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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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wiß nicht recht, was er in Sachsen will, allein, wie gesagt, die De¬
vise auf seinem Schilde hat einen Nococoklang, der grade jetzt sehr
unangenehm auffällt.

-- Alles Bücherverbieten und Manuscriptccastrircn, alles Licht¬
verhängen und Lustabsperren geschieht überall sehr inconsequent, und
führt zu den größten Princip-, Zweck- und Sinnlosigkeiten, wie das
nothwendig die Unnatur des ganzen Verfahrens mit sich bringt; nir¬
gends aber ist die Geistespolizei ein so frech dummer Teufel wie in
Rußland. Eugen Sue's ewiger Jude, den man in Oesterreich und
Italien liest, weil er verboten ist, wird in Warschau ganz offen ver¬
kauft und ist sogar mit russischer Censurerlaubniß ins Polnische über¬
setzt. Der ^in c,>rrimt geht ja nur auf die Jesuiten und den katho¬
lischen Clerus, denkt sich der Russe uno wiehert vielleicht vor Scha¬
denfreude, zeigen zu können, daß der liberale Franzose denselben Cle-
rus angreift, den auch Rußland vernichten möchte, obwohl aus an¬
dern Gründen. So grob materiell, so rein persönlich sind die Be¬
griffe, von denen die russische Censur ausgeht. Als ob die Farben,
mit denen Sue das Treiben der Jesuiten malt, nicht großentheils
auf alles Pfassenthum paßten? und an Pfaffen wird es doch unter
den russischen Popen auch nicht fehlen. Als ob die moralischen Mo¬
tive, die den Sue'schen Kriegserklärungen gegen die Jesuiten zu Grunde
gelegt sind, als ob diese Ideen und Begriffe mit den russischen Ideen
von Menschenwürde, Freiheit und Recht so vertraglich wären!




Einigkeit nicht Einheit.
Nothgedrungen e Vertheidigung gegen Herrn Dr. Krause.

Herr Dr. Krause in Dresden hat den Titel meines Buches,
"Mittelmeer, Ost- und Nordsee" zu einem sehr geistreichen Aufsatz
in Ur. 4K. der Grenzboten benützt. Daß ich darin mehr getadelt
als gelobt werde, finde ich ganz in der Ordnung; wunderlich über¬
rascht aber hat es mich, daß ich von Herrn l)r. Krause plötzlich den
französelnden Politikern beigezählt werde, wahrend ich doch früher
eben von den Grenzboten als Franzosenfresser getadelt worden bin.
Wer auch nur eine einzige meiner Schriften wirklich gelesen hat,
wird diese meine Ueberraschung theilen. In allen meinen Büchern
und Aufsätzen spreche ich entschieden gegen die Nachäffung des Fran-
zosenlhums und für eine der deutschen Volkseigenthümlichkeit und
Geschichte entsprechende Entwickelung Deutschlands. Und nun tritt
Herr Dr. Krause auf und behauptet, ich faßte Nationalität im fran¬
zösischen Sinn auf, wollte für Deuschland Machteinheit und Centra¬
lisation nach französischem Muster; und dies behauptet der Herr Doc-
tor bei Besprechung eines Buches, in welchem ich unter andern,
wörtlich folgendes sage: "Es hat sich der deutschen öffentlichen Mei-
nung der Wahn bemächtigt, Deutschland könne nur nach französischem


wiß nicht recht, was er in Sachsen will, allein, wie gesagt, die De¬
vise auf seinem Schilde hat einen Nococoklang, der grade jetzt sehr
unangenehm auffällt.

— Alles Bücherverbieten und Manuscriptccastrircn, alles Licht¬
verhängen und Lustabsperren geschieht überall sehr inconsequent, und
führt zu den größten Princip-, Zweck- und Sinnlosigkeiten, wie das
nothwendig die Unnatur des ganzen Verfahrens mit sich bringt; nir¬
gends aber ist die Geistespolizei ein so frech dummer Teufel wie in
Rußland. Eugen Sue's ewiger Jude, den man in Oesterreich und
Italien liest, weil er verboten ist, wird in Warschau ganz offen ver¬
kauft und ist sogar mit russischer Censurerlaubniß ins Polnische über¬
setzt. Der ^in c,>rrimt geht ja nur auf die Jesuiten und den katho¬
lischen Clerus, denkt sich der Russe uno wiehert vielleicht vor Scha¬
denfreude, zeigen zu können, daß der liberale Franzose denselben Cle-
rus angreift, den auch Rußland vernichten möchte, obwohl aus an¬
dern Gründen. So grob materiell, so rein persönlich sind die Be¬
griffe, von denen die russische Censur ausgeht. Als ob die Farben,
mit denen Sue das Treiben der Jesuiten malt, nicht großentheils
auf alles Pfassenthum paßten? und an Pfaffen wird es doch unter
den russischen Popen auch nicht fehlen. Als ob die moralischen Mo¬
tive, die den Sue'schen Kriegserklärungen gegen die Jesuiten zu Grunde
gelegt sind, als ob diese Ideen und Begriffe mit den russischen Ideen
von Menschenwürde, Freiheit und Recht so vertraglich wären!




Einigkeit nicht Einheit.
Nothgedrungen e Vertheidigung gegen Herrn Dr. Krause.

Herr Dr. Krause in Dresden hat den Titel meines Buches,
„Mittelmeer, Ost- und Nordsee" zu einem sehr geistreichen Aufsatz
in Ur. 4K. der Grenzboten benützt. Daß ich darin mehr getadelt
als gelobt werde, finde ich ganz in der Ordnung; wunderlich über¬
rascht aber hat es mich, daß ich von Herrn l)r. Krause plötzlich den
französelnden Politikern beigezählt werde, wahrend ich doch früher
eben von den Grenzboten als Franzosenfresser getadelt worden bin.
Wer auch nur eine einzige meiner Schriften wirklich gelesen hat,
wird diese meine Ueberraschung theilen. In allen meinen Büchern
und Aufsätzen spreche ich entschieden gegen die Nachäffung des Fran-
zosenlhums und für eine der deutschen Volkseigenthümlichkeit und
Geschichte entsprechende Entwickelung Deutschlands. Und nun tritt
Herr Dr. Krause auf und behauptet, ich faßte Nationalität im fran¬
zösischen Sinn auf, wollte für Deuschland Machteinheit und Centra¬
lisation nach französischem Muster; und dies behauptet der Herr Doc-
tor bei Besprechung eines Buches, in welchem ich unter andern,
wörtlich folgendes sage: „Es hat sich der deutschen öffentlichen Mei-
nung der Wahn bemächtigt, Deutschland könne nur nach französischem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/527>, abgerufen am 02.05.2024.