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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Zur Geschichte deutschen Gerichtswesens.
(Mittheilungen aus den Protokollen eines oberschwäbischen Klosters.)
Von Sigmmid Schott.



Vergleichungen stärken das Urtheil und sind namentlich bei
Studien der Culturgeschichte unentbehrlich. Je concreter das Material,
desto vertrauter können wir eS handhaben, weil es dann meistens be¬
kannte Umrisse aus dem gewöhnlichen Leben annimmt. Geschichte, im
Großen betrachtet, führt uns die Entwickelungen massenhaft vor, in
welchen das Leben der Einzelnen, das Gewöhnliche, für den Beschauer
weder nöthig, noch kenntlich ist. Und doch knüpft uns Alle, die wir
die Erde immer wieder erben und vererben, jene geheime Ordnung,
welche einer Generation nach der anderen stets dieselben, nur im
Ausdruck veränderten Leidenschaften und Ideale an die Spitze ihrer
irdischen Gegenwart stellt, um dafür zu leiden und mit unbefriedigter
Sehnsucht zu sterben. Während wir schon im Zuge sind, in den Ab¬
grund aller Zeit, in die Vergangenheit hinuntergeströmt zu werden,
treibt es uns doch in diesem kurzen Zeitstrudel, hinabzuschauen nach
denen, die einige Momente uns voraus sind, und hinauf nach der Zu¬
kunft, die uns reißend vor sich herschiebt. Es tröstet und betrübt
zugleich, überall dieselbe Menschheit wiederzufinden, mit wechselndem
Gegenstande des Bedürfnisses, aber unverändert, unermüdet in dem
Bedürfnisse selbst: nach Haß und Liebe, nach Schmerz und Genuß.
Die folgenden Mittheilungen aus den Amtsprotokollen eines ober"
schwäbischen Klosters zeigen ein kleines Gebiet, ziemlich reich an
Seelen, aber merkwürdig arm an Ideen. Herkommen und Interesse
sind die beiden Factoren der Gesetzgebung, wie die Richtschnur für
die ausübende Gewalt; Herkommen und Indolenz bilden die beiden


Grciijbote" I84S. II. 12
Zur Geschichte deutschen Gerichtswesens.
(Mittheilungen aus den Protokollen eines oberschwäbischen Klosters.)
Von Sigmmid Schott.



Vergleichungen stärken das Urtheil und sind namentlich bei
Studien der Culturgeschichte unentbehrlich. Je concreter das Material,
desto vertrauter können wir eS handhaben, weil es dann meistens be¬
kannte Umrisse aus dem gewöhnlichen Leben annimmt. Geschichte, im
Großen betrachtet, führt uns die Entwickelungen massenhaft vor, in
welchen das Leben der Einzelnen, das Gewöhnliche, für den Beschauer
weder nöthig, noch kenntlich ist. Und doch knüpft uns Alle, die wir
die Erde immer wieder erben und vererben, jene geheime Ordnung,
welche einer Generation nach der anderen stets dieselben, nur im
Ausdruck veränderten Leidenschaften und Ideale an die Spitze ihrer
irdischen Gegenwart stellt, um dafür zu leiden und mit unbefriedigter
Sehnsucht zu sterben. Während wir schon im Zuge sind, in den Ab¬
grund aller Zeit, in die Vergangenheit hinuntergeströmt zu werden,
treibt es uns doch in diesem kurzen Zeitstrudel, hinabzuschauen nach
denen, die einige Momente uns voraus sind, und hinauf nach der Zu¬
kunft, die uns reißend vor sich herschiebt. Es tröstet und betrübt
zugleich, überall dieselbe Menschheit wiederzufinden, mit wechselndem
Gegenstande des Bedürfnisses, aber unverändert, unermüdet in dem
Bedürfnisse selbst: nach Haß und Liebe, nach Schmerz und Genuß.
Die folgenden Mittheilungen aus den Amtsprotokollen eines ober»
schwäbischen Klosters zeigen ein kleines Gebiet, ziemlich reich an
Seelen, aber merkwürdig arm an Ideen. Herkommen und Interesse
sind die beiden Factoren der Gesetzgebung, wie die Richtschnur für
die ausübende Gewalt; Herkommen und Indolenz bilden die beiden


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[0097] Zur Geschichte deutschen Gerichtswesens. (Mittheilungen aus den Protokollen eines oberschwäbischen Klosters.) Von Sigmmid Schott. Vergleichungen stärken das Urtheil und sind namentlich bei Studien der Culturgeschichte unentbehrlich. Je concreter das Material, desto vertrauter können wir eS handhaben, weil es dann meistens be¬ kannte Umrisse aus dem gewöhnlichen Leben annimmt. Geschichte, im Großen betrachtet, führt uns die Entwickelungen massenhaft vor, in welchen das Leben der Einzelnen, das Gewöhnliche, für den Beschauer weder nöthig, noch kenntlich ist. Und doch knüpft uns Alle, die wir die Erde immer wieder erben und vererben, jene geheime Ordnung, welche einer Generation nach der anderen stets dieselben, nur im Ausdruck veränderten Leidenschaften und Ideale an die Spitze ihrer irdischen Gegenwart stellt, um dafür zu leiden und mit unbefriedigter Sehnsucht zu sterben. Während wir schon im Zuge sind, in den Ab¬ grund aller Zeit, in die Vergangenheit hinuntergeströmt zu werden, treibt es uns doch in diesem kurzen Zeitstrudel, hinabzuschauen nach denen, die einige Momente uns voraus sind, und hinauf nach der Zu¬ kunft, die uns reißend vor sich herschiebt. Es tröstet und betrübt zugleich, überall dieselbe Menschheit wiederzufinden, mit wechselndem Gegenstande des Bedürfnisses, aber unverändert, unermüdet in dem Bedürfnisse selbst: nach Haß und Liebe, nach Schmerz und Genuß. Die folgenden Mittheilungen aus den Amtsprotokollen eines ober» schwäbischen Klosters zeigen ein kleines Gebiet, ziemlich reich an Seelen, aber merkwürdig arm an Ideen. Herkommen und Interesse sind die beiden Factoren der Gesetzgebung, wie die Richtschnur für die ausübende Gewalt; Herkommen und Indolenz bilden die beiden Grciijbote» I84S. II. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/97>, abgerufen am 27.04.2024.