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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Johann Peter .Hebel.*)



Hebel wird mit Recht zu den Classtkern Deutschlands gerechnet,
und doch sind seine berühmtesten Werke um einige Dutzend Lieder;
kleine Lieder von sehr bescheidenem Inhalte, noch dazu in der alle¬
manischen Mundart geschrieben, die mancher Deutsche eben so we¬
nig auf den ersten Blick versteht, wie er ein vlämisches Gedicht ohne
Anstoß vom Blatte übersetzen würde. Denn auch das Flamändische
ist nur eine deutsche Mundart und unterscheidet sich bloß dadurch
von den übrigen Dialekten, daß es zugleich eine besondere Schrift-



5) Wir haben vor einiger Zeit von der in Brüssel erscheinenden Zeitschrift
"Broederhand" gesprochen, und von der "flamändischen Verbrüderung", die sich
üm jene Zeitschrift vereinigt hat. Es ist in der That die am weitesten vor¬
gerückte Fraction der germanischen Bewegung in Belgien. Sie steuert offen
nach Deutschland und spricht es unverholen aus, daß nur eine allmählige
Durchdringung mit deutschen Culturelcmenten das belgische Volk von der völ¬
ligen Französirung retten könne. Der einzige, aber große Fehler dieser Par¬
tei besteht leider darin, daß sie in der Minorität ist und keine wesentliche
Unterstützung von Deutschland erhalt; man müßte denn die lyrischen Gedichte,
die dann und wann von Dukter, Louise von Plönies u. A. der "Broederhand"
als Beiträge zugesendet werden, für mächtige Hilfstruppen und Subsidien
halten. Wir glauben, daß Frankreich in ähnlichen Falle seiner Propaganda
ganz anders zu Hilft kommen würde. Die "flamändische Verbrüderung" ist
bedeutsam genug, um in Belgien Aufmerksamkeit zu erregen, aber nicht stark
genug, um den andern Parteien, die sogleich in ächt deutscher Zanksucht gegen
sie aufgetreten sind, die Spitze zu bieten. Sie stützt sich auf die Einsicht und
den Enthusiasmus eines kleinen Häufleins gebildeter Advocaten und Künstler
in Brüssel, Antwerpen und, wie man sagt, in Lüttich; die Genter hingegen
mit dem gelehrten Willens an der Spitze, wollen Flamänder und nichts als
Flamänder bleiben und haben auch einen weit überwiegenden Rückhalt an
dem katholischen Clerus, der die protestantische Literatur Deutschlands fürch¬
tet. Die Genter haben zuerst im Namen der heiligen Orthographie den
Bannstrahl auf die Bruderhand (deren Orthographie sich mehr der deutschen
nähert) geschleudert und sind jetzt empört darüber, daß man Schiller und
Grcnjbvtcn, I"4S. IV. 67
Johann Peter .Hebel.*)



Hebel wird mit Recht zu den Classtkern Deutschlands gerechnet,
und doch sind seine berühmtesten Werke um einige Dutzend Lieder;
kleine Lieder von sehr bescheidenem Inhalte, noch dazu in der alle¬
manischen Mundart geschrieben, die mancher Deutsche eben so we¬
nig auf den ersten Blick versteht, wie er ein vlämisches Gedicht ohne
Anstoß vom Blatte übersetzen würde. Denn auch das Flamändische
ist nur eine deutsche Mundart und unterscheidet sich bloß dadurch
von den übrigen Dialekten, daß es zugleich eine besondere Schrift-



5) Wir haben vor einiger Zeit von der in Brüssel erscheinenden Zeitschrift
„Broederhand" gesprochen, und von der „flamändischen Verbrüderung", die sich
üm jene Zeitschrift vereinigt hat. Es ist in der That die am weitesten vor¬
gerückte Fraction der germanischen Bewegung in Belgien. Sie steuert offen
nach Deutschland und spricht es unverholen aus, daß nur eine allmählige
Durchdringung mit deutschen Culturelcmenten das belgische Volk von der völ¬
ligen Französirung retten könne. Der einzige, aber große Fehler dieser Par¬
tei besteht leider darin, daß sie in der Minorität ist und keine wesentliche
Unterstützung von Deutschland erhalt; man müßte denn die lyrischen Gedichte,
die dann und wann von Dukter, Louise von Plönies u. A. der „Broederhand"
als Beiträge zugesendet werden, für mächtige Hilfstruppen und Subsidien
halten. Wir glauben, daß Frankreich in ähnlichen Falle seiner Propaganda
ganz anders zu Hilft kommen würde. Die „flamändische Verbrüderung" ist
bedeutsam genug, um in Belgien Aufmerksamkeit zu erregen, aber nicht stark
genug, um den andern Parteien, die sogleich in ächt deutscher Zanksucht gegen
sie aufgetreten sind, die Spitze zu bieten. Sie stützt sich auf die Einsicht und
den Enthusiasmus eines kleinen Häufleins gebildeter Advocaten und Künstler
in Brüssel, Antwerpen und, wie man sagt, in Lüttich; die Genter hingegen
mit dem gelehrten Willens an der Spitze, wollen Flamänder und nichts als
Flamänder bleiben und haben auch einen weit überwiegenden Rückhalt an
dem katholischen Clerus, der die protestantische Literatur Deutschlands fürch¬
tet. Die Genter haben zuerst im Namen der heiligen Orthographie den
Bannstrahl auf die Bruderhand (deren Orthographie sich mehr der deutschen
nähert) geschleudert und sind jetzt empört darüber, daß man Schiller und
Grcnjbvtcn, I»4S. IV. 67
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[0529] Johann Peter .Hebel.*) Hebel wird mit Recht zu den Classtkern Deutschlands gerechnet, und doch sind seine berühmtesten Werke um einige Dutzend Lieder; kleine Lieder von sehr bescheidenem Inhalte, noch dazu in der alle¬ manischen Mundart geschrieben, die mancher Deutsche eben so we¬ nig auf den ersten Blick versteht, wie er ein vlämisches Gedicht ohne Anstoß vom Blatte übersetzen würde. Denn auch das Flamändische ist nur eine deutsche Mundart und unterscheidet sich bloß dadurch von den übrigen Dialekten, daß es zugleich eine besondere Schrift- 5) Wir haben vor einiger Zeit von der in Brüssel erscheinenden Zeitschrift „Broederhand" gesprochen, und von der „flamändischen Verbrüderung", die sich üm jene Zeitschrift vereinigt hat. Es ist in der That die am weitesten vor¬ gerückte Fraction der germanischen Bewegung in Belgien. Sie steuert offen nach Deutschland und spricht es unverholen aus, daß nur eine allmählige Durchdringung mit deutschen Culturelcmenten das belgische Volk von der völ¬ ligen Französirung retten könne. Der einzige, aber große Fehler dieser Par¬ tei besteht leider darin, daß sie in der Minorität ist und keine wesentliche Unterstützung von Deutschland erhalt; man müßte denn die lyrischen Gedichte, die dann und wann von Dukter, Louise von Plönies u. A. der „Broederhand" als Beiträge zugesendet werden, für mächtige Hilfstruppen und Subsidien halten. Wir glauben, daß Frankreich in ähnlichen Falle seiner Propaganda ganz anders zu Hilft kommen würde. Die „flamändische Verbrüderung" ist bedeutsam genug, um in Belgien Aufmerksamkeit zu erregen, aber nicht stark genug, um den andern Parteien, die sogleich in ächt deutscher Zanksucht gegen sie aufgetreten sind, die Spitze zu bieten. Sie stützt sich auf die Einsicht und den Enthusiasmus eines kleinen Häufleins gebildeter Advocaten und Künstler in Brüssel, Antwerpen und, wie man sagt, in Lüttich; die Genter hingegen mit dem gelehrten Willens an der Spitze, wollen Flamänder und nichts als Flamänder bleiben und haben auch einen weit überwiegenden Rückhalt an dem katholischen Clerus, der die protestantische Literatur Deutschlands fürch¬ tet. Die Genter haben zuerst im Namen der heiligen Orthographie den Bannstrahl auf die Bruderhand (deren Orthographie sich mehr der deutschen nähert) geschleudert und sind jetzt empört darüber, daß man Schiller und Grcnjbvtcn, I»4S. IV. 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/529>, abgerufen am 02.05.2024.