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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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thos und Wohlwollen, der eines deutschen Regierungsblattes würdig
wäre, sonst müßte man diesen Vorschlag in Güte für die feinste Iro¬
nie nehmen. Ja, wenn sich Nußland so weit herablassen wollte, seine
Humanität nach unserem Maßstabe beurtheilen zu lassen und auch in
Sachen der Moral sich zu den europäischen Staaten zu zählen, dann
-- dann wäre es nicht, was es ist. Und wann würde es mit sei¬
nen Erklärungen fertig werden? Es müßte eben die letzten Bände
der Weltgeschichte umarbeiten lassen.

-- Wie viel besser sind doch die deutschen Zeitungen daran als die
französischen und englischen. Wenn in London und Paris die Kam¬
mern geschlossen sind und die Saison für die buchstabenfressenden Eo-
lumnen eintritt, wie müssen sich die armen Zeitungsschreiber da mit
Erfindungen abplagen. Da muß die große Seeschlange auftauchen,
da hört man plötzlich aus jedem Dorfe von einem dort eristirenden
hundertzwanzigjährigen Greise, da regnet es dort und da plötzlich Ei¬
dechsen, Kälber mit zwei Köpfen werden geboren, die Felder platzen
vor lauter eingegrabenen römischen Medaillen; jeder Jäger, der einen
Schuß abfeuert, hat einen Adler geschossen, der einen Halsring trägt,
auf dem der Name Carls Xll. oder Peter des Großen eingegraben ist.
Es giebt in der französischen Journalistik Epochen, wo in jedem alten
Schranke, den ein todter Lumpensammler hinterläßt, 8VMl1 Franken
sich vorfinden, wo in jedem alten Lehnstuhl die Goldbarren hinter
den Roßhaaren schlafen. Arme schwindsüchtige Phatasien -- wie
steht ihr mit euern zappelnden Erfindungen hinter dem Adlerschwunge
deutscher Journalistik zurück. Wenn wir in Nöthen sind, dem Lese-
publicum etwas aufzubinden, so haben wir eine unerschöpfliche Quelle:
Preußen giebt eine Eonstitution. Und welche unendliche Verschlin¬
gungen rieseln in unzählichen Bächlein aus dieser einzigen Quelle!
Die preußische Eonstitution wird zwei Kammern haben, eine Kam¬
mer, einen Keller, einen Boden, einen Holzgarten u. s. in. Und
dann die widersprechenden Nachrichten: die preußische Eonstitution ist
fertig, sie ist noch nicht fertig, sie ist schon beim Buchbinder, und
es fehlt noch eine Anmerkung, sie wird am 18. Oktober kommen, nein,
am 1. Januar, nein, am I. April u. f. w., bis endlich in Frank¬
reich und England wirklich irgend etwas geschieht und die Journale
die preußische Eonstitution wieder nicht mehr brauchen.




Dringende Bitte des Correctors.

DerCorrector bittet die geehrten Herren Korrespondenten der lLrenzboten,
die vorkommenden Namen, zu deren Entzifferung manchmal mehr Lo-
calkenntniß gehört, als er besitzt, in ihren Korrespondenzen recht deutlich
zu schreiben. ___


"erlag von Fr. Lndw. Hevbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

thos und Wohlwollen, der eines deutschen Regierungsblattes würdig
wäre, sonst müßte man diesen Vorschlag in Güte für die feinste Iro¬
nie nehmen. Ja, wenn sich Nußland so weit herablassen wollte, seine
Humanität nach unserem Maßstabe beurtheilen zu lassen und auch in
Sachen der Moral sich zu den europäischen Staaten zu zählen, dann
— dann wäre es nicht, was es ist. Und wann würde es mit sei¬
nen Erklärungen fertig werden? Es müßte eben die letzten Bände
der Weltgeschichte umarbeiten lassen.

— Wie viel besser sind doch die deutschen Zeitungen daran als die
französischen und englischen. Wenn in London und Paris die Kam¬
mern geschlossen sind und die Saison für die buchstabenfressenden Eo-
lumnen eintritt, wie müssen sich die armen Zeitungsschreiber da mit
Erfindungen abplagen. Da muß die große Seeschlange auftauchen,
da hört man plötzlich aus jedem Dorfe von einem dort eristirenden
hundertzwanzigjährigen Greise, da regnet es dort und da plötzlich Ei¬
dechsen, Kälber mit zwei Köpfen werden geboren, die Felder platzen
vor lauter eingegrabenen römischen Medaillen; jeder Jäger, der einen
Schuß abfeuert, hat einen Adler geschossen, der einen Halsring trägt,
auf dem der Name Carls Xll. oder Peter des Großen eingegraben ist.
Es giebt in der französischen Journalistik Epochen, wo in jedem alten
Schranke, den ein todter Lumpensammler hinterläßt, 8VMl1 Franken
sich vorfinden, wo in jedem alten Lehnstuhl die Goldbarren hinter
den Roßhaaren schlafen. Arme schwindsüchtige Phatasien — wie
steht ihr mit euern zappelnden Erfindungen hinter dem Adlerschwunge
deutscher Journalistik zurück. Wenn wir in Nöthen sind, dem Lese-
publicum etwas aufzubinden, so haben wir eine unerschöpfliche Quelle:
Preußen giebt eine Eonstitution. Und welche unendliche Verschlin¬
gungen rieseln in unzählichen Bächlein aus dieser einzigen Quelle!
Die preußische Eonstitution wird zwei Kammern haben, eine Kam¬
mer, einen Keller, einen Boden, einen Holzgarten u. s. in. Und
dann die widersprechenden Nachrichten: die preußische Eonstitution ist
fertig, sie ist noch nicht fertig, sie ist schon beim Buchbinder, und
es fehlt noch eine Anmerkung, sie wird am 18. Oktober kommen, nein,
am 1. Januar, nein, am I. April u. f. w., bis endlich in Frank¬
reich und England wirklich irgend etwas geschieht und die Journale
die preußische Eonstitution wieder nicht mehr brauchen.




Dringende Bitte des Correctors.

DerCorrector bittet die geehrten Herren Korrespondenten der lLrenzboten,
die vorkommenden Namen, zu deren Entzifferung manchmal mehr Lo-
calkenntniß gehört, als er besitzt, in ihren Korrespondenzen recht deutlich
zu schreiben. ___


«erlag von Fr. Lndw. Hevbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0432] thos und Wohlwollen, der eines deutschen Regierungsblattes würdig wäre, sonst müßte man diesen Vorschlag in Güte für die feinste Iro¬ nie nehmen. Ja, wenn sich Nußland so weit herablassen wollte, seine Humanität nach unserem Maßstabe beurtheilen zu lassen und auch in Sachen der Moral sich zu den europäischen Staaten zu zählen, dann — dann wäre es nicht, was es ist. Und wann würde es mit sei¬ nen Erklärungen fertig werden? Es müßte eben die letzten Bände der Weltgeschichte umarbeiten lassen. — Wie viel besser sind doch die deutschen Zeitungen daran als die französischen und englischen. Wenn in London und Paris die Kam¬ mern geschlossen sind und die Saison für die buchstabenfressenden Eo- lumnen eintritt, wie müssen sich die armen Zeitungsschreiber da mit Erfindungen abplagen. Da muß die große Seeschlange auftauchen, da hört man plötzlich aus jedem Dorfe von einem dort eristirenden hundertzwanzigjährigen Greise, da regnet es dort und da plötzlich Ei¬ dechsen, Kälber mit zwei Köpfen werden geboren, die Felder platzen vor lauter eingegrabenen römischen Medaillen; jeder Jäger, der einen Schuß abfeuert, hat einen Adler geschossen, der einen Halsring trägt, auf dem der Name Carls Xll. oder Peter des Großen eingegraben ist. Es giebt in der französischen Journalistik Epochen, wo in jedem alten Schranke, den ein todter Lumpensammler hinterläßt, 8VMl1 Franken sich vorfinden, wo in jedem alten Lehnstuhl die Goldbarren hinter den Roßhaaren schlafen. Arme schwindsüchtige Phatasien — wie steht ihr mit euern zappelnden Erfindungen hinter dem Adlerschwunge deutscher Journalistik zurück. Wenn wir in Nöthen sind, dem Lese- publicum etwas aufzubinden, so haben wir eine unerschöpfliche Quelle: Preußen giebt eine Eonstitution. Und welche unendliche Verschlin¬ gungen rieseln in unzählichen Bächlein aus dieser einzigen Quelle! Die preußische Eonstitution wird zwei Kammern haben, eine Kam¬ mer, einen Keller, einen Boden, einen Holzgarten u. s. in. Und dann die widersprechenden Nachrichten: die preußische Eonstitution ist fertig, sie ist noch nicht fertig, sie ist schon beim Buchbinder, und es fehlt noch eine Anmerkung, sie wird am 18. Oktober kommen, nein, am 1. Januar, nein, am I. April u. f. w., bis endlich in Frank¬ reich und England wirklich irgend etwas geschieht und die Journale die preußische Eonstitution wieder nicht mehr brauchen. Dringende Bitte des Correctors. DerCorrector bittet die geehrten Herren Korrespondenten der lLrenzboten, die vorkommenden Namen, zu deren Entzifferung manchmal mehr Lo- calkenntniß gehört, als er besitzt, in ihren Korrespondenzen recht deutlich zu schreiben. ___ «erlag von Fr. Lndw. Hevbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/432>, abgerufen am 02.05.2024.