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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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111.

Wer in der heißen Mittagssonne des .1. September 1838 ans
der Höhe deS Uonte KnInAn gestanden wäre, der hätte in dem berg¬
ansteigenden jungen Wanderer keinen künftigen Zögling eines römi¬
schen Seminaiiums gesucht. Meine schweißtriefenden Haare hingen
weit auf die Schultern herab. Den Kopf bedeckte ein eleganter
weißer Strohhut, um den sich ein zierliches Band schlang, das meine
Schwester gestickt und zum Abschied mit Thränen reichlich benetzt
hatte. Mein weites Beinkleid bestand aus feinem Sommerzeug, und
der nachlässig herabhängende Ueberwurf mit seinen Fransen bewies,
daß mein Schneider " In mon'e arbeiten konnte. Der Hals war
frei und der weiße Hemvkragen flatterte in der Luft, die allmählig
kühlend zu säuseln begann, je mehr ich mich der Bergspitze näherte.
In der Hand trug ich einen tüchtigen Degenstock, und das kleine,
grüne Felleisen auf dem Rücken vollendete das Bild des unbärtiger,
flotten Burschen. Mit diesem Studiranzuge hatte ich bei meinem
Abschied in Augsburg meinen jungen Freunden nicht weniger impo-
nirt, als mit meiner Lobeserhebung der bevorstehenden Reise zum
Papst. Gleiches Glück hoffte ich damit meinen künftigen College"
in Rom gegenüber zu machen.

Das ermüdende "Bergauf" war endlich im Rücken. Ich stand
da, wo sich Tannen- und Castanienwälder begegnen und auf hoher
Säule die Worte zu lesen sind: "Grenze zwischen Deutschland und
Italien." Hier lagerte ich mich im Schatten üppiger Gesträuche,
öffnete mein zierliches Felleisen lind breitete die frugale Mahlzeit auf
dem Nasen aus, mit der ich mich in der letzten Nachtherberge ver¬
sehen. Mein Wirth hatte mir nämlich umständlich auseinander ge¬
setzt, wie ich auf der sechs Stunden langen Bergstraße außer der
Dogann kein bewohntes Gebäude treffen werde, indem der Micthin-
haber der einzigen kleinen Locanda in Mitte des Weges seit vierzehn
Tagen abgezogen und noch durch keinen Nachfolger ersetzt sei. Mit
dieser Bemerkung halte eS seine vollkommene Nichtigkeit, und ich
pries, mit großem Appetit mein gebackenes Huhn speisend, die Weis¬
heit des besorgten Schweizers, indem ich nur bedauerte, nicht noch
mehr von dieser Weisheit profitirt und auch die zweite Flasche Wein
mitgeschleppt zu haben, die er zu diesen, Zweck in Bereitschaft gesetzt.


111.

Wer in der heißen Mittagssonne des .1. September 1838 ans
der Höhe deS Uonte KnInAn gestanden wäre, der hätte in dem berg¬
ansteigenden jungen Wanderer keinen künftigen Zögling eines römi¬
schen Seminaiiums gesucht. Meine schweißtriefenden Haare hingen
weit auf die Schultern herab. Den Kopf bedeckte ein eleganter
weißer Strohhut, um den sich ein zierliches Band schlang, das meine
Schwester gestickt und zum Abschied mit Thränen reichlich benetzt
hatte. Mein weites Beinkleid bestand aus feinem Sommerzeug, und
der nachlässig herabhängende Ueberwurf mit seinen Fransen bewies,
daß mein Schneider » In mon'e arbeiten konnte. Der Hals war
frei und der weiße Hemvkragen flatterte in der Luft, die allmählig
kühlend zu säuseln begann, je mehr ich mich der Bergspitze näherte.
In der Hand trug ich einen tüchtigen Degenstock, und das kleine,
grüne Felleisen auf dem Rücken vollendete das Bild des unbärtiger,
flotten Burschen. Mit diesem Studiranzuge hatte ich bei meinem
Abschied in Augsburg meinen jungen Freunden nicht weniger impo-
nirt, als mit meiner Lobeserhebung der bevorstehenden Reise zum
Papst. Gleiches Glück hoffte ich damit meinen künftigen College»
in Rom gegenüber zu machen.

Das ermüdende „Bergauf" war endlich im Rücken. Ich stand
da, wo sich Tannen- und Castanienwälder begegnen und auf hoher
Säule die Worte zu lesen sind: „Grenze zwischen Deutschland und
Italien." Hier lagerte ich mich im Schatten üppiger Gesträuche,
öffnete mein zierliches Felleisen lind breitete die frugale Mahlzeit auf
dem Nasen aus, mit der ich mich in der letzten Nachtherberge ver¬
sehen. Mein Wirth hatte mir nämlich umständlich auseinander ge¬
setzt, wie ich auf der sechs Stunden langen Bergstraße außer der
Dogann kein bewohntes Gebäude treffen werde, indem der Micthin-
haber der einzigen kleinen Locanda in Mitte des Weges seit vierzehn
Tagen abgezogen und noch durch keinen Nachfolger ersetzt sei. Mit
dieser Bemerkung halte eS seine vollkommene Nichtigkeit, und ich
pries, mit großem Appetit mein gebackenes Huhn speisend, die Weis¬
heit des besorgten Schweizers, indem ich nur bedauerte, nicht noch
mehr von dieser Weisheit profitirt und auch die zweite Flasche Wein
mitgeschleppt zu haben, die er zu diesen, Zweck in Bereitschaft gesetzt.


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[0159] 111. Wer in der heißen Mittagssonne des .1. September 1838 ans der Höhe deS Uonte KnInAn gestanden wäre, der hätte in dem berg¬ ansteigenden jungen Wanderer keinen künftigen Zögling eines römi¬ schen Seminaiiums gesucht. Meine schweißtriefenden Haare hingen weit auf die Schultern herab. Den Kopf bedeckte ein eleganter weißer Strohhut, um den sich ein zierliches Band schlang, das meine Schwester gestickt und zum Abschied mit Thränen reichlich benetzt hatte. Mein weites Beinkleid bestand aus feinem Sommerzeug, und der nachlässig herabhängende Ueberwurf mit seinen Fransen bewies, daß mein Schneider » In mon'e arbeiten konnte. Der Hals war frei und der weiße Hemvkragen flatterte in der Luft, die allmählig kühlend zu säuseln begann, je mehr ich mich der Bergspitze näherte. In der Hand trug ich einen tüchtigen Degenstock, und das kleine, grüne Felleisen auf dem Rücken vollendete das Bild des unbärtiger, flotten Burschen. Mit diesem Studiranzuge hatte ich bei meinem Abschied in Augsburg meinen jungen Freunden nicht weniger impo- nirt, als mit meiner Lobeserhebung der bevorstehenden Reise zum Papst. Gleiches Glück hoffte ich damit meinen künftigen College» in Rom gegenüber zu machen. Das ermüdende „Bergauf" war endlich im Rücken. Ich stand da, wo sich Tannen- und Castanienwälder begegnen und auf hoher Säule die Worte zu lesen sind: „Grenze zwischen Deutschland und Italien." Hier lagerte ich mich im Schatten üppiger Gesträuche, öffnete mein zierliches Felleisen lind breitete die frugale Mahlzeit auf dem Nasen aus, mit der ich mich in der letzten Nachtherberge ver¬ sehen. Mein Wirth hatte mir nämlich umständlich auseinander ge¬ setzt, wie ich auf der sechs Stunden langen Bergstraße außer der Dogann kein bewohntes Gebäude treffen werde, indem der Micthin- haber der einzigen kleinen Locanda in Mitte des Weges seit vierzehn Tagen abgezogen und noch durch keinen Nachfolger ersetzt sei. Mit dieser Bemerkung halte eS seine vollkommene Nichtigkeit, und ich pries, mit großem Appetit mein gebackenes Huhn speisend, die Weis¬ heit des besorgten Schweizers, indem ich nur bedauerte, nicht noch mehr von dieser Weisheit profitirt und auch die zweite Flasche Wein mitgeschleppt zu haben, die er zu diesen, Zweck in Bereitschaft gesetzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/159>, abgerufen am 02.05.2024.