegen:
Industrie und Katholicismus, hier ist ihre Herzgrube, ihr Mauthhaus,
ihr Hafen. Wie breit streckt dieser riesenhafte Bahnhof seine Flügel
aus. Die graue Kathedrale der Stadt wird dadurch fast ver¬
deckt, ihr stolzer, dunkler, mittelalterlicher Bau scheint sich still und
unbemerkt hinter der lärmenden, hellblinkenden, modernen Nelsehalle
verstecken zu wollen. Geräuschvoll, ungeduldig, feuersprühend bewegen
sich die zahlreichen Locomotivcn auf diesem Platze hin und her, sie
scheinen die Zeit nicht erwarten zu können, wo sie Menschen und
Erzeugnisse hinausführen in's Weite, in die Ferne, auf die endlosen
Wege des Völkerverkehrs, der allgemeinen Civilisation. Wie lautlos
still ist es dagegen hinter der Kirche von Se. Rombold, im erzbischöf¬
lichen Palaste. Ist man darum hier minder geschäftig? Im Ge-



*) Aus dem unter der Presse befindlichen Wer?c- Belgien seit der
Revolution von 1330. Bon I. Kuranda. Leipzig, bei F. L. Herbig 1845.
Grenzboten Is4a. I.
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[0009] Priester und Volk in Belgien, i. M e es c l n. Eine Schleife, die zwei entgegengesetzte Enden mit einander ver¬ bindet, ein Januskopf, der mit dem einen Gesichte in die Zukunft und mit dem andern in die Vergangenheit schaut, ein Meilenzeiger, der mit der einen Hand nach Osten und mit der andern nach Westen deutet — das ist die Stadt Mecheln. Hier hat der Zufall den Sitz der beiden mächtigsten Pulsadern Belgiens zusammengefügt: Mecheln ist der Centralpunkt aller belgischen Eisenbahnen und zugleich der Centralpunkt des ganzen Clerus des Lan¬ des! In Brüssel wohnt der König — aber in Mecheln wohnt der Cardinal-Erzbischvfü Von hier aus nehmen alle Wege, welche diese Nation geht, ihren Auslauf, die Waarenballen der Gewerb- und Handelswelt lind die Losungsworte der Pricsterpolitik, — von hier aus werden sie verschickt; die beiden Hauptadern, die das Land bewegen: Industrie und Katholicismus, hier ist ihre Herzgrube, ihr Mauthhaus, ihr Hafen. Wie breit streckt dieser riesenhafte Bahnhof seine Flügel aus. Die graue Kathedrale der Stadt wird dadurch fast ver¬ deckt, ihr stolzer, dunkler, mittelalterlicher Bau scheint sich still und unbemerkt hinter der lärmenden, hellblinkenden, modernen Nelsehalle verstecken zu wollen. Geräuschvoll, ungeduldig, feuersprühend bewegen sich die zahlreichen Locomotivcn auf diesem Platze hin und her, sie scheinen die Zeit nicht erwarten zu können, wo sie Menschen und Erzeugnisse hinausführen in's Weite, in die Ferne, auf die endlosen Wege des Völkerverkehrs, der allgemeinen Civilisation. Wie lautlos still ist es dagegen hinter der Kirche von Se. Rombold, im erzbischöf¬ lichen Palaste. Ist man darum hier minder geschäftig? Im Ge- *) Aus dem unter der Presse befindlichen Wer?c- Belgien seit der Revolution von 1330. Bon I. Kuranda. Leipzig, bei F. L. Herbig 1845. Grenzboten Is4a. I. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/9>, abgerufen am 27.04.2024.