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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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VI.
Notizen.

Theologische Fruchtbarkeit. -- Ihr träumt. -- El" Berliner gegc"
Jacob".

-- Gersdorf's Repertorium zählt in seinem Aprilhefte hundert
und zwölf theologische Schriften auf, die im März erschienen
sind. In seinem Märzheste kündigte er blos zwei und sie herzig
theologische Nummern an. Uno man sagt, Deutschland sei nicht im
Fortschritt begriffen. Eine Nation, die in zwei Monaten hundert und
vier und achtzig theologische Herkulesthaten aufweist und für die nächste
Zukunft noch mehr in Aussicht hat, muß offenbar den Himmel ge¬
winnen. Wer den Himmel so schon besitzt, braucht sich um irdische
Dinge nicht zu kümmern.

-- Eine kleine Broschüre, welche so eben in Leipzig erschienen ist,
führt den Titel: "Ihr träumt! Weckruf an das Norge-berauschte
Deutschland, von Jordan." Diese kleine Schrift verdient sehr gelesen
zu werden. Sie hat den Vorzug, originell zu sein. Es ist wahrlich
originell, daß Jemand heutzutage fo aufrichtig ist, seine innerste Mei¬
nung zu sagen. Schon das wäre wohlthuend an dem Büchlein, auch
wenn es nicht sehr wesentliche Wahrheiten enthielte. Daß Jordan auch
Irrthümer hat, nimmt seinen Wahrheiten Nichts von ihrem Werth;
eben so wie der grade männliche Styl gefallt, obgleich er zuweilen
etwas in Kanonen auftritt. Jordan ist sehr materialistisch und erwar¬
tet alles Heil von den Naturwissenschaften, vom Dampf und seinen
natürlichen Wundern. Wir erwarten nicht grade Alles von der
Physik, aber etwas Materialismus kann uns als Gegengift gegen
unsere philosophischen und romantischen Sublimate nicht schaden.

-- In der Augsburger Allgemeinen sieht ein Berliner (mit dem
Zeichen V) gegen die bekannten Jacobvschen Ansichten von der Noth¬
wendigkeit einer preußischen Verfassung. Wir haben selten einen so
sehr auf Schrauben gestellten Aufsatz gelesen; die Sophismen darin
konnten übrigens, wenn sie der Berliner Intelligenz Ehre machen
sollten, etwas weniger plump auftreten. Eine Widerlegung der Diatribe
müßte eben so umfangreich wie diese selbst sein und die ganze Geschichte
ub "on" recapituliren; übrigens darf man wohl eine Entgegnung in
der Augsburger Allgemeinen selbst erwarten.




Verlag von Fr. Ludw. Herliig. -- Redacteur I. Kuvanda.
Druck von Friedrich Andrä.
VI.
Notizen.

Theologische Fruchtbarkeit. — Ihr träumt. — El» Berliner gegc»
Jacob».

— Gersdorf's Repertorium zählt in seinem Aprilhefte hundert
und zwölf theologische Schriften auf, die im März erschienen
sind. In seinem Märzheste kündigte er blos zwei und sie herzig
theologische Nummern an. Uno man sagt, Deutschland sei nicht im
Fortschritt begriffen. Eine Nation, die in zwei Monaten hundert und
vier und achtzig theologische Herkulesthaten aufweist und für die nächste
Zukunft noch mehr in Aussicht hat, muß offenbar den Himmel ge¬
winnen. Wer den Himmel so schon besitzt, braucht sich um irdische
Dinge nicht zu kümmern.

— Eine kleine Broschüre, welche so eben in Leipzig erschienen ist,
führt den Titel: „Ihr träumt! Weckruf an das Norge-berauschte
Deutschland, von Jordan." Diese kleine Schrift verdient sehr gelesen
zu werden. Sie hat den Vorzug, originell zu sein. Es ist wahrlich
originell, daß Jemand heutzutage fo aufrichtig ist, seine innerste Mei¬
nung zu sagen. Schon das wäre wohlthuend an dem Büchlein, auch
wenn es nicht sehr wesentliche Wahrheiten enthielte. Daß Jordan auch
Irrthümer hat, nimmt seinen Wahrheiten Nichts von ihrem Werth;
eben so wie der grade männliche Styl gefallt, obgleich er zuweilen
etwas in Kanonen auftritt. Jordan ist sehr materialistisch und erwar¬
tet alles Heil von den Naturwissenschaften, vom Dampf und seinen
natürlichen Wundern. Wir erwarten nicht grade Alles von der
Physik, aber etwas Materialismus kann uns als Gegengift gegen
unsere philosophischen und romantischen Sublimate nicht schaden.

— In der Augsburger Allgemeinen sieht ein Berliner (mit dem
Zeichen V) gegen die bekannten Jacobvschen Ansichten von der Noth¬
wendigkeit einer preußischen Verfassung. Wir haben selten einen so
sehr auf Schrauben gestellten Aufsatz gelesen; die Sophismen darin
konnten übrigens, wenn sie der Berliner Intelligenz Ehre machen
sollten, etwas weniger plump auftreten. Eine Widerlegung der Diatribe
müßte eben so umfangreich wie diese selbst sein und die ganze Geschichte
ub »on» recapituliren; übrigens darf man wohl eine Entgegnung in
der Augsburger Allgemeinen selbst erwarten.




Verlag von Fr. Ludw. Herliig. — Redacteur I. Kuvanda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0096] VI. Notizen. Theologische Fruchtbarkeit. — Ihr träumt. — El» Berliner gegc» Jacob». — Gersdorf's Repertorium zählt in seinem Aprilhefte hundert und zwölf theologische Schriften auf, die im März erschienen sind. In seinem Märzheste kündigte er blos zwei und sie herzig theologische Nummern an. Uno man sagt, Deutschland sei nicht im Fortschritt begriffen. Eine Nation, die in zwei Monaten hundert und vier und achtzig theologische Herkulesthaten aufweist und für die nächste Zukunft noch mehr in Aussicht hat, muß offenbar den Himmel ge¬ winnen. Wer den Himmel so schon besitzt, braucht sich um irdische Dinge nicht zu kümmern. — Eine kleine Broschüre, welche so eben in Leipzig erschienen ist, führt den Titel: „Ihr träumt! Weckruf an das Norge-berauschte Deutschland, von Jordan." Diese kleine Schrift verdient sehr gelesen zu werden. Sie hat den Vorzug, originell zu sein. Es ist wahrlich originell, daß Jemand heutzutage fo aufrichtig ist, seine innerste Mei¬ nung zu sagen. Schon das wäre wohlthuend an dem Büchlein, auch wenn es nicht sehr wesentliche Wahrheiten enthielte. Daß Jordan auch Irrthümer hat, nimmt seinen Wahrheiten Nichts von ihrem Werth; eben so wie der grade männliche Styl gefallt, obgleich er zuweilen etwas in Kanonen auftritt. Jordan ist sehr materialistisch und erwar¬ tet alles Heil von den Naturwissenschaften, vom Dampf und seinen natürlichen Wundern. Wir erwarten nicht grade Alles von der Physik, aber etwas Materialismus kann uns als Gegengift gegen unsere philosophischen und romantischen Sublimate nicht schaden. — In der Augsburger Allgemeinen sieht ein Berliner (mit dem Zeichen V) gegen die bekannten Jacobvschen Ansichten von der Noth¬ wendigkeit einer preußischen Verfassung. Wir haben selten einen so sehr auf Schrauben gestellten Aufsatz gelesen; die Sophismen darin konnten übrigens, wenn sie der Berliner Intelligenz Ehre machen sollten, etwas weniger plump auftreten. Eine Widerlegung der Diatribe müßte eben so umfangreich wie diese selbst sein und die ganze Geschichte ub »on» recapituliren; übrigens darf man wohl eine Entgegnung in der Augsburger Allgemeinen selbst erwarten. Verlag von Fr. Ludw. Herliig. — Redacteur I. Kuvanda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/96>, abgerufen am 27.04.2024.