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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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man es in Wien heißt; Der Faschingsochse hat seinen Rückjug ge¬
macht. I. I. Weber in Leipzig wird hoffentlich das Portrait dieses
Helden mit gleicher Achnlichkeit, wie die meisten Konterfeis in derJl-
lustrirten den deutschen Lesern vorführen. Ist doch dieser Faschings¬
ochse ein wirklicher literarischer Held. Sein Eigenthümer und Erzie¬
her, der Fleischermeister Roland, hat ihm den Namen Dagobert (aus
Sue's ewigem Juden) gegeben. Sie sehen, wie populär die neuro¬
mantische Literatur ist; eine Literatur, in der so viel gemordet und
geschunden wird, muß natürlich unter den Schlächtern besonders volks-
thümlich sein.

Nun kommen die Fastentage mit ihren fürchterlichen Concert-
Milchsuppen; eine ganze Reihe deutscher Virtuosen ist schon seit Wo¬
chen bei Moritz Schlesinger unter Schloß und Riegel eingesperrt; sie
hämmern und geigen und flöten, daß es ein Jammer ist. Am jam¬
mervollsten aber erscheint mir der Umstand, daß jetzt auch im Bereiche
der Kunst der Reichthum den Ausschlag giebt; ein armer Teufel von
Musiker, der ohne Mittel hierher kommt, darf Paganini und Lißt in
Einer Person sein, und es wird ihm nicht gelingen, sich auch nur in
der angrenzenden Straße bekannt zu machen, aber ein Clavierhacker,
Geigenkratzer, der eine Brieftasche voll Crcditbriefe auf Lafitte und
Rothschild hat, kann sicher sein, daß, ehe zwei Monate vergehen, alle
Pariser Journale und in ihrem Schweife alle europäischen von ihm
sprechen. Da ist z. B. ein Herr Goldschmidt aus Prag, ein recht
tüchtiger Elavierspieler, aber nicht tüchtiger, als zwanzig andere, die
man in Erard's oder Herz's Salon Elaviere probiren hört. Warum
sprechen sämmtliche Journale bereits von Herrn Goldschmidt und nicht
ebenso von jenen zwanzig andern? Weil Herr Goldschmidt der Sohn
eines Millionärs ist, weil Herr Goldschmidt ein Gratisconcert veran¬
stalten und den literarischen und musikalischen Sommitäten die Hon¬
neurs machen kann. Ich will keinen Stein auf diesen Virtuosen wer¬
fen: er braucht eben nur die Mittel, die zum Zwecke führen, aber
diese Mittel sind ein Privilegium des Reichen, von dem Andere mit
gleichem Genie, mit gleichen Studien, ausgeschlossen sind. Auch das
Reich der Kunst hat aufgehört, eine Republik zu sein; auch die Kunst
hat ihre Proletarier, deren ganzes Verbrechen es ist, nicht in batiste¬
nen Windeln aus die Welt gekommen zu sein.


15.
N u s Wie n.

Die galiciscben Unruhen. -- Eröffnung der Briefe. -- Entweichung polnischer
Artilieneschüler. -- Versicherungsgesellschaften. -- Eishandel. -- Nachrichten
über Dichter. -- Stärkung des militairischen Bewußtseins. -- Die Stephans¬
spitze. -- Bälle, slawisch und serbisch.

Die traurigen Vorgänge in Galicien, sowie die des Freistaates Krakau
sind Ihnen aus den Zeitungen bekannt. Sie erregen ein wehmüthiges Ge-


man es in Wien heißt; Der Faschingsochse hat seinen Rückjug ge¬
macht. I. I. Weber in Leipzig wird hoffentlich das Portrait dieses
Helden mit gleicher Achnlichkeit, wie die meisten Konterfeis in derJl-
lustrirten den deutschen Lesern vorführen. Ist doch dieser Faschings¬
ochse ein wirklicher literarischer Held. Sein Eigenthümer und Erzie¬
her, der Fleischermeister Roland, hat ihm den Namen Dagobert (aus
Sue's ewigem Juden) gegeben. Sie sehen, wie populär die neuro¬
mantische Literatur ist; eine Literatur, in der so viel gemordet und
geschunden wird, muß natürlich unter den Schlächtern besonders volks-
thümlich sein.

Nun kommen die Fastentage mit ihren fürchterlichen Concert-
Milchsuppen; eine ganze Reihe deutscher Virtuosen ist schon seit Wo¬
chen bei Moritz Schlesinger unter Schloß und Riegel eingesperrt; sie
hämmern und geigen und flöten, daß es ein Jammer ist. Am jam¬
mervollsten aber erscheint mir der Umstand, daß jetzt auch im Bereiche
der Kunst der Reichthum den Ausschlag giebt; ein armer Teufel von
Musiker, der ohne Mittel hierher kommt, darf Paganini und Lißt in
Einer Person sein, und es wird ihm nicht gelingen, sich auch nur in
der angrenzenden Straße bekannt zu machen, aber ein Clavierhacker,
Geigenkratzer, der eine Brieftasche voll Crcditbriefe auf Lafitte und
Rothschild hat, kann sicher sein, daß, ehe zwei Monate vergehen, alle
Pariser Journale und in ihrem Schweife alle europäischen von ihm
sprechen. Da ist z. B. ein Herr Goldschmidt aus Prag, ein recht
tüchtiger Elavierspieler, aber nicht tüchtiger, als zwanzig andere, die
man in Erard's oder Herz's Salon Elaviere probiren hört. Warum
sprechen sämmtliche Journale bereits von Herrn Goldschmidt und nicht
ebenso von jenen zwanzig andern? Weil Herr Goldschmidt der Sohn
eines Millionärs ist, weil Herr Goldschmidt ein Gratisconcert veran¬
stalten und den literarischen und musikalischen Sommitäten die Hon¬
neurs machen kann. Ich will keinen Stein auf diesen Virtuosen wer¬
fen: er braucht eben nur die Mittel, die zum Zwecke führen, aber
diese Mittel sind ein Privilegium des Reichen, von dem Andere mit
gleichem Genie, mit gleichen Studien, ausgeschlossen sind. Auch das
Reich der Kunst hat aufgehört, eine Republik zu sein; auch die Kunst
hat ihre Proletarier, deren ganzes Verbrechen es ist, nicht in batiste¬
nen Windeln aus die Welt gekommen zu sein.


15.
N u s Wie n.

Die galiciscben Unruhen. — Eröffnung der Briefe. — Entweichung polnischer
Artilieneschüler. — Versicherungsgesellschaften. — Eishandel. — Nachrichten
über Dichter. — Stärkung des militairischen Bewußtseins. — Die Stephans¬
spitze. — Bälle, slawisch und serbisch.

Die traurigen Vorgänge in Galicien, sowie die des Freistaates Krakau
sind Ihnen aus den Zeitungen bekannt. Sie erregen ein wehmüthiges Ge-


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[0461] man es in Wien heißt; Der Faschingsochse hat seinen Rückjug ge¬ macht. I. I. Weber in Leipzig wird hoffentlich das Portrait dieses Helden mit gleicher Achnlichkeit, wie die meisten Konterfeis in derJl- lustrirten den deutschen Lesern vorführen. Ist doch dieser Faschings¬ ochse ein wirklicher literarischer Held. Sein Eigenthümer und Erzie¬ her, der Fleischermeister Roland, hat ihm den Namen Dagobert (aus Sue's ewigem Juden) gegeben. Sie sehen, wie populär die neuro¬ mantische Literatur ist; eine Literatur, in der so viel gemordet und geschunden wird, muß natürlich unter den Schlächtern besonders volks- thümlich sein. Nun kommen die Fastentage mit ihren fürchterlichen Concert- Milchsuppen; eine ganze Reihe deutscher Virtuosen ist schon seit Wo¬ chen bei Moritz Schlesinger unter Schloß und Riegel eingesperrt; sie hämmern und geigen und flöten, daß es ein Jammer ist. Am jam¬ mervollsten aber erscheint mir der Umstand, daß jetzt auch im Bereiche der Kunst der Reichthum den Ausschlag giebt; ein armer Teufel von Musiker, der ohne Mittel hierher kommt, darf Paganini und Lißt in Einer Person sein, und es wird ihm nicht gelingen, sich auch nur in der angrenzenden Straße bekannt zu machen, aber ein Clavierhacker, Geigenkratzer, der eine Brieftasche voll Crcditbriefe auf Lafitte und Rothschild hat, kann sicher sein, daß, ehe zwei Monate vergehen, alle Pariser Journale und in ihrem Schweife alle europäischen von ihm sprechen. Da ist z. B. ein Herr Goldschmidt aus Prag, ein recht tüchtiger Elavierspieler, aber nicht tüchtiger, als zwanzig andere, die man in Erard's oder Herz's Salon Elaviere probiren hört. Warum sprechen sämmtliche Journale bereits von Herrn Goldschmidt und nicht ebenso von jenen zwanzig andern? Weil Herr Goldschmidt der Sohn eines Millionärs ist, weil Herr Goldschmidt ein Gratisconcert veran¬ stalten und den literarischen und musikalischen Sommitäten die Hon¬ neurs machen kann. Ich will keinen Stein auf diesen Virtuosen wer¬ fen: er braucht eben nur die Mittel, die zum Zwecke führen, aber diese Mittel sind ein Privilegium des Reichen, von dem Andere mit gleichem Genie, mit gleichen Studien, ausgeschlossen sind. Auch das Reich der Kunst hat aufgehört, eine Republik zu sein; auch die Kunst hat ihre Proletarier, deren ganzes Verbrechen es ist, nicht in batiste¬ nen Windeln aus die Welt gekommen zu sein. 15. N u s Wie n. Die galiciscben Unruhen. — Eröffnung der Briefe. — Entweichung polnischer Artilieneschüler. — Versicherungsgesellschaften. — Eishandel. — Nachrichten über Dichter. — Stärkung des militairischen Bewußtseins. — Die Stephans¬ spitze. — Bälle, slawisch und serbisch. Die traurigen Vorgänge in Galicien, sowie die des Freistaates Krakau sind Ihnen aus den Zeitungen bekannt. Sie erregen ein wehmüthiges Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/461>, abgerufen am 29.04.2024.