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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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trachten, während man bei uns schon Viel gethan zu haben glaubt,
wenn man der Sache ihren freien Lauf laßt und sie nicht gleich von
vornherein verbietet. Zuerst hieß es, man müsse erst abwarten, wel¬
chen Fortgang der genannte Verein nehme und ob er überhaupt zu
einer gesicherten Existenz gelangen werde; nachdem dies geschehen und
der Verein in wenig Monden fest begründet dastand, hieß es wieder,
man müsse vorerst die Vereinsthätigkeit abwarten, ehe an die An¬
nahme des Patronats von Seite eines Mitgliedes des Kaiserhauses
zu denken sei und als endlich auch diese ziffermäßig belegt und amt¬
lich bekräftigt vorlagen, geschah -- wiederum Nichts. Indeß, allen
übrigen hiesigen Wohlthätigkeitsanstalten, jedes Spital, jede Kinder¬
schule und Bewahrungsanstalt einen Prinzen oder eine Prinzessin an
der Spitze hat, wurde just dieser edelsten Bestrebung des modernen
Reformgcistes die Auszeichnung verweigert, die, man sage, was man
wolle, dem glücklichen Gedeihen des Instituts in jedor Beziehung zu
wünschen gewesen wäre. Nach langem Herumirren hat sich endlich
der Erzbischof, Herr von Milde, bereit finden lassen, das Patronat
des Vereins zu übernehmen, dem eine allzu grelle Einmischung kleri-
nkaler und religiöser Elemente nicht eben sehr förderlich sein möchte,
da es bei den meisten Verbrechern, die noch einer Besserung fähig
sind, sich weniger um Irreligiosität, als um Erwerbsmonopöl han¬
delt. Der frömmste Mensch wird endlich stehlen und rauben, wenn
die Noth ihn zwingt, während der Gottloseste sich keines Verbrechens
schuldig macht, bloß weil das Schicksal ihm ein reichliches Auskom¬
men bescheert hat.


II.
A " s P r a g.

Literarischeö. - Der Proceß der Wallensteinschen Familie. -- Eine
censiren Flugschrift.

So sehr jetzt im ganzen Böhmerlande ein reges Leben auf dem
Felde der materiellen Interessen herrscht, kann man doch nicht sagen,
daß das geistige Leben davon erdrückt werde, wenn auch mancherlei
bekannte Hindernisse ein frischeres Entfalten desselben nicht eben sehr
begünstigen. Mit Theilnahme hat man hier den in Jordans slawi¬
schen Jahrbüchern gestellten Plan von der Organisation eines regel¬
mäßigen slavischen Buchhandels vernommen, der bei arger Zersplitte¬
rung, an welcher die literarische Bewegung im Slaventhum derzeit
leidet, eine Concentrirung gerade höchst wünschenswerth erscheinen
ließe. Ein schmerzliches Interesse muß die in Leipzig erschienene Schrift:
"Ein Tag aus der böhmischen Geschichte" bei jedem Freunde seines


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trachten, während man bei uns schon Viel gethan zu haben glaubt,
wenn man der Sache ihren freien Lauf laßt und sie nicht gleich von
vornherein verbietet. Zuerst hieß es, man müsse erst abwarten, wel¬
chen Fortgang der genannte Verein nehme und ob er überhaupt zu
einer gesicherten Existenz gelangen werde; nachdem dies geschehen und
der Verein in wenig Monden fest begründet dastand, hieß es wieder,
man müsse vorerst die Vereinsthätigkeit abwarten, ehe an die An¬
nahme des Patronats von Seite eines Mitgliedes des Kaiserhauses
zu denken sei und als endlich auch diese ziffermäßig belegt und amt¬
lich bekräftigt vorlagen, geschah — wiederum Nichts. Indeß, allen
übrigen hiesigen Wohlthätigkeitsanstalten, jedes Spital, jede Kinder¬
schule und Bewahrungsanstalt einen Prinzen oder eine Prinzessin an
der Spitze hat, wurde just dieser edelsten Bestrebung des modernen
Reformgcistes die Auszeichnung verweigert, die, man sage, was man
wolle, dem glücklichen Gedeihen des Instituts in jedor Beziehung zu
wünschen gewesen wäre. Nach langem Herumirren hat sich endlich
der Erzbischof, Herr von Milde, bereit finden lassen, das Patronat
des Vereins zu übernehmen, dem eine allzu grelle Einmischung kleri-
nkaler und religiöser Elemente nicht eben sehr förderlich sein möchte,
da es bei den meisten Verbrechern, die noch einer Besserung fähig
sind, sich weniger um Irreligiosität, als um Erwerbsmonopöl han¬
delt. Der frömmste Mensch wird endlich stehlen und rauben, wenn
die Noth ihn zwingt, während der Gottloseste sich keines Verbrechens
schuldig macht, bloß weil das Schicksal ihm ein reichliches Auskom¬
men bescheert hat.


II.
A « s P r a g.

Literarischeö. - Der Proceß der Wallensteinschen Familie. — Eine
censiren Flugschrift.

So sehr jetzt im ganzen Böhmerlande ein reges Leben auf dem
Felde der materiellen Interessen herrscht, kann man doch nicht sagen,
daß das geistige Leben davon erdrückt werde, wenn auch mancherlei
bekannte Hindernisse ein frischeres Entfalten desselben nicht eben sehr
begünstigen. Mit Theilnahme hat man hier den in Jordans slawi¬
schen Jahrbüchern gestellten Plan von der Organisation eines regel¬
mäßigen slavischen Buchhandels vernommen, der bei arger Zersplitte¬
rung, an welcher die literarische Bewegung im Slaventhum derzeit
leidet, eine Concentrirung gerade höchst wünschenswerth erscheinen
ließe. Ein schmerzliches Interesse muß die in Leipzig erschienene Schrift:
„Ein Tag aus der böhmischen Geschichte" bei jedem Freunde seines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/331>, abgerufen am 29.04.2024.