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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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nicht aus Angst vor Popanzen, aus Empfindlichkeit u. dergl. ihr
sogar innerhalb dieser Grenzen den Mund verbindet -- Vertreter und
Vertheidiger ganz von selbst finden werde; was zuverlässig nicht aus¬
bleiben wird. -- Freilich aber muß man gestehen, es kann bei einem
solchen Verfahren nicht so ganz genau darauf gehalten werden, nur
eine Opposition innerhalb der Grenzen der geltenden Principien zuzu¬
lassen, daß nicht auch die entgegengesetzten Principien sich in der
Stille immer mit hindurch arbeiten sollten. Das muß man sich ge¬
fallen lassen; nichts in der Welt ist ewig, und die jetzt geltenden
Regierungsprincipien, welche es immer seien, werden dereinst auch ihr
Todesstündlein haben. Es ist für jeden Machthaber ganz richtig und
natürlich, gegen die zerstörenden Kräfte, welche an seiner Lebenswurzel
nagen, mit all seiner Gewalt sich zu wehren; aber eine Thorheit wäre
es, zu wähnen, daß diese Kräfte jemals überwunden und vernichtet
werden können. Wenn man nun nicht auf russische Art, oder auch
nur auf österreichische das eigene Princip umschanzen will und kann,
so muß man auch nicht im Kampfe gegen die feindseligen Principien
so weit gehen, daß man sich selbst mit seinem eigenen Lebensprincip
einmauert, und sich für dessen freie Entwicklung die Luft und das
Licht entzieht. Man muß, um selbst zu leben und zu gelten, auch
manches Widrige leben und gelten lassen. Man muß, um die.Presse
für sich zu haben, auch die Presse wider sich sein lassen. Dazu ge¬
hört freilich Muth und Klarheit, Besonnenheit und Sündhaftigkeit.


' V.
Notizen.

Saphir über sein Gesicht. -- Das Rheinische Jahrbuch. -- Russische Stroh¬
fütterung. -- Neue Moden in Berlin. -- Das Cartell zwischen Preußen
und Würtemberg.

-- Saphir übt seinen Witz nicht blos an andern Leuten, hom-
em, wie es dem Humoristen gebührt, auch an sich selbst. Zur be¬
sondern Zielscheibe seines Spottes hat er das eigene Gesicht erkoren;
jene in ganz Deutschland bekannte Physiognomie, die mehr einer pi¬
kanten Satyrlarve als dem Antlitz des Apoll von Belvedere gleicht;
die mehr Ironie als Lyrik spiegelt, trotz der "wilden Rosen," die
darin angedeutet sind. Die Unterschriften, mit denen er jedes neu
erscheinende Porträt von sich in die Welt schickt, verrathen neben dem
Wunsch, seinen Mangel an Eitelkeit zu zeigen, doch auch ein sehr
menschliches leises Schmollen, welches ihn oft liebenswürdig kleidet,
und den Schlaukopf in den Augen des Lesers verschönert. Einst
schrieb er unter sein Konterfei:"


"Zum Brechen ähnlich.

Dies Wortspiel ist so ungerecht übertreibend, daß man nothwendig


nicht aus Angst vor Popanzen, aus Empfindlichkeit u. dergl. ihr
sogar innerhalb dieser Grenzen den Mund verbindet — Vertreter und
Vertheidiger ganz von selbst finden werde; was zuverlässig nicht aus¬
bleiben wird. — Freilich aber muß man gestehen, es kann bei einem
solchen Verfahren nicht so ganz genau darauf gehalten werden, nur
eine Opposition innerhalb der Grenzen der geltenden Principien zuzu¬
lassen, daß nicht auch die entgegengesetzten Principien sich in der
Stille immer mit hindurch arbeiten sollten. Das muß man sich ge¬
fallen lassen; nichts in der Welt ist ewig, und die jetzt geltenden
Regierungsprincipien, welche es immer seien, werden dereinst auch ihr
Todesstündlein haben. Es ist für jeden Machthaber ganz richtig und
natürlich, gegen die zerstörenden Kräfte, welche an seiner Lebenswurzel
nagen, mit all seiner Gewalt sich zu wehren; aber eine Thorheit wäre
es, zu wähnen, daß diese Kräfte jemals überwunden und vernichtet
werden können. Wenn man nun nicht auf russische Art, oder auch
nur auf österreichische das eigene Princip umschanzen will und kann,
so muß man auch nicht im Kampfe gegen die feindseligen Principien
so weit gehen, daß man sich selbst mit seinem eigenen Lebensprincip
einmauert, und sich für dessen freie Entwicklung die Luft und das
Licht entzieht. Man muß, um selbst zu leben und zu gelten, auch
manches Widrige leben und gelten lassen. Man muß, um die.Presse
für sich zu haben, auch die Presse wider sich sein lassen. Dazu ge¬
hört freilich Muth und Klarheit, Besonnenheit und Sündhaftigkeit.


' V.
Notizen.

Saphir über sein Gesicht. — Das Rheinische Jahrbuch. — Russische Stroh¬
fütterung. — Neue Moden in Berlin. — Das Cartell zwischen Preußen
und Würtemberg.

— Saphir übt seinen Witz nicht blos an andern Leuten, hom-
em, wie es dem Humoristen gebührt, auch an sich selbst. Zur be¬
sondern Zielscheibe seines Spottes hat er das eigene Gesicht erkoren;
jene in ganz Deutschland bekannte Physiognomie, die mehr einer pi¬
kanten Satyrlarve als dem Antlitz des Apoll von Belvedere gleicht;
die mehr Ironie als Lyrik spiegelt, trotz der „wilden Rosen," die
darin angedeutet sind. Die Unterschriften, mit denen er jedes neu
erscheinende Porträt von sich in die Welt schickt, verrathen neben dem
Wunsch, seinen Mangel an Eitelkeit zu zeigen, doch auch ein sehr
menschliches leises Schmollen, welches ihn oft liebenswürdig kleidet,
und den Schlaukopf in den Augen des Lesers verschönert. Einst
schrieb er unter sein Konterfei:"


„Zum Brechen ähnlich.

Dies Wortspiel ist so ungerecht übertreibend, daß man nothwendig


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[0052] nicht aus Angst vor Popanzen, aus Empfindlichkeit u. dergl. ihr sogar innerhalb dieser Grenzen den Mund verbindet — Vertreter und Vertheidiger ganz von selbst finden werde; was zuverlässig nicht aus¬ bleiben wird. — Freilich aber muß man gestehen, es kann bei einem solchen Verfahren nicht so ganz genau darauf gehalten werden, nur eine Opposition innerhalb der Grenzen der geltenden Principien zuzu¬ lassen, daß nicht auch die entgegengesetzten Principien sich in der Stille immer mit hindurch arbeiten sollten. Das muß man sich ge¬ fallen lassen; nichts in der Welt ist ewig, und die jetzt geltenden Regierungsprincipien, welche es immer seien, werden dereinst auch ihr Todesstündlein haben. Es ist für jeden Machthaber ganz richtig und natürlich, gegen die zerstörenden Kräfte, welche an seiner Lebenswurzel nagen, mit all seiner Gewalt sich zu wehren; aber eine Thorheit wäre es, zu wähnen, daß diese Kräfte jemals überwunden und vernichtet werden können. Wenn man nun nicht auf russische Art, oder auch nur auf österreichische das eigene Princip umschanzen will und kann, so muß man auch nicht im Kampfe gegen die feindseligen Principien so weit gehen, daß man sich selbst mit seinem eigenen Lebensprincip einmauert, und sich für dessen freie Entwicklung die Luft und das Licht entzieht. Man muß, um selbst zu leben und zu gelten, auch manches Widrige leben und gelten lassen. Man muß, um die.Presse für sich zu haben, auch die Presse wider sich sein lassen. Dazu ge¬ hört freilich Muth und Klarheit, Besonnenheit und Sündhaftigkeit. ' V. Notizen. Saphir über sein Gesicht. — Das Rheinische Jahrbuch. — Russische Stroh¬ fütterung. — Neue Moden in Berlin. — Das Cartell zwischen Preußen und Würtemberg. — Saphir übt seinen Witz nicht blos an andern Leuten, hom- em, wie es dem Humoristen gebührt, auch an sich selbst. Zur be¬ sondern Zielscheibe seines Spottes hat er das eigene Gesicht erkoren; jene in ganz Deutschland bekannte Physiognomie, die mehr einer pi¬ kanten Satyrlarve als dem Antlitz des Apoll von Belvedere gleicht; die mehr Ironie als Lyrik spiegelt, trotz der „wilden Rosen," die darin angedeutet sind. Die Unterschriften, mit denen er jedes neu erscheinende Porträt von sich in die Welt schickt, verrathen neben dem Wunsch, seinen Mangel an Eitelkeit zu zeigen, doch auch ein sehr menschliches leises Schmollen, welches ihn oft liebenswürdig kleidet, und den Schlaukopf in den Augen des Lesers verschönert. Einst schrieb er unter sein Konterfei:" „Zum Brechen ähnlich. Dies Wortspiel ist so ungerecht übertreibend, daß man nothwendig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/52>, abgerufen am 29.04.2024.