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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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erklärte, daß diese Papiere von ungeheurem Geldwerthe seien. Der
Marschall, der bekanntlich trotz seiner großen Einkünfte stets in Fi¬
nanznöthen sich befindet, fragte mürrisch, ob sich diese Lumpendinger
nicht in baare, klingende Münze umsetzen ließen. Der Intendant
ließ einen Augenblick auf die Antwort warten und entgegnete endlich,
daß jetzt ein ungünstiger Zeitpunkt zum Verkaufe dieser Papiere wäre.
schenkt uns der Himmel das Glück -- sagte er --, daß wir Bel¬
gien mit Frankreich vereinigen, wie es die Ehre und die Größe des
Baterlandes verlangt, so dürfte es schwer sein, aus dem Verkauf die¬
ser Actien mehr als achtzig bis neunzig Tausend Franken zu ziehen.
Wenn jedoch die französische Politik -- was Gott verhüte -- es nö¬
thig machen sollte, Frankreich in seinen bisherigen Gränzen zu lassen
und die Einverleibung Belgiens von sich zu weisen, so waren diese
Papiere von dem Werthe einer Million und noch darüber. -- Sie
sind verrückt, schnäuzte ihn der Marschall an, wie können wir in un¬
serer gegenwärtigen Situation an die wirkliche Einverleibung Bel¬
giens denken? Es war nie meine ernstliche Meinung. Der Inten¬
dant entfernte sich, und in dem nächsten Ministerconseil hatte Castmir
Perrier keinen Gegner mehr; Belgien blieb unbesetzt.


VI.
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Jordan frei. -- l'und >1s bruit pour uns oinelstte. -- Entführung per
Dampf. -- Erbauliche Predigt. -- "Ein Tag aus der bösen. Geschichte".
-- "Das Buch für Winterabende". -- Tischendorfs "Reise in den Orient". --
Gutenbergs Geburtsort. -- Der Börsenspan.

-- Noch ist Gerechtigkeit in Deutschland! Sylvester Jordan ist
endlich , wegen "unziemlicher Schreibart in einer Eingabe," zu fünf
Thaler Strafe verurtheilt! Das also war des Pudels Kern! Darum
mußte man einen peinlichen Proceß führen , der eine Familie ruinirt,
der einen achtungswürdigen Rechtsgelehrten und begabten Deputieren
körperlich gebrochen, der so viele Bücherverbote, Eensurstriche und
polizeiliche Verfolgungen hervorgerufen und Deutschland so viele Jahre
lang in Aufregung und Trauer versetzt hat. Alles um fünf Thaler!
Denn des Hochverraths ist Jordan ganz unschuldig befunden, die
Untersuchung wegen angeblicher Mitwissenschaft um das Frankfurter
Attentat ist als unnütz und erfolglos endlich niedergeschlagen worden,
und es ist Niemand, der da glauben wird, daß man dies Urtheil der
Nachsicht curheMcher Behörden zu verdanken habe; es ist Niemand,
der noch zweifeln wird, daß man von Jordans Unschuld moralisch
gleich im Anfang, und juristisch vor wenigstens drei Jahren über¬
zeugt sein konnte, denn so lange schon liegt der Proceß gedruckt vor
den Augen des Publicums.


erklärte, daß diese Papiere von ungeheurem Geldwerthe seien. Der
Marschall, der bekanntlich trotz seiner großen Einkünfte stets in Fi¬
nanznöthen sich befindet, fragte mürrisch, ob sich diese Lumpendinger
nicht in baare, klingende Münze umsetzen ließen. Der Intendant
ließ einen Augenblick auf die Antwort warten und entgegnete endlich,
daß jetzt ein ungünstiger Zeitpunkt zum Verkaufe dieser Papiere wäre.
schenkt uns der Himmel das Glück — sagte er —, daß wir Bel¬
gien mit Frankreich vereinigen, wie es die Ehre und die Größe des
Baterlandes verlangt, so dürfte es schwer sein, aus dem Verkauf die¬
ser Actien mehr als achtzig bis neunzig Tausend Franken zu ziehen.
Wenn jedoch die französische Politik — was Gott verhüte — es nö¬
thig machen sollte, Frankreich in seinen bisherigen Gränzen zu lassen
und die Einverleibung Belgiens von sich zu weisen, so waren diese
Papiere von dem Werthe einer Million und noch darüber. — Sie
sind verrückt, schnäuzte ihn der Marschall an, wie können wir in un¬
serer gegenwärtigen Situation an die wirkliche Einverleibung Bel¬
giens denken? Es war nie meine ernstliche Meinung. Der Inten¬
dant entfernte sich, und in dem nächsten Ministerconseil hatte Castmir
Perrier keinen Gegner mehr; Belgien blieb unbesetzt.


VI.
N o t i z e «

Jordan frei. — l'und >1s bruit pour uns oinelstte. — Entführung per
Dampf. — Erbauliche Predigt. — „Ein Tag aus der bösen. Geschichte".
— „Das Buch für Winterabende". — Tischendorfs „Reise in den Orient". —
Gutenbergs Geburtsort. — Der Börsenspan.

— Noch ist Gerechtigkeit in Deutschland! Sylvester Jordan ist
endlich , wegen „unziemlicher Schreibart in einer Eingabe," zu fünf
Thaler Strafe verurtheilt! Das also war des Pudels Kern! Darum
mußte man einen peinlichen Proceß führen , der eine Familie ruinirt,
der einen achtungswürdigen Rechtsgelehrten und begabten Deputieren
körperlich gebrochen, der so viele Bücherverbote, Eensurstriche und
polizeiliche Verfolgungen hervorgerufen und Deutschland so viele Jahre
lang in Aufregung und Trauer versetzt hat. Alles um fünf Thaler!
Denn des Hochverraths ist Jordan ganz unschuldig befunden, die
Untersuchung wegen angeblicher Mitwissenschaft um das Frankfurter
Attentat ist als unnütz und erfolglos endlich niedergeschlagen worden,
und es ist Niemand, der da glauben wird, daß man dies Urtheil der
Nachsicht curheMcher Behörden zu verdanken habe; es ist Niemand,
der noch zweifeln wird, daß man von Jordans Unschuld moralisch
gleich im Anfang, und juristisch vor wenigstens drei Jahren über¬
zeugt sein konnte, denn so lange schon liegt der Proceß gedruckt vor
den Augen des Publicums.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/332>, abgerufen am 01.05.2024.