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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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waren, durch die Menschenmenge dringen, und kaum vermochte
der Prediger des Tages auf der von Damen besetzten Treppe zur
Kanzel zu gelangen. Der Gottesdienst selbst wurde indeß mit nur
geringer Störung abgehalten. Die Kirche (wir reden von der Haupt¬
kirche zu Se. Katharinen) war mit Gas und Wachskerzen strahlend
erleuchtet, und der Cäcilienverein diente als Sängerchor.


VI.
Notizen.

Dreimal heilige Glaubenspolitik. -- Seelen und Diamanten. -- Moritz
Hartmann. --

-- Durch französische und deutsche Blatter läuft nun die Ge¬
schichte von dem Martyrthum der katholischen Basilianernonncn in
Rußland ausführlich und umständlich erzählt nach dem Protokoll,
welches mit der glücklich entflohenen Oberin Mincvslawa in Nom
ausgenommen wurde. Die blutigen Details dieser Versolgungsge-
schichte werden die Phantasie manches Mysteriendichters bereichern.
Aber wichtiger, als alle diese Schreckensbilder, die wir nicht nachma¬
len wollen, erschiene die Angabe, daß der russische Erzbischof Sie-
miasko gleich beim Beginn seines Bekehrungswerkcs den unglücklichen
Klosterfrauen einen Mas vorzeigte, worin Kaiser Nikolaus dem Bekeh¬
rer cal'es ti!er<:lie gab. Die, Worte lauten angeblich, daß der Czar im
Voraus Alles gut heiße und "heilig, heilig, heilig spreche, was der Erz-
Erz- Erzbischof Siemiasko zur Verbreitung des orthodoxen Glaubens
thun werde;" ja zugleich werden die Militaircommandanten ange¬
wiesen, dem Siemiasko jederzeit so viel Soldaten, als derselbe bei
seinen frommen Bekehrungen brauchen würde, zur Verfügung zu stellen.
-- Demnach wüßte man, wie man dran ist und was von den ver¬
söhnenden Correspondenzen zu halten sei, die da erzählten, mit welcher
Entrüstung der Kaiser in Italien (!) von den "Mißbräuchen" gehört,
die in Rußland (!) vorzukommen pflegten, und wovon die russische
Geheimpolizei den allmächtigen und allwissenden Selbstherrscher wahr¬
scheinlich nicht unterrichtet habe, und wie Nikolaus versprochen, alles
Geschehene genau und streng untersuchen zu lassen, u. s. w. -- Wir
glauben, der Czar hat starke Nerven und wird sich über die klägliche
Geschichte von den Leiden der Vastlianerinnen nicht so entsetzt haben,
wie unsere deutschen Leser und Leserinnen; wohl aber möchte er ent¬
rüstet sein, daß man seinen erhabenen Sinn mit so widerlichen und
blutschmutzigen Einzelnheiten behelligen wollte; empört mag ihn haben
der kleinliche Maßstab, den man außerhalb Rußlands an die Mensch¬
lichkeit der Majestäten legt und der philiströse Geist mit welchem man
den Augen und Ohren gesalbter Häupter die Bekanntschaft mit den
unvermeidlichen Miseren der gemeinen Menschheit aufzudringen wagte.


waren, durch die Menschenmenge dringen, und kaum vermochte
der Prediger des Tages auf der von Damen besetzten Treppe zur
Kanzel zu gelangen. Der Gottesdienst selbst wurde indeß mit nur
geringer Störung abgehalten. Die Kirche (wir reden von der Haupt¬
kirche zu Se. Katharinen) war mit Gas und Wachskerzen strahlend
erleuchtet, und der Cäcilienverein diente als Sängerchor.


VI.
Notizen.

Dreimal heilige Glaubenspolitik. — Seelen und Diamanten. — Moritz
Hartmann. —

— Durch französische und deutsche Blatter läuft nun die Ge¬
schichte von dem Martyrthum der katholischen Basilianernonncn in
Rußland ausführlich und umständlich erzählt nach dem Protokoll,
welches mit der glücklich entflohenen Oberin Mincvslawa in Nom
ausgenommen wurde. Die blutigen Details dieser Versolgungsge-
schichte werden die Phantasie manches Mysteriendichters bereichern.
Aber wichtiger, als alle diese Schreckensbilder, die wir nicht nachma¬
len wollen, erschiene die Angabe, daß der russische Erzbischof Sie-
miasko gleich beim Beginn seines Bekehrungswerkcs den unglücklichen
Klosterfrauen einen Mas vorzeigte, worin Kaiser Nikolaus dem Bekeh¬
rer cal'es ti!er<:lie gab. Die, Worte lauten angeblich, daß der Czar im
Voraus Alles gut heiße und „heilig, heilig, heilig spreche, was der Erz-
Erz- Erzbischof Siemiasko zur Verbreitung des orthodoxen Glaubens
thun werde;" ja zugleich werden die Militaircommandanten ange¬
wiesen, dem Siemiasko jederzeit so viel Soldaten, als derselbe bei
seinen frommen Bekehrungen brauchen würde, zur Verfügung zu stellen.
— Demnach wüßte man, wie man dran ist und was von den ver¬
söhnenden Correspondenzen zu halten sei, die da erzählten, mit welcher
Entrüstung der Kaiser in Italien (!) von den „Mißbräuchen" gehört,
die in Rußland (!) vorzukommen pflegten, und wovon die russische
Geheimpolizei den allmächtigen und allwissenden Selbstherrscher wahr¬
scheinlich nicht unterrichtet habe, und wie Nikolaus versprochen, alles
Geschehene genau und streng untersuchen zu lassen, u. s. w. — Wir
glauben, der Czar hat starke Nerven und wird sich über die klägliche
Geschichte von den Leiden der Vastlianerinnen nicht so entsetzt haben,
wie unsere deutschen Leser und Leserinnen; wohl aber möchte er ent¬
rüstet sein, daß man seinen erhabenen Sinn mit so widerlichen und
blutschmutzigen Einzelnheiten behelligen wollte; empört mag ihn haben
der kleinliche Maßstab, den man außerhalb Rußlands an die Mensch¬
lichkeit der Majestäten legt und der philiströse Geist mit welchem man
den Augen und Ohren gesalbter Häupter die Bekanntschaft mit den
unvermeidlichen Miseren der gemeinen Menschheit aufzudringen wagte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/430>, abgerufen am 28.04.2024.