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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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man, wo ihr bei der großen Beliebtheit dieses trefflichen Sängers in
der englischen Hauptstadt, ohne Zweifel ein günstigeres Schicksal be¬
vorstehen dürfte, als die deutsche Oper bisher in der Weltstadt an der
Themse getroffen hat.


IV.
Aus Laibe" es.

Die Eisenbahn und das Philistertum. -- Das Erdbeben. -- Maschincnbüu-
anstalt. -- Zeitungsmetamorphose.

Unsere ziemlich obscure Stadt, welche kaum halb so bekannt
wäre, als sie trotz dem noch immer ist, wenn sie die liebe Schulju¬
gend nicht als die Hauptstadt des Herzogthums Krain kennen lernte,
wird nun bald in die Kreise des modernen Lebens hineingezogen wer¬
den und in den deutschen Blattern in hundert verschiedenen Reisebil-
dern als willkommene Staffage figuriren müssen. Der Bau der gro¬
ßen südlichen Staatseisenbahn hat das stille Eiland unseres hiesigen
Treibens allgemach wie eine colossale Kreuzspinne in ihr ehernes Netz
eingesponnen, und in Jahresfrist wird das arme Philisterthum wie
eine gefangene Fliege in den Faden des ihm feindlichen Weltlebens gar
kläglich zappeln. Darum mag die kleinbürgerliche Selbstelei, ihre baum¬
wollene Schlafmütze noch so trotzig und absichtsvoll über die Ohren ziehen,
ihre Stunde hatgleichwohl geschlagen, und der erste Pfiff der Locomotive wird
für sie die Posaune des Weltgerichts sein. Diese Betrachtung laßt mich das
Gebahren des ehrlichen Philisteriums mit einem eigenthümlichen Gefühl
von wehmüthiger Toleranz ansehen, eben weil ich weiß, daß seine
Stunden gezahlt sind und es sein Thonpfeifchen auf einem Vulcane
raucht, der es in Bälde verschlingen wird. Die Nähe eines gewis¬
sen Untergangs verleiht dem steifleinenen Spießbürgerthume plötzlich
einen Anstrich von Poesie, und die heroische Ruhe, mit welcher das
alte Element seine Auflösung erwartet, hat etwas Großartiges, das
selbst seine Feinde auf einen Augenblick versöhnen könnte. Alles Ver¬
gängliche und im Verganglichkeitsprozeß Begriffene hat einmal einen
dichterischen Reiz,' während das Feste und Kräftige, dem keine Zukunft
droht, oft prosaischer scheint, als es in der That sein mag. Ich freue
mich schon auf den Augenblick, wo man mir das Licht im Kaffee¬
hause nicht vor der Nase auslöschen wird, sobald ich einen Moment
von dem Aeitungsblatte weg und einem eintretenden Freunde ent¬
gegensehe, ich freue mich bereits recht herzlich auf den Augenblick, wo
der lächerliche Kastendünkel und die vornehme Ignoranz verschwin¬
den und einem ungezwungenen Ton, einem geistig belebten Geprächs-
verkehre Platz machen wird. Wer Laibach in seiner gegenwärtigen
Verfassung kennt, der kann schwerlich an die Möglichkeit der ersehnten
socialen Verwandlung glauben, allein wie er auch über meine utopischen


man, wo ihr bei der großen Beliebtheit dieses trefflichen Sängers in
der englischen Hauptstadt, ohne Zweifel ein günstigeres Schicksal be¬
vorstehen dürfte, als die deutsche Oper bisher in der Weltstadt an der
Themse getroffen hat.


IV.
Aus Laibe» es.

Die Eisenbahn und das Philistertum. — Das Erdbeben. — Maschincnbüu-
anstalt. — Zeitungsmetamorphose.

Unsere ziemlich obscure Stadt, welche kaum halb so bekannt
wäre, als sie trotz dem noch immer ist, wenn sie die liebe Schulju¬
gend nicht als die Hauptstadt des Herzogthums Krain kennen lernte,
wird nun bald in die Kreise des modernen Lebens hineingezogen wer¬
den und in den deutschen Blattern in hundert verschiedenen Reisebil-
dern als willkommene Staffage figuriren müssen. Der Bau der gro¬
ßen südlichen Staatseisenbahn hat das stille Eiland unseres hiesigen
Treibens allgemach wie eine colossale Kreuzspinne in ihr ehernes Netz
eingesponnen, und in Jahresfrist wird das arme Philisterthum wie
eine gefangene Fliege in den Faden des ihm feindlichen Weltlebens gar
kläglich zappeln. Darum mag die kleinbürgerliche Selbstelei, ihre baum¬
wollene Schlafmütze noch so trotzig und absichtsvoll über die Ohren ziehen,
ihre Stunde hatgleichwohl geschlagen, und der erste Pfiff der Locomotive wird
für sie die Posaune des Weltgerichts sein. Diese Betrachtung laßt mich das
Gebahren des ehrlichen Philisteriums mit einem eigenthümlichen Gefühl
von wehmüthiger Toleranz ansehen, eben weil ich weiß, daß seine
Stunden gezahlt sind und es sein Thonpfeifchen auf einem Vulcane
raucht, der es in Bälde verschlingen wird. Die Nähe eines gewis¬
sen Untergangs verleiht dem steifleinenen Spießbürgerthume plötzlich
einen Anstrich von Poesie, und die heroische Ruhe, mit welcher das
alte Element seine Auflösung erwartet, hat etwas Großartiges, das
selbst seine Feinde auf einen Augenblick versöhnen könnte. Alles Ver¬
gängliche und im Verganglichkeitsprozeß Begriffene hat einmal einen
dichterischen Reiz,' während das Feste und Kräftige, dem keine Zukunft
droht, oft prosaischer scheint, als es in der That sein mag. Ich freue
mich schon auf den Augenblick, wo man mir das Licht im Kaffee¬
hause nicht vor der Nase auslöschen wird, sobald ich einen Moment
von dem Aeitungsblatte weg und einem eintretenden Freunde ent¬
gegensehe, ich freue mich bereits recht herzlich auf den Augenblick, wo
der lächerliche Kastendünkel und die vornehme Ignoranz verschwin¬
den und einem ungezwungenen Ton, einem geistig belebten Geprächs-
verkehre Platz machen wird. Wer Laibach in seiner gegenwärtigen
Verfassung kennt, der kann schwerlich an die Möglichkeit der ersehnten
socialen Verwandlung glauben, allein wie er auch über meine utopischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/198>, abgerufen am 29.04.2024.