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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Hamburg und nach Magdeburg, wie auch viele Seeschiffe mit und
ohne Leinwandausrüstung, gehen bis heute noch ihren gewohnten
Gang. Sie dürfen jedoch nicht glauben, daß es der Kaufmann als
vortheilhaft für "das Geschäft" -- das wichugste aller Hamburgischen
Hauptworte -- betrachte, wenn die Schifffahrt, was mitunter geschieht,
einen ganzen Winter hindurch ununterbrochen bleibt. Nein, es ge¬
hört zur Regelmäßigkeit und deßhalb zum Floc des "Geschäftes," daß
vom December bis März der Import auf dem Wasserwege aufhöre
und dafür das Lager geräumt oder doch stark gelichtet werde. Das
Frühjahr bringt dann nicht nur jenes interessante Schauspiel des Auf-
kommens der Hunderte von Schissen, die in Kuxhafen freies Fahrwasser
abwarteten, sondern es kehrt überhaupt Leben, Bewegung und ein ge¬
sunder, rascher Pulsschlag des Handels, wie auch ein frischeres Regen
und Treiben aller mit ihm in irgend einer Verbindunn stehenden
Elemente zurück. -- So viele Schisse wie am 31. Decbr. v. I. im
Hamburger Hafen vor Anker lagen, hat derselbe bei Jahresschluß
lange nicht gesehen. Ihre Zahl betrug 191, und es waren darunter
außer den deutschen Fahrzeuge englischer, dänischer, chilischer, schwedi¬
scher, spanischer und russischer Flngg". Auffallend genug befindet sich
unter diesen Spätlingen kein einziger Franzose. Sind die Herren
Gallier so furchtsam oder so bequem geworden, daß sie sich zum Jah¬
resschluß nicht mehr den Wellen anvertrauen?


VIII.
Riemer.
(Aus einem Privalbriefe vom Juli 1845.)

Eine interessante Bekanntschaft machte ich noch gestern an dem
Geheimen-Hofrath Riemer, einem "Veteran aus der Kaiser-
zeit", der vom Alten von Weimar die interessantesten und charakte¬
ristischsten Geschichtchen zu erzählen weiß. Der vortreffliche, gegen
Fremde so liebenswürdige Kanzler Müller führte mich zu ihm auf
die Bibliothek, denn er ist Bibliothekar, und die vielen werthvollen
Sammlungen, Manuscripte, berühmten Autographen, Portraits und
Reliquien aus der großen Zeit stehen unter seiner Obhut. Riemer
nahm mich freundlich auf und machte das unangenehme Vorurtheil,
das ich in Folge seines Buches über Göthe mitbrachte, durch seine
Freundlichkeit und angenehme Unterhaltung schnell verschwinden. --
Die Sonette und Terzinen, die ich geschrieben, gaben ihm sogleich
einen Anknüpfungspunkt, denn er liebt diese fremde Versform, und
sprach sich lang und weit über ihre Vorzüge aus. Ich fand zwar
bald, daß hier mehr ein Philolog denn ein Poet sprach, da er sich
immer mehr an das Aeußere und an die Construction hielt, ohne auf
den inneren Geist dieser Formen einzugehen, doch erfuhr ich manches


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Hamburg und nach Magdeburg, wie auch viele Seeschiffe mit und
ohne Leinwandausrüstung, gehen bis heute noch ihren gewohnten
Gang. Sie dürfen jedoch nicht glauben, daß es der Kaufmann als
vortheilhaft für „das Geschäft" — das wichugste aller Hamburgischen
Hauptworte — betrachte, wenn die Schifffahrt, was mitunter geschieht,
einen ganzen Winter hindurch ununterbrochen bleibt. Nein, es ge¬
hört zur Regelmäßigkeit und deßhalb zum Floc des „Geschäftes," daß
vom December bis März der Import auf dem Wasserwege aufhöre
und dafür das Lager geräumt oder doch stark gelichtet werde. Das
Frühjahr bringt dann nicht nur jenes interessante Schauspiel des Auf-
kommens der Hunderte von Schissen, die in Kuxhafen freies Fahrwasser
abwarteten, sondern es kehrt überhaupt Leben, Bewegung und ein ge¬
sunder, rascher Pulsschlag des Handels, wie auch ein frischeres Regen
und Treiben aller mit ihm in irgend einer Verbindunn stehenden
Elemente zurück. — So viele Schisse wie am 31. Decbr. v. I. im
Hamburger Hafen vor Anker lagen, hat derselbe bei Jahresschluß
lange nicht gesehen. Ihre Zahl betrug 191, und es waren darunter
außer den deutschen Fahrzeuge englischer, dänischer, chilischer, schwedi¬
scher, spanischer und russischer Flngg«. Auffallend genug befindet sich
unter diesen Spätlingen kein einziger Franzose. Sind die Herren
Gallier so furchtsam oder so bequem geworden, daß sie sich zum Jah¬
resschluß nicht mehr den Wellen anvertrauen?


VIII.
Riemer.
(Aus einem Privalbriefe vom Juli 1845.)

Eine interessante Bekanntschaft machte ich noch gestern an dem
Geheimen-Hofrath Riemer, einem „Veteran aus der Kaiser-
zeit", der vom Alten von Weimar die interessantesten und charakte¬
ristischsten Geschichtchen zu erzählen weiß. Der vortreffliche, gegen
Fremde so liebenswürdige Kanzler Müller führte mich zu ihm auf
die Bibliothek, denn er ist Bibliothekar, und die vielen werthvollen
Sammlungen, Manuscripte, berühmten Autographen, Portraits und
Reliquien aus der großen Zeit stehen unter seiner Obhut. Riemer
nahm mich freundlich auf und machte das unangenehme Vorurtheil,
das ich in Folge seines Buches über Göthe mitbrachte, durch seine
Freundlichkeit und angenehme Unterhaltung schnell verschwinden. —
Die Sonette und Terzinen, die ich geschrieben, gaben ihm sogleich
einen Anknüpfungspunkt, denn er liebt diese fremde Versform, und
sprach sich lang und weit über ihre Vorzüge aus. Ich fand zwar
bald, daß hier mehr ein Philolog denn ein Poet sprach, da er sich
immer mehr an das Aeußere und an die Construction hielt, ohne auf
den inneren Geist dieser Formen einzugehen, doch erfuhr ich manches


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[0147] Hamburg und nach Magdeburg, wie auch viele Seeschiffe mit und ohne Leinwandausrüstung, gehen bis heute noch ihren gewohnten Gang. Sie dürfen jedoch nicht glauben, daß es der Kaufmann als vortheilhaft für „das Geschäft" — das wichugste aller Hamburgischen Hauptworte — betrachte, wenn die Schifffahrt, was mitunter geschieht, einen ganzen Winter hindurch ununterbrochen bleibt. Nein, es ge¬ hört zur Regelmäßigkeit und deßhalb zum Floc des „Geschäftes," daß vom December bis März der Import auf dem Wasserwege aufhöre und dafür das Lager geräumt oder doch stark gelichtet werde. Das Frühjahr bringt dann nicht nur jenes interessante Schauspiel des Auf- kommens der Hunderte von Schissen, die in Kuxhafen freies Fahrwasser abwarteten, sondern es kehrt überhaupt Leben, Bewegung und ein ge¬ sunder, rascher Pulsschlag des Handels, wie auch ein frischeres Regen und Treiben aller mit ihm in irgend einer Verbindunn stehenden Elemente zurück. — So viele Schisse wie am 31. Decbr. v. I. im Hamburger Hafen vor Anker lagen, hat derselbe bei Jahresschluß lange nicht gesehen. Ihre Zahl betrug 191, und es waren darunter außer den deutschen Fahrzeuge englischer, dänischer, chilischer, schwedi¬ scher, spanischer und russischer Flngg«. Auffallend genug befindet sich unter diesen Spätlingen kein einziger Franzose. Sind die Herren Gallier so furchtsam oder so bequem geworden, daß sie sich zum Jah¬ resschluß nicht mehr den Wellen anvertrauen? VIII. Riemer. (Aus einem Privalbriefe vom Juli 1845.) Eine interessante Bekanntschaft machte ich noch gestern an dem Geheimen-Hofrath Riemer, einem „Veteran aus der Kaiser- zeit", der vom Alten von Weimar die interessantesten und charakte¬ ristischsten Geschichtchen zu erzählen weiß. Der vortreffliche, gegen Fremde so liebenswürdige Kanzler Müller führte mich zu ihm auf die Bibliothek, denn er ist Bibliothekar, und die vielen werthvollen Sammlungen, Manuscripte, berühmten Autographen, Portraits und Reliquien aus der großen Zeit stehen unter seiner Obhut. Riemer nahm mich freundlich auf und machte das unangenehme Vorurtheil, das ich in Folge seines Buches über Göthe mitbrachte, durch seine Freundlichkeit und angenehme Unterhaltung schnell verschwinden. — Die Sonette und Terzinen, die ich geschrieben, gaben ihm sogleich einen Anknüpfungspunkt, denn er liebt diese fremde Versform, und sprach sich lang und weit über ihre Vorzüge aus. Ich fand zwar bald, daß hier mehr ein Philolog denn ein Poet sprach, da er sich immer mehr an das Aeußere und an die Construction hielt, ohne auf den inneren Geist dieser Formen einzugehen, doch erfuhr ich manches 18*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/147>, abgerufen am 28.04.2024.